Kultur

CaMeTa: Enttäuschung als Mittel in serious games

Für Viele bedeutet das Wort ‚Videospiele‘ vor allem Entertainment, Hobby oder Zeitvertreib aber nur selten Lernmittel, Mehrwert oder Nützlichkeit. Für Manche ist es sogar überwiegend negativ behaftet. Wer in Deutschland in den 2000ern aufgewachsen ist und Medien konsumiert hat weiß vor allem eins: Videospiele bergen mehr Gefahren als Nutzen, sogenannte „Ballerspiele“ züchten nur Generationen an Amokläufern heran. Dabei liegt der Ursprung der Videospiele sogar in ihrer Simulationsnatur und neben Shootern werden stets Videospiele entwickelt, die sich es zum Ziel machen, Spielenden einen Mehrwert durch jegliches Lernen zu bringen: serious games.

Das serious game

Der Diplominformatiker Kevin Körner – einer der zwei Dozenten des Masterprofils Digital Humanities der Universität Tübingen – hat schon einige serious games entwickelt und hält regelmäßig Vorträge über diese. Im Interview verrät er der Kupferblau, was diese neue Spielewelt ist.

Kevin Körner im Interview

Kupferblau: Was ist eigentlich ein serious game?

Kevin: Wir spielen Computerspiele in erster Linie, weil wir Spaß und Spannung haben wollen. Basierend auf grundlegenden Ergebnissen der Motivationspsychologie nutzen ‚seriöse Spiele‘ dies aus, um Spielende mehr oder weniger bewusst zu schulen. Am besten lernen Menschen, wenn Sie intrinsisch motiviert sind, sich mit einem Thema auseinanderzusetzen; z.B. wenn ein Kartenspielender eine neue Kombination erlernen möchte, um im nächsten Turnier besser abzuschneiden. Diese Motivationsform ist bei uns Pädagogen beliebt, da wir dann weitestgehend als Moderatoren agieren können und nur noch für Rückfragen fungieren. Leider sind jedoch nicht alle Lernenden intrinsisch motiviert, weshalb man externen Druck aufbaut um sie zum Lernen „zu motivieren“. Diese so genannte extrinsische Motivation kennt man zum Beispiel aus der Schulzeit, wo der Lehrer einem sagt, dass man, wenn man nicht lernt, versetzungsgefährdet ist. In der Zeit der gaming culture haben Didaktiker*innen – wie übrigens auch bereits in den 90ern über das so genannte Edutainment mit Filmen ein neues Medium gesucht, welches Menschen intrinsisch motiviert; wie z.B. Computerspiele. Ein Computerspiel wird also zu einem serious game, sobald es vordergründig für die Wissensvermittlung verwendet wird.

Kupferblau: Wo ist die Grenze zwischen Computerspiel und serious game?

Kevin: Das ist eine spannende Frage und hier ist die Wissenschaft auch dabei sich extrem zu verändern. Wir haben in den vergangenen 10-15 Jahren mit stetig steigender Anzahl Wissenschaftler*innen aber auch Wirtschaftsunternehmen serious games und gamification-Anstäze entwickelt, mittels denen wir die Welt ein bisschen besser machen möchten. So kristallisiert sich mittlerweile immer mehr heraus, dass die serious game-Entwicklung sehr ressourcenhungrig ist und, insbesondere die Grafik-, Animations- und Audioerstellung sowie zudem die nötige Programmierung. Gerade in akademischen serious game Projekten gelangt man häufig an einen Punkt, an dem die verfügbaren finanziellen oder zeitlichen Ressourcen aufgebraucht sind und man zwar eine Anwendung zur Wissensvermittlung hat, der jedoch der zwingend benötigte Spielspaß fehlt.

Das Ergebnis sind dann Notlösungen, welche sich als serious game bezeichnen ohne wirklich Akzeptanz bei den Lernenden zu erlangen.

Kevin Körner

Parallel zu diesem Trend zeigt sich immer wieder, dass auch reine Entertainment-Spiele aus der Wirtschaft Wissensaspekte beinhalten. Zum Beispiel die Civilization-Reihe von Sid Meier, die geschichtliche Themen nehmen und diese spielerisch aufbereiten: Spielende führen eine Kultur aus der Steinzeit bis in die Zukunft, bauen dabei grundlegende Gebäude wie Kornkammern bis hin zu Weltwundern. Um erfolgreich durch die Jahrtausende zu gelangen, spielt dabei eine intensive Auseinandersetzung mit Hintergrundwissen eine große Rolle: Was muss ich in diesem Zeitalter erfinden, damit ich eine Dampfmaschine im nächsten Zeitalter bauen kann? Darüber hinaus werden kulturell wichtige Ereignisse und Objekte mit Videos und Textpassagen erklärt, damit die Spielenden wissen, was an diesen so wichtig war; z.B. dass der Koloss von Rhodos eine 30m hohe, monumentale Bronzestatue des griechischen Gottes Helios war.

In der Forschung kristallisiert sich daher immer mehr heraus, dass wir nicht mehr hart zwischen serious games und entertainment games unterscheiden, sondern dass wir serious gaming-Ansätze aufbauen; das heißt, dass wir versuchen Lehrpläne zu entwickeln, die sowohl auf serious games aber durchaus auch auf Entertainmentspielen basieren.

Kupferblau: Ist es sinnvoll, Enttäuschung als Mittel in einem serious game zu nutzen?

Kevin: Das kommt immer auf das Ziel an: Was wollen wir bei dem Spieler oder der Spielerin erreichen? Legitim ist es Enttäuschung in serious games einzusetzen, um unerwünschtes Verhalten spielerisch zu sanktionieren; beispielsweise indem Spielende Punkteabzüge bekommen, wenn sie in einer Musik-Simulation falsche Töne spielen. Hierbei zeigt jedoch wiederum die Motivationspsychologie, dass man hierfür lieber positiv motivieren soll; z.B. gibt es Bonuspunkte / Punktmultiplikatoren für hintereinander korrekt gespielte Töne. Wo Enttäuschung in serious games jedoch sehr effektiv eingesetzt werden kann, ist die Vermittlung von Lebenssituationen, in denen es nur Enttäuschungen gibt; d.h. denen Personen keinerlei positive Erfahrung abgewinnen können. So können beispielsweise Fehlschläge im Leben oder Depressionen über Enttäuschung in serious games aufgezeigt werden und gezielt zu Lösungsmöglichkeiten geleitet werden. Hierbei steht das Ziel im Vordergund den Spielenden aufzuzeigen „Die Situation mag ausweglos erscheinen, aber es gibt immer einen Ausweg“. Und dann gibt es natürlich noch den Einsatz von Enttäuschung als Stilmittel, um tatsächlich ausweglose Situationen zu simulieren, bei denen zwischen mehreren gleich schlechten Möglichkeiten gewählt werden muss. Wer Startrek kennt, da gibt es diesen Kobayashi-Maru-Test, der im Prinzip darauf abzielt, dass in einem Raumschiff ein Captain weiß, dass es Situationen gibt in denen man nicht die ganze Crew retten kann – man kann nur verlieren, man wird sterben.

Zusammenfassend lässt sich also sagen: Enttäuschung als System kann lehrreich sein, wenn sie gezielt das Lernziel unterstützt.

Kevin Körner

Enttäuschungen Wilkommen: Fate of the World

Enttäuschung als Mittel kann beim Lernen einen immensen Effekt erzielen, zum Beispiel im serious game Fate of the World von 2011. Es ist ein Spiel, dass sich zum Ziel gesetzt hat, die globale Erwärmung in einer Simulation realistisch abzubilden und ist auf wissenschaftlichen Erkenntnissen basiert. Spielende stellen sich mehreren Szenarien, in denen sie soziale, technologische und umweltpolitische Probleme bewältigen müssen.

Gerade bei der Vermittlung von Umweltproblemen können serious games behilflich sein – bei der Vermittlung der Drastik dahinter, der Unmöglichkeit, die Welt noch zu ‚retten‘, wenn wir weitermachen, wie wir derzeit leben.

Weil wir in Fate of the World so dermaßen oft scheitern und fast keine Strategie entwickeln können, wie wir die Welt mit Maßnahmen in z.B. der Stromproduktion retten können, scheitern wir wieder und wieder in einer realitätsnahen Simulation. Über das 21. Jahrhundert hinweg zerstören wir in diesem serious game regelmäßig unsere Erde. Die Folge: Die Menschheit stirbt auf einem überhitzten Planeten aus, was wir uns im Überfluss lebend auch noch selbst zuschreiben müssen.

Enttäuschung wird zum Mittel für Frust. Die Frustration, das Ziel des Videospiels fast nie erreichen zu können, bleibt in den Köpfen der Spielenden um die Drastik unserer reellen Situation und dem Umgang mit unserem Planeten deutlich zu machen – ein Effekt, den das Spiel mit Bravour erzielt. Die Vermittlung unserer gegenwärtigen Situation via eines serious game ist eine faszinierende Möglichkeit eine theoretische Situation (die von einigen sogar geleugnet wird!) greifbar und unmittelbar zu machen.

Wenn die Enttäuschung von Fate of the World noch nicht gereicht hat, können wir auch einfach einmal in den Kurs der Welt schauen: die Realität ist leider noch enttäuschender als jedes Videospiel je simulieren könnte. Trotzdem lautet die Devise, die uns das serious game lehren möchte: nicht aufgeben. Es gibt ein Ziel. Und wir können dieses Ziel erreichen, trotz aller Enttäuschungen.

Fotos: Titelbild: Patrick Muczczek; Interview: Lukas Vossler; Planeten: pixabay

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2 Kommentare

  1. […] erstellen möchte und man im Studium bereits Kurse zu virtuellen Welten, Extended Reality oder Serious Gaming besucht hat oder weil ein archäologisches Team mittels Drohnenflügen und Georeferenzierung eine […]

  2. […] sind aber nur ein Medium wie jedes andere, mit den man wie bei allen anderen Medien auch alle möglichen Inhalte vermitteln kann. Die Kupferblau hat daher einen Guide zusammengestellt, von Videospielen die nicht nur Spaß machen, […]

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