Lebensmittel retten, Ressourcen schonen, Bewusstsein schaffen – das Café Mehrrettich in Tübingen macht Nachhaltigkeit erlebbar. Hier treffen gerettete Lebensmittel, das „Pay What You Want“-Prinzip und spannende Workshops auf Gemeinschaft und Ideen, die Lust auf einen nachhaltigen Lebensstil machen.
Es passiert schnell: Maultaschen im Sonderangebot – und schwupps, landet ein Vorrat im Einkaufswagen. Doch das Mindesthaltbarkeitsdatum rückt näher, und ehe man sich versieht, ist es überschritten. Viele Lebensmittel landen dann im Biomüll, obwohl sie noch genießbar sind. Das Team vom Café Mehrrettich hat sich genau diesem Problem angenommen. Sie retten Lebensmittel, die ansonsten weggeworfen würden, und bringen sie zu den Menschen. So entsteht aus Überschüssen eine neue Möglichkeit, Lebensmittel sinnvoll zu nutzen und Verschwendung zu vermeiden.
Die Idee hinter dem Café Mehrrettich entstand durch eine Gruppe ehrenamtlicher Personen von Foodsharing im Raum Tübingen. Diese wollten nicht nur Lebensmittel retten, sondern auch einen Ort für Austausch und Bildung schaffen. Inspiriert von der „Raupe Immersatt“, einem Foodsharing-Café aus Stuttgart, kam die Idee auf, ein eigenes Café in Tübingen zu eröffnen.
Eröffnung im Mai 2024: Durch den Wohnungsmarkt gekämpft und gewonnen
Doch die Suche nach einer geeigneten Immobilie war schwierig, besonders auf dem angespannten Tübinger Wohnungsmarkt. Schließlich hatte das Team Glück und fand die ehemaligen Café-Räume in der Neckarhalde 70, die renoviert werden mussten.
Für die Gründung des Vereins, die Sanierung des Gebäudes und die Bezahlung der Aushilfen war Kapital notwendig. Besonders die Beschaffung der Getränke, die nicht gerettet, sondern extern zugekauft werden mussten, stellte einen hohen Kostenfaktor dar. Um diese finanziellen Mittel zu sammeln, startete das Team eine Crowdfunding-Kampagne mit dem Ziel, 25.000 Euro zu erreichen. Mitte 2024 war es dann endlich so weit: Das Café Mehrrettich öffnete seine Türen in den frisch sanierten Räumlichkeiten. Dort wird nach dem „Pay What You Want“-Prinzip gearbeitet, bei dem die Gäste die Getränke nach eigenem Ermessen bezahlen können. So wurde das Café zu einem Ort der Lebensmittelrettung und des gemeinschaftlichen Austauschs.
Aber das Café Mehrrettich bietet mehr als nur ein gemütliches Café-Ambiente. Es ist auch ein Ort des Lernens. Neben der Rettung von Lebensmitteln geht es auch darum, das Bewusstsein für den Wert von Lebensmitteln zu schärfen. Im Café werden regelmäßig Workshops angeboten, in denen den Teilnehmenden gezeigt wird, wie man Lebensmittel länger haltbar machen kann. Darüber hinaus gibt es Flyer und Informationsmaterialien, die über Foodsharing und einen nachhaltigen Umgang mit Lebensmitteln aufklären.
Über das Mindeshaltbarkeitsdatum und Foodsharing
Oft stellt sich die Frage, ob ein Lebensmittel noch genießbar ist, wenn es länger im Kühlschrank lag. Das Mindesthaltbarkeitsdatum (MHD) gibt hier eine erste Orientierung. Es verspricht, dass das Lebensmittel bis zu diesem Datum – bei richtiger Lagerung – seinen Geschmack, Nährwert und Aussehen behält. Nach Ablauf des MHD ist es nicht zwangsläufig schlecht, aber Geschmack, Konsistenz und Farbe können sich verändern. In vielen Fällen ist das Lebensmittel trotzdem noch genießbar – es lohnt sich also, es vor der Entsorgung zu überprüfen. Das Verfallsdatum oder Verbrauchsdatum hingegen zeigt klar an, bis wann ein Produkt verbraucht werden sollte. Dies betrifft meist sehr leicht verderbliche Produkte oder auch Medikamente. Nach Ablauf des Verbrauchsdatums können gesundheitliche Risiken bestehen, weshalb man bei solchen Lebensmitteln besonders vorsichtig sein sollte. Aus diesem Grund werden Lebensmittel, die dieses Datum überschreiten, nicht über Foodsharing abgeholt und verteilt.
Foodsharing ist dabei eine gemeinnützige Organisation, die es Privatpersonen und Betrieben wie Supermärkten, Tankstellen oder Bäckereien deutschlandweit ermöglicht, überschüssige, aber noch genießbare Lebensmittel zu teilen. Die Abholung und Verteilung der geretteten Lebensmittel werden von lokalen Foodsharing-Vereinen und Initiativen organisiert. Das Besondere: Die Abholung ist für die Ehrenamtlichen kostenlos, ebenso wie das Abholen der Lebensmittel im Café Mehrrettich – ganz ohne Kaufzwang.
Lebensmittel retten: Mit Sinn und Verantwortung
Lebensmittel zu retten, bedeutet jedoch nicht, einfach alles zu verteilen, was gerettet werden kann. Die geretteten Lebensmittel müssen sorgfältig nach den strengen Richtlinien von Foodsharing geprüft werden. Wenn sie gesundheitlich bedenklich sind, werden sie entsorgt – auch wenn es schade ist. Nur Lebensmittel, die sicher verzehrbar sind, dürfen verteilt werden. Niemand möchte schließlich versehentlich ein kulinarisches Abenteuer erleben!
Ein Café zu betreiben, das auf Lebensmittelrettung und Nachhaltigkeit setzt, ist nicht ganz billig. Auch wenn die Abholung der geretteten Lebensmittel kostenlos ist, müssen Miete, Löhne und andere Kosten gedeckt werden. Das Café Mehrrettich arbeitet nicht gewinnorientiert, sondern nur kostendeckend. Aber wie kann man das Café unterstützen?
Wie rettet man das Mehrrettich?
Eine Möglichkeit ist, einfach mehr für die Getränke zu bezahlen, als der Grundpreis verlangt. Dieses Geld wird genutzt, um die Restschulden des Cafés zu tilgen. Eine andere Möglichkeit ist, Souvenirs wie Tassen, Jutebeutel oder Stuhlpatenschaften zu kaufen. Wer noch mehr tun möchte, kann sich einen Platz auf der „Wall of Fame“ des Cafés sichern und das junge Foodsharing-Café auf seiner Reise begleiten.
Beitragsbild: Maxim Herrmann