Vor einiger Zeit wurden Pläne der Universitätsleitung bekanntgemacht, nach denen der Bestand einiger Bibliotheken, unter anderem am Institut für Politikwissenschaft und am Institut für Soziologie, reduziert werden sollen (wir berichteten). Nun geht aus einer Pressemitteilung hervor, dass sich der volle Umfang des Vorhabens noch auf weitere Bereiche der Universität beziehen soll. Im Mittelpunkt steht dabei der Erhalt der Universität Tübingen als Exzellenzuniversität.
Wer schon einmal in der Mensa auf der Morgenstelle war, weiß, wo die Prioritäten der Universität Tübingen liegen. Spaghetti Bolognese mit Parmesan, garniert mit Rucola für Bergstudierende, was auch immer die Shedhalle fabriziert für Talstudierende. Diese studentische Zweiklassengesellschaft soll nun nach Plänen der Universitätsleitung weiter ausgebaut werden. Diesmal kommt auch die Finanzierung der Universität ins Spiel.
„Es ist ein offenes Geheimnis, dass die Universität Tübingen ihr Prestige der Medizin und der Pharmazie zu verdanken hat“, sagt Hartmut Nägele, Vorsitzender der eigens zum Zweck der Sicherung des Ranges als Exzellenzuniversität eingerichteten Arbeitsgruppe Qualitätssicherung (AGQ). Von seinem Büro auf dem Schloss Hohentübingen genießt er einen angenehmen Blick über die roten Dächer der Altstadt. An der Wand neben dem Fenster hängt ein Porträt von Ex-Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer (CSU). „Eines meiner größten Vorbilder“, sagt er mit einem verschmitzten Grinsen. Er hat große Pläne für die Universität. „Die Welt bewundert uns nicht für unsere Anglistik- und Philosophiestudierenden. Die schlafen sowieso den ganzen Tag und kommen nie zur Vorlesung.“ Daher habe es sich sein Arbeitskreis zur Aufgabe gemacht, Mittel gezielt so umzuverteilen, dass Studiengänge mit höheren Erfolgsaussichten mehr gefördert werden als solche, aus deren Absolventen sowieso nur Barkeeper und Kinokartenabreißer würden, so Nägele wörtlich. „Sparen ist das Gebot der Stunde. Wir können es uns nicht leisten, Faulheit zu fördern.“
Doch es geht nicht nur um die Finanzierung. „Die Kürzungen der Mittel für aktuelle Studierende sind alternativlos, jedoch müssen wir Studienanfänger auch direkt daran hindern, überhaupt hierher zu kommen.“ Daher hat es seine Arbeitsgruppe sich zur Aufgabe gemacht, gezielt negative Anreize zu schaffen. Das Neuphililogikum, auch Brechtbau genannt, soll hierfür als Modellprojekt dienen. Die Universität hat der AGQ internen Dokumenten zufolge ein Budget von 12.000 Euro bereitgestellt, um das Gebäude an wegweisende Zukunftsstandards anzupassen. Dafür hat Nägele mit seinen Mitarbeitern einen Zehn-Punkte-Plan vorgelegt: „Der Brechtbau sieht jetzt bereits aus wie eine verwahrloste Realschule in Castrop-Rauxel, daher eignet er sich hervorragend als Modellkonzept.“ Der Plan soll das Gebäude noch unattraktiver machen, als es bereits ist.
Sozialverträgliche Umgestaltung
„Zuerst wird der Hausmeister- und Reinigungsdienst in dem Gebäude mit sofortiger Wirkung beendet,“ erzählt Nägele zufrieden. Dies geschehe als Präventionsmaßnahme, um sicherzustellen, dass sich nicht doch wieder etwas Hygiene in das Gemäuer einschleicht. An die Sicherung der Arbeitsplätze hat die AGQ allerdings gedacht. „Wir sind ja keine Unmenschen,“ sagt Nägele lachend. „Die Umstrukturierung unserer Universität muss sozialverträglich gestaltet werden.“ Die Bediensteten des Brechtbaus sollen daher fortan damit beschäftigt werden, die Türklinken in den Gebäuden der Medizin zu polieren und die Armlehnen zwischen den Sitzen der Pharmazie-Hörsäle vor den Vorlesungen zu entstauben. Zudem soll der Staub aus den Gebäuden der Kliniken gesammelt und dieser dann im Brechtbau verteilt werden.
Ebenfalls könne man sich vorstellen, die Bediensteten der Brechtbau-Cafeteria künftig damit zu beschäftigen, Studierenden der Medizin an heißen Tagen in der Vorlesung mit kühlen Getränken zu versorgen, dies sei jedoch noch in der Planungsphase. „Solange noch zertretene Essensreste auf den Böden des Brechtbaus liegen, bleibt die Cafeteria geöffnet. Wir können es uns noch nicht leisten, diesen günstigen Umstand einfach aufzugeben.“
„Die Verachtung von Geisteswissenschaftlern ist Naturwissenschaftlern angeboren.“
Hartmut Nägele, AGQ
Im zweiten Schritt sollen dann die WLAN-Router im Brechtbau ummontiert werden. „Die Router werden nicht komplett entfernt,“ versichert Nägele. „Das wäre ja ein Unding.“ Stattdessen soll die Anzahl der Router stark verringert werden und die Übrigen so im Gebäude verteilt werden, dass der WLAN-Empfang an allen wichtigen Orten, besonders in den Hörsälen und Seminarräumen, dauerhaft möglichst schwach ist. „Mehr als zwei Balken darf es da nirgends geben. Wir müssen eine dauerhaft schlechte Internetversorgung gewährleisten können.“ Auf den Toiletten soll der Empfang allerdings stabil bleiben. „Je besser das Internet in den Kabinen ist, desto stärker ist der Anreiz, dort durch verlängerte Aufenthalte den Personenverkehr zu hemmen.“ Außerdem sollen die Trennwände zwischen den Pissoirs entfernt werden. „Einfach, weil wir es können,“ sagt Nägele mit einem Zwinkern.
Umstrukturierung auf allen Ebenen
Auch die Drucker bleiben nicht von den Plänen verschont. „Die Kosten für Papier sind durch die Inflation stark angestiegen, und das Drucken ist ja auch schon teurer als etwa letztes Semester. Das geht allerdings nicht weit genug.“ Er erzählt, dass seine Arbeitsgruppe eigens für die Drucker im Brechtbau ein Software-Update entwickeln lassen hat, mithilfe dessen alle Druckaufträge auf nur ein Blatt gedruckt werden sollen, also alle Seiten übereinander.
Man habe bereits einen Probelauf gestartet, habe jedoch festgestellt, dass der Text ab einer Dokumentenlänge von circa vier Seiten kaum noch lesbar sei, außerdem spare dies nur Papier, nicht jedoch Tinte. Daher habe man sich auf die Lösung geeinigt, die Drucker so umzustellen, dass sie automatisch 16 Seiten eines Dokuments auf ein Blatt drucken. Das Ergebnis kann sich zeigen lassen. So sollen künftig alle Ausdrucke aus den Druckern des Brechtbaus kommen. Auf diese Weise können bis zu 48 Seiten effizient auf drei DIN A4-Blättern untergebracht werden. „Ja, das ist schon recht klein,“ gesteht Nägele. „Aber mit einer guten Lupe kann man das problemlos lesen. Die müssen die Studierenden aber natürlich selbst kaufen.“
„Wie so oft ist die Antwort auf eine schwere Frage tatsächlich eine ganz einfache Lösung,“ versichert er. Er erzählt, dass eine eigens angelegte Machbarkeitsstudie gezeigt habe, dass sich die Finanzierung der Universität ganz einfach umschichten ließe: „Auf der Website des Landes Baden-Württemberg steht, dass wir als Universität über unsere Zuschüsse selbst verfügen dürfen. Also machen wir das jetzt,“ sagt er und nickt zufrieden. Auf die Nachfrage der Kupferblau, ob er nicht mit Widerstand aus der Landesregierung rechne, reagiert Nägele entspannt: „Der Ministerpräsident war ja selbst mal Chemielehrer,“ meint er. „Der wird das schon verstehen.“ Die Verachtung von Geisteswissenschaftlern sei Naturwissenschaftlern angeboren. Nägele selbst hat übrigens Betriebswirtschaftslehre studiert.
Sein größter Coup kommt allerdings zum Schluss. Er reibt sich vergnügt die Hände, als er davon erzählt. Das Komitee lasse aktuell prüfen, was der maximale Grad an Baufälligkeit ist, der in einer Lehreinrichtung in Baden-Württemberg rechtlich zulässig sei. „Unsere Wunschvorstellung ist es, vorsätzlich Schäden am Fundament des Gebäudes hervorrufen zu können“ sagt er stolz. Da dieses Vorgehen keinen Präzedenzfall habe, warte sein Komitee noch auf eine Genehmigung des Landesbauamtes in Stuttgart. Sobald diese jedoch vorliegt, soll der Brechtbau ein dauerhaftes bauliches Damoklesschwert darstellen.
Das Vorhaben zeigt, dass der Gürtel für Bildungsförderung enger geschnallt wird. Die seit langem im Raum stehende Forderung, keine Studiengänge mehr zu fördern, deren Absolvent*innen ein niedrigeres Einkommen als etwa Ärzt*innen und Anwält*innen haben, wird nun endlich Realität. „Wenn wir mit dem Brechtbau fertig sind, nehmen wir uns den Hegelbau vor,“ meint Nägele. Der sei allerdings schon baufällig, daher habe man sich zuerst den Brechtbau vorgenommen. Die Universität hat aber einiges an Potenzial für Rückbau. Man kann also nur gespannt bleiben.
Beitragsbild: Kupferblau Satyr