Kultur

Hölderlin im Turm: 13qm, 36 Jahre, 48 Gedichte

Zeitgenossen hielten Friedrich Hölderlin für wahnsinnig; zu leben hätte er nur noch drei Jahre, attestierte ihm ein Arzt. Eine einfache Tübinger Tischlerfamilie aber nahm den Dichter zur Pflege in ihren Turm am Neckar. Hölderlin, der zu einem der bedeutendsten Lyriker seiner Zeit wurde, blieb nicht nur drei, sondern 36 Jahre. Heute führt eine Dauerausstellung im Hölderlinturm durch sein Leben.

Es ist Hölderlins kleine Schreibkommode, die im Zentrum der Ausstellung steht. Zwar nicht das Original – das befindet sich in Privatbesitz – aber eine authentische Nachbildung. Der kleine Tisch steht inmitten eines halbrunden Turmzimmers, ein lichtdurchfluteter Raum mit Blick auf die Neckarinsel. Gedichte hat Hölderlin hier geschrieben, Versmaße getrommelt und mit der Hand soll er auf den Tisch geschlagen haben, „wenn er Streit gehabt – mit seinen Gedanken“, so beschrieb es Lotte Zimmer, die Tischlertochter, die den Dichter bis an sein Lebensende pflegte. 48 Gedichte sind hier entstanden, die „Lebenslinien“ etwa, Verse sind es noch viele mehr.

Die kleine Schreibkommode, auf die Hölderlin seine Versmaße klopfte, ist das einzige erhaltene Möbelstück des Dichters. Im Museum steht eine Replik.

Unheilbar wahnsinnig?

13 Quadratmeter maß sein Turmzimmer, gerade einmal ein Bett und ein Ofen passten hinein. Für Hölderlin aber war es ein Rückzugsort, den er zwischen 1807 und 1843 kaum verließ. Denn der Dichter galt unter vielen seiner Zeitgenossen als verrückt, der „Raserey“ verfallen. Papierentzug wurde ihm verordnet, in einer einjährigen Zwangsbehandlung der Tübinger Uniklinik, die wohl mehr einer Tortur als einer Therapie glich. Die Diagnose: Unheilbar wahnsinnig. Die Tischlerfamilie Zimmer nahm ihn daraufhin zur Pflege in ihr Haus auf – erst für drei Jahre, letztlich wurden daraus 36. Über den Gesundheitszustand des Dichters, der in seiner kauzigen Erscheinung oft stundenlang durch den Turm wanderte und Gäste stets mit „Eure Hochwohlgeborenen“ und einer tiefen Verbeugung begrüßt haben soll, sind sich bis heute Psychiater und Literaturwissenschaftler uneins. Erst 2017 erschien noch eine Streitschrift des Pharmakologen Reinhardt Horowski mit dem Titel „Hölderlin war nicht verrückt“.

Im Juli 1823 kam Eduard Mörike zu Besuch. Dabei entstand dieses „in Eile gezeichnete“ Portrait Hölderlins. Es ist eines der wenigen aus der Zeit im Turm. Mörike fand, es sei „ziemlich charakteristisch“.

Auf den Spuren der Reimverse

Wer als Museumsbesucher*in heute die Ausstellung im gelben Haus am Neckarufer besucht, der läuft nicht mehr durch den Turm, durch den einst Hölderlin wandernd das passende Reimschema für seine Gedichte suchte. Der Turm brannte ab, 30 Jahre nach seinem Tod, und wurde kurze Zeit später erneut aufgebaut. Auf die Spuren seines Lebens und seiner Metrik kann man sich trotzdem begeben. Die Lampen im Erdgeschoss etwa hängen im Rhythmus des Gedichts „Hälfte des Lebens“ und im oberen Stockwerk gibt es ein Sprachlabor, in dem ein Touchscreen dazu einlädt, sich Gedichtzeilen in den unterschiedlichsten Stimmlagen anzuhören und sie beliebig zusammenzusetzen. Zimmer für Zimmer kann man so durch Hölderlins Lebensgeschichte wandern und sich vom Klang und der Rhythmik seiner Verse begeistern lassen. Für Tübinger Studierende mag das Zimmer links der steilen Wendeltreppe besonders interessant sein: Hier wird Hölderlins Studentenleben im Stift beleuchtet – denn Hölderlin war schon mal hier! Als Theologiestudent. Das Leben im Stift aber war ein deutlich widrigeres als heute.

Was viele Museumsbesucher*innen zunächst nicht wissen: Der Turm, in dem Hölderlin einst lebte, brannte 30 Jahre nach seinem Tod ab. Ein Jahr später wurde er wieder aufgebaut, so wie wir ihn heute kennen.


Der Hölderlinturm
hat donnerstags bis montags von 11 bis 17 Uhr geöffnet, der Eintritt ist frei. Aktuell läuft zudem die Sonderausstellung „Idealismusschmiede in der Philosophen-WG“, die die Freundschaft Hölderlins, Hegels und Schillings während ihrer Studienjahre im Tübinger Stift beleuchtet. Der Hölderlinturm im Netz bietet außerdem die Möglichkeit, anhand von Bildern, Karten, Interviews und Podcasts digital durch den Turm zu wandern. Reinschauen lohnt sich!

Fotos: DLA Marbach, Gudrun de Maddalena, Anne Faden

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