Neuanfang Themenwoche

Jeder Mensch ist sich selbst ein Anfang – Ein Kommentar

Neuanfänge sind unumgänglich. Sie können erleichternd und erschreckend, aufwühlend und berauschend und grau-glänzend sein. Ein Griff ins Leere oder der Hauptgewinn. Wenn wir meinen, im Chaos und im Trott zu versinken, kann es helfen, sich vor Augen zu halten, dass es aus den Situationen, aus welchen wir momentan meinen, sowieso nie entkommen zu können, einen Ausweg geben kann. Ein Kommentar.

Das Schlagwort heißt “Neuanfang”. Schaut man sich das Wort an, so hat es mehrere Bedeutungen inne.

“Von vorne anfangen”, “Neu anfangen”, “Nochmal anfangen”- Jede dieser Bezeichnungen verkörpern an sich ein und dieselbe Aussage und jede wird in Situationen verwendet, die den Mut erfordern, sich von einer alten, vielleicht vertrauten Situation zu verabschieden. Etwas anderes und Neues zu wagen. In eine andere Stadt zu ziehen, das Studium zu wechseln oder abzubrechen. Einen Job anzunehmen, Abschied zu nehmen, eine Beziehung einzugehen oder sie zu beenden. Sich dafür zu entscheiden, sich einer Bewegung anzuschließen oder ein Start-Up zu gründen. Eine Geburt ist ein Neuanfang, der Jahreswechsel kann es sein, jeder neue Tag ist es an sich auch. Das, was nach und während eines Neuanfangs auf uns zukommt, weiß keiner. Wenn wir vor einer Entscheidung stehen, wünschen wir uns oft, jemand könnte uns sagen, was folgt, wenn wir uns nun für den einen oder den anderen Weg entscheiden. Der Mensch sehnt sich nach Planbarkeit, die doch in so vielen Fällen gar nicht möglich ist und erst eintritt, wenn die ersten nötigen Schritte in eine Richtung getan sind.

“Jedem Anfang wohnt ein Zauber inne”, sagte Hesse. Und ich glaube, nicht nur jedes offensichtliche Ende kann einen solchen Anfang samt Zauber hervorbringen. Hinter jeder Ecke, hinter jedem Gedanken und hinter jeder Begegnung liegt etwas Neues. Es muss nicht gleich der Stadtwechsel oder der neue Job sein.

“Wohlan denn Herz. Nimm Abschied und gesunde”
– Hermann Hesse

Die Philosophin Ina Schmidt meinte einmal: “Wir müssen nicht nur Abschied nehmen, wir können es auch”. Damit spricht sie genau diese uns ständig begleitende Möglichkeit an, unser Leben oder auch nur eine Kleinigkeit, die uns missfällt, umzukrempeln. Wir können uns von einer Wohnung, einer Stadt, einem oder mehreren Menschen verabschieden. Oder aber, wir fangen damit an, Abschied zu nehmen von alten Glaubenssätzen, von Perspektiven, die wir lange Zeit für die richtigen gehalten haben oder auch nur von der Frisur, die uns eigentlich schon seit Jahren irgendwie missfällt.

Abschied und ein neuer Anfang bedeuten ein Ende von etwas. Wie wir das Ende gestalten, liegt jedoch auch in unserer Hand. Sagt man “Auf Wiedersehen”, zu jemandem oder einem Gefühl, so hat man doch nie die Gewissheit, dass das Leben einem nicht das wiederbringen wird, von dem man sich vielleicht fälschlicherweise verabschiedet hat. Vielleicht braucht man einfach nur ein bisschen Vertrauen, dass irgendwie alles gut wird. Auch wenn es ausgelutscht und albern klingen mag. Und vielleicht muss man genau aus diesem Grund zumindest versuchen, keine Angst davor zu haben, etwas Neues zu wagen.

Natürlich liegt nicht jede Veränderung und jeder neue Anfang in unserer Hand. Zwar haben wir oftmals das Privileg, uns dafür zu entscheiden, diesen oder jenen Weg zu gehen. Doch die Veränderungen, die uns das Schicksal und das Leben manchmal uneigenwillig aufzwingt, sind manchmal im Rückblick die Veränderungen, die viel prägender und bedeutsamer sind.

Für mich bedeutet mein Umzug nach Berlin in wenigen Wochen einen Neuanfang. Ich versuchte mir immer vorzustellen, dass ich einen metaphorischen Koffer in der Ecke meines Zimmers stehen habe, den ich schnappen und mich in den nächstbesten Zug setzen kann. Und doch, nun wo es für mich an der Zeit ist, meinen tatsächlichen Koffer zu packen, greift mich eine beklemmende Angst. Angst davor, mein gewohntes Umfeld, meine Freunde und meine Liebe hinter mir zu lassen. Auch wenn ich weiß, dass das nur geografisch ist. Tübingen zu verlassen wird sich anfühlen wie den Sonnenaufgang im Rückspiegel zu betrachten, während vor mir unverbrauchte Chancen liegen, die nur darauf warten, genutzt zu werden. Melancholie und Angst mischen sich mit Dankbarkeit und Vorfreude und schmeckt bittersüß. Doch eigentlich mochte ich die Geschmacksrichtung schon immer.

Foto: Thomas Dinges

 

 

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