Second Hand-Vintage ist ein Modetrend, der alter Kleidung ein neues Leben gibt. Es ist die Kombination aus Geldbeutel- und Umweltfreundlichkeit, die es besonders attraktiv für diejenigen macht, die wirtschaftlich von der Pandemie betroffen sind, und für die ständig wachsende Zahl umweltbewusster Verbraucher*innen. Am Samstag, den 26.02., fand auch in Tübingen ein Vintage Kilo-Sale statt. Unsere Redakteurin war vor Ort und hat mit dem Gründer Micha Decker gesprochen.
Second Hand Läden überschneiden sich mit den Bedürfnissen von Fast-Fashion-Käufer*innen und dem Budget nachhaltiger Käufer*innen. Dieses Geschäft hat das Stigma des „alten muffigen Kellergefühls“ und das unangenehme Gefühl, die Kleidung von Fremden zu erben verloren. Denn tatsächlich verleiht das Mysterium der Herkunft dieser Kleidung für neue Generationen einen einzigartigen Reiz, den kein massenproduziertes Modeprodukt bieten kann. Darüber hinaus bietet der niedrige Preis eine preiswerte Alternative zum direkten Kauf nachhaltiger Marken, die Kleidung zu Premiumpreisen verkaufen.
Der Tübinger Vintage Kilo Sale von “Lumpenbande“ ist ein Exemplar dieses Modetrends. Bei einem Vintage Kilo Sale erhält man einen Kilo Kleidung für einen festen Preis, in diesem Fall 35 Euro/KG. Der Verkauf findet dieses Mal in der Friedrichs Bar an der Blauen Brücke statt, vor der die wartenden Kund*innen eine lange Schlange bilden – darunter auch ich.. Endlich werden wir reingelassen und mit lauter Musik vom DJ begrüßt. Ich beobachte begeisterte Kund*innen, die im Rhythmus der Musik den Kopf nicken und sich die Auswahl anschauen. Spontan finde ich den Gründer von “Lumpenbande” und habe die Möglichkeit ihm ein paar Fragen zu stellen.
Was war die Inspiration hinter dem Geschäftsmodell von Vintage Kleidung?
Sein Aufenthalt in Berlin hat ihn in die Vintage bzw. Second Hand Szene eingeführt und dazu inspiriert, ein ähnliches Angebot auch hier in Süddeutschland aufzubauen. Damals gab es dieses Angebot nicht, aber sicher Interessierte, die auch gerne Zugang dazu haben würden. Seitdem er mit diesen Vintage Kilo-Sales angefangen hat, kauft er selber nicht mehr neue Kleidung, sondern wählt sie aus seinem eigenen Sortiment aus.
Wie fing das Geschäftsmodell des Vintage Kilo Sales an?
Der Gründer von Lumpenbande, Micha Decker, der ursprünglich aus Balingen kommt, fing in Tübingen 2018 mit dieser Idee an. Auf dem Flohmarkt am Europaplatz hatte er ein kleines Ständchen, wo er dieses Geschäftsmodell jedes Wochenende ausprobiert hat und sich Instagram zunutze gemacht hat, um weiter bekannt zu werden. Damals kam die Kleidung von einem Anbieter, der dieses Konzept schon erprobt hatte und Herrn Decker ins Geschäft einführen konnte. 2019 gab es dann den ersten Vintage Kilo Sale vor Ort und darauf folgte Corona. In dieser Phase habe er sich vor allem auf den Onlineshop konzentriert. Dadurch, dass Veranstaltungen momentan eingeschränkt wieder möglich sind, möchte er vor Ort ein nachhaltiges Shopping-Erlebnis anbieten. Wie verwirklicht er das? Jedes Wochenende besucht Lumpenbande eine andere Stadt, momentan hauptsächlich in Baden-Württemberg und Bayern. Das zukünftige Ziel ist, auch bald in Norddeutschland Vintage Kilo Sales anzubieten.
Woher kommt die Kleidung?
Die Masse an Kleidung, die sich in den Altkleider-Containern anreichern, ist tatsächlich so groß, dass sie erst an Sortierbetriebe geschickt werden, um in verschiedene Kategorien sortiert zu werden. Ein Anteil der Kleidung geht natürlich an den Besitzer des Containers wie etwa Caritas oder das Rote Kreuz. Der sogenannte “Vintage-Anteil” wird von Lumpenbande gekauft. Dieser Kreislauf gibt noch mehr Kleidung die Möglichkeit, wieder ein “zweites Leben” zu bekommen.
Gibt es denn hier wirklich etwas für jede*n?
Laut Herrn Decker ist das abhängig von der Einstellung der Käufer*innen. Denn es gebe immer Leute, die mit Erwartungen auf einen Sale kommen und genau ein Kleidungsstück einer Marke haben wollen und dann enttäuscht werden. Wer sich aber ganz offen auf die Auswahl einlässt lässt und die eigenen Erwartungen im Zaum hält, könnte von dem Bestand sehr belohnt werden, denn durch die weite Bandbreite an Klamotten, hat jede*r Kund*in die Möglichkeit, etwas nach eigenem Geschmack zu finden.
Vintage oder Fast Fashion?
Auch wenn Vintage ein neuer Trend ist, bieten Fast Fashion Kleider wie etwa von H&M eine billige Alternative. Trotzdem wächst die Vintage Szene an Popularität. Ich habe den Herrn Decker gefragt, woran das liegen könnte.
Laut dem Gründer ist die Vintage-Szene dafür bekannt, dass die Kleidung eine entsprechende Qualität aufweist. Sie ist nicht nur nachhaltig, da sie ein zweites Mal verwendet wird, sondern auch langlebig. “Auch ein Pulli der 40 Jahre alt ist, könnte noch gute 20 Jahre auf den Buckel kriegen, wenn man damit gut umgeht”. Fast Fashion sei für Kurzlebigkeit gemacht worden und prädestiniert dafür, kaputt zu gehen. Es werden nämlich pro Jahr mehrere Kollektionen rausgebracht, die so günstig gemacht werden, dass sie nicht mehr als zwei bis drei Jahre überleben. Die Sortierbetriebe kämpfen auch mit diesem Problem, denn die Qualität dieser Fast Fashion-Kleidung ist so niedrig, dass sie fast gar nicht mehr weiterverwertet werden kann und es sich dann um ein Entsorgungsproblem handle.
Sein Wunsch mit Lumpenbande war nicht unbedingt, einen Brand daraus zu machen, sondern Menschen allgemein an Second Hand heranzubringen, vor allem, damit es nicht mehr mit einem negativen Stigma assoziiert wird. Herr Decker kommentiert:
“In Kleinstädten ist das Thema jedoch noch nicht ausreichend besprochen und es gibt ja noch viele Menschen, die nach günstigen Klamotten suchen, ohne das Große und Ganze zu sehen.“
Ausblick
Was ich von diesem Gespräch noch mitnehmen konnte, war, dass es sich hier nicht nur um den Einkauf handelt. Second Hand-Läden bieten ein aufregendes Erlebnis, da man nie weiß, was man finden wird, während man gleichzeitig erste Wahl für ein exklusives Kleidungsstück genießen kann. Beim nächsten Vintage Kilo Sale solltet ihr auf jeden Fall vorbeikommen!
Fotos: Gabriela Beug
Wunderbarer Artikel danke.