Politik

Rechtsextremismus: Radikalisierung und Ausstieg

Im Rahmen der Ringvorlesung zu Rechtsextremismus hat am Mittwoch Daniel Köhler vom Landeskriminalamt über Radikalisierung und Ausstiegsarbeit gesprochen. Dabei erklärte er die Besonderheiten der rechtsextremistischen Szene in Deutschland und ging auch auf Fragen zur Rolle der Polizei ein.

Der Hörsaal im Kupferbau ist gut gefüllt: Jung und Alt sind gekommen, um etwas über Rechtsextremismus und das Kompetenzzentrum gegen Extremismus in Baden-Württemberg (Konex) zu lernen. Daniel Köhler vom Landeskriminalamt Baden-Württemberg ist in der Radikalisierungsforschung und Ausstiegsberatung im Rahmen des polizeilichen Ausstiegsprogramms tätig. Im Rahmen der Ringvorlesung „Rechtsextremismus: Erforschen und Entgegentreten“, die vom Institut für Rechtsextremimusforschung in Tübingen veranstaltet wird, berichtet er von seiner Arbeit.

Gegen die Freiheitliche demokratische Grundordnung

Die Zielgruppe des Ausstiegsprogramms seien extremistische Menschen, also solche, die aktiv kämpferisch gegen die Freiheitliche demokratische Grundordnung vorgehen. Dabei sei es egal, von welcher Richtung aus diese bekämpft würde; vor allem arbeiteten sie aber mit Rechtsextremist*innen und Islamist*innen. Aktiv zugehen dürften sie dabei nur auf Menschen, die bereits straffällig geworden sind; nicht selten fänden Gespräche im Gefängnis statt.

Man muss kein Wort gelesen haben, man muss die Ideologie nicht rational verstanden haben, und trotzdem ist sie ganz tief emotional in einem verankert.

Daniel Köhler, Landeskriminalamt Baden-Württemberg

Doch warum radikalisieren sich Menschen überhaupt? Köhler erklärt, dass Radikalisierung immer von mehreren Ursachen angetrieben werde. Eine Gemeinsamkeit sei aber, dass dies immer in menschlichen Beziehungsnetzwerken stattfinde, offline wie auch online. Menschen, die in extremistischen Organisationen aktiv sind, seien durchschnittlich sogar seltener psychisch krank als die Umgebungsgesellschaft; Radikalisierung sei ein normaler psychologischer Prozess. Die Gruppe spiele dabei eine ganz große Rolle: „Viele denken, mein Leben macht gar keinen Sinn mehr, wenn meine Gruppe nicht ihre Ziele erreicht“, so Köhler. Häufige Gründe für die Radikalisierung seien dabei das Gefühl, ungerecht behandelt zu werden, die Suche nach Zugehörigkeit, Ehre oder nach dem Abenteuer. Weiterhin spielen Indoktrination oder Gruppendynamiken eine wichtige Rolle.

Rechtsextremistische Subkultur: Kleidung, Musik, Kampfsport

In der deutschen rechtsextremistischen Szene spiele Subkultur eine besondere Rolle. Kleidung, Musik und Kampfsport seien die wichtigsten Pfeiler zur Schaffung von Netzwerken. „Da sponsort dann zum Beispiel ein Kleidungsversand eine Band und gleichzeitig ist der Leadsänger noch Kampfsportler“, erklärt Köhler. Als Jugendlicher komme man dann zu Beispiel über den Kampfsport rein: „Und dann hat man in dem Netzwerk alles, was man braucht.“

Der Kern extremistischer Szenen sei dabei immer die Ideologie; diejenigen, die Teil des Netzwerkes sind, sehen sich als ideologisch Gleichgesinnte. Ideologie bestehe aus drei simplen Bausteinen: Problem, Lösung und Zukunftsvision. Und sie sei viel niedrigschwelliger, als man glaubt: „Man muss kein Wort gelesen haben, man muss die Ideologie nicht rational verstanden haben, und trotzdem ist sie ganz tief emotional in einem verankert“, sagt Köhler.

Was motiviert Menschen zum Ausstieg?

Im zweiten Teil des Vortrags spricht Köhler über den Ausstieg. Viele, die aussteigen, seien desillusioniert, erschöpft oder zweifelten an der Ideologie. Oft spiele auch der Wunsch nach einem normalen Leben oder die Unterstützung von Freunden oder Familie, die nicht Teil der Szene sind, eine wichtige Rolle. Mögliche Barrieren für den Ausstieg seinen dagegen Angst vor Rache der ehemaligen Gruppe oder die Bindung an Menschen in der Szene. „In Deutschland wird auch der vorbestrafte Neonazi noch Besuchsrecht für seine Kinder bekommen, wenn seine Frau aussteigt.“

Die Menschen brauchen die Wahrnehmung, dass sie jetzt die Chance haben, sich wirklich zu verändern.

Daniel Köhler, Landeskriminalamt Baden-Württemberg

Das Konex berät Menschen, die extremistische Straftaten begangen haben, sowie ihr Umfeld, zum Beispiel Familie oder Fachpersonal. In den letzten Jahren sei auch ein hoher Anstieg an Jugendlichen zu verzeichnen. „Es gibt eine neue Generation von Extremisten im Rechtsextremismus und Islamismus“, so Köhler. Bei der Ausstiegsarbeit müsse man den Menschen auf Augenhöhe begegnen: „Man muss ihnen die Möglichkeit geben, wieder in die Gesellschaft zurückzufinden.“ Deradikalisierung sei ein Identitätswandel, ein schwieriger Prozess, der oft mehrere Jahre dauere. „Die Menschen brauchen die Wahrnehmung, dass sie jetzt die Chance haben, sich wirklich zu verändern, und die können wir ihnen geben“, sagt Köhler. Für ihn sei Ausstiegsarbeit gelebte demokratische Kultur; jeder Ausstieg lohne sich, um die Gesellschaft weniger zu gefährden.

Wo ist das Angebot für die neue Rechte?

Bei der Fragerunde kommen auch kritische Fragen zur Rolle der Polizei und dem Verfassungsschutz auf. Auf die Frage nach der Rolle von V-Leuten meint Köhler, dass er das ethische Problem sehe, damit extremistische Gruppen zu finanzieren, man allerdings keine andere Möglichkeit habe, um an Informationen über diese Gruppen zu kommen. Zu der Frage nach polizeilichen Statistiken, die oft Unsicherheitsgefühle hervorrufen würden, sagt Köhler, dass es nur Eingangsstatistiken seien, man also am Ende nicht die Zahl der tatsächlich Verurteilten sehen würde. Keine Statistik zu haben sei aber auch keine gute Alternative.

Ein weiterer Redner kritisiert die Zielgruppe des Ausstiegsprogramms. Er habe das Gefühl, man kümmere sich nur um die klischeehaften kleinen Neonazis, aber nicht um die neue Rechte: „Für Leute wie Höcke haben Sie doch gar kein Angebot, wo ist das Angebot für den Mainstream gewordenen Rechtsextremismus?“ Köhler erwidert, dass es weiterhin wichtig sei, sich um den klischeehaften Neonazi zu kümmern, auch dürften sie sich als polizeiliches Ausstiegsprogramm nur um straffällig gewordene Menschen kümmern. „Natürlich wird der Ausstieg schwerer, je intellektueller und bekannter man in der Szene ist“, schließt Köhler ab.

Beitragsbild: Claudio Schwarz auf Unsplash (Symbolbild).

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