14 Stücke auf die Bühne bringen und das mit nur elf Stunden Vorbereitungszeit – geht das? Und wie. Das beweist das diesjährige 24 Hour Theatre Festival im Tübinger Brechtbautheater.
Samstagmorgen, kurz vor 9 Uhr. Ich betrete zusammen mit einer Freundin den Brechtbau. Sie hat die Nacht über geschrieben und wird heute – genauso wie ich – als Schauspielerin beim 24 Hour Theatre Festival mitwirken. Im Bus hat sie mir schon ein wenig über die gestrige Schreibnacht erzählt und davon, dass sie erst um 4:30 Uhr ins Bett gekommen ist. (Unseren Artikel über die Schreibnacht findest Du hier). Vor dem Brechtbautheater haben sich schon Theaterlustige versammelt, aufgeregt und gespannt darauf, was sie erwartet. Einige haben schon in den vergangenen Jahren am Festival teilgenommen, viele machen heute zum ersten Mal mit. Auch einige Autor*innen sind heute fürs Spielen oder Inszenieren gekommen, trotz nächtlichen Schreibmarathons und mangelnden Schlafs.
Um 9 Uhr öffnen sich die Türen des Brechtbautheaters und wir können eintreten. Wir verteilen uns auf den Stühlen in den Zuschauerreihen, auf denen nur elf Stunden später das Publikum Platz nehmen wird. Oliver Schröder, der das Festival zusammen mit Manuel Hengge organisiert und moderiert, begrüßt uns. Er erklärt uns den durchgetakteten Ablauf: Nach einem Warm-Up sollen wir eine Einführung in die Basics des Theatermakeups bekommen. Daraufhin folgen Block A, B und C – jeweils eine Stunde lang wird im jeweiligen Block ein Stück geprobt. Dann, die Mittagspause. Nach der Mittagpause nochmals Block A, B und C, wo die Stücke erneut durchgegangen und geprobt werden sollen. Ab 18 Uhr dann die Generalprobe und um 20 Uhr Beginn der Vorstellung. Sportlich. Insgesamt sind in der Nacht 14 Stücke entstanden – das passt ganz gut, denn das 24 Hour Theatre Festival feiert dieses Jahr seinen vierzehnten Geburtstag. Die Stücke sind auf Englisch und Deutsch, erzählt uns Oliver noch und entlässt uns mit diesen Infos ins Warm-Up.
Das Warm-Up vor dem ZfM vergeht schnell. Stimmübungen und Körperrütteln wecken uns auf und machen Lust aufs Spielen. Neben den geläufigen Theaterspielen und Konzentrationsaufgaben machen wir auch einige unkonventionelle Aufwärmübungen. Eine Zweierübung, bei der wir uns mit dem Rücken aneinander lehnen müssen und eine Person dann ein Schwein ist, das sich an dem Baum – der anderen Person – den Rücken reibt, sorgt für Lacher. Nach dem Aufwärmen treffen wir über Zoom zwei Ehemalige der Provisional Players – der englischsprachigen Gruppe am Brechtbautheater, die auch das Festival organisiert. Sie erklären und demonstrieren uns, wie wir uns am Abend für die Bühne schminken müssen. Dann ist es endlich so weit: Wir werden unserem ersten Theaterstück zugeteilt und die Proben beginnen mit Block A.
Ein wilder Mix an Theaterstücken
Mein erstes Stück spielt in der Zukunft und handelt von zwei ahnungslosen Einbrecherinnen und einem hundertjährigen Alpha-Male-Influencer, der aufgrund einer Überdosis an Protein-Pulver zu einem Zombie mutiert ist. Fünf Seiten lang ist der Spaß, mit viel Text und vielen Regieanweisungen. Sofort schwebt die große Frage im Raum: „Müssen wir den ganzen Text bis heute Abend auswendig können?“ Oliver beruhigt uns, wir dürfen unsere Manuskripte mit auf die Bühne nehmen. Nach der Rollenzuteilung und einem Table-Read – also einem ersten Durchlesen des Stücks in den verteilten Rollen – bleibt nicht mehr viel Zeit übrig von der einen Stunde, die wir haben. Wir gehen das Stück durch, schaffen es aber nicht, alles von Anfang bis Ende durchzuspielen, denn schon müssen wir zur nächsten Probe. Wir verabschieden uns von unserer Regisseurin. Heute Nachmittag werden wir eine weitere gemeinsame Stunde für das Alpha-Zombie-Stück haben.
Aus der Zombie-Zukunft geht es für mich in Block B in eine ferne Fantasy-Vergangenheit zu einer rebellischen Prinzessin und einem müden Drachen. Mit drei Seiten ist dieses Stück kürzer, aber auch hier verfliegt die Zeit. Dennoch schaffen wir es in Block B, das Stück durchzuspielen. Dann ist es auch schon Zeit für Block C. Ich werde in Block C keinem Stück zugeteilt, denn nicht alle Schauspieler*innen spielen in jedem Block mit. Für mich geht es also in eine verlängerte Mittagspause, in der ich versuche, meinen Text und das Geprobte zu verinnerlichen. Um 14 Uhr ist dann Mittagspause für alle. Wir machen einen kurzen Abstecher in den Kostümfundus des Brechtbautheaters und ich bin erstaunt darüber, wie viele coole Kostüme und Requisiten im Keller des Neuphilologikums gelagert sind. Danach geht es mit Freund*innen zum Uni Kebap, der mit Theaterleuten überfüllt ist.
Nach der Pause geht es auch schon weiter mit dem zweiten Probedurchlauf. Das zuvor Erarbeitete wird wiederholt, was im ersten Blockdurchlauf nicht geschafft wurde, aufgeholt. Wir üben zum Teil auch schon mit Requisiten und Kostümen, wodurch sich die zweite Probe schon mehr nach Theater anfühlt, aber immer noch nicht ganz bühnenreif. Auch jetzt verfliegt die Zeit viel zu schnell. Insgesamt haben wir für jedes Theaterstück nur zwei Stunden Probezeit: eine Stunde vormittags und eine Stunde jetzt. Sicher mit den Stücken fühlen einige meiner Schauspielkolleg*innen und ich uns noch nicht, aber wir haben ja noch die Generalprobe, denken wir uns.
Die Aufregung steigt
Die Generalprobe um 18 Uhr entpuppt sich als Schnelldurchlauf für die Technik. Der Tech-Run ist durchgetaktet und es bleibt keine Zeit, die Stücke auf der Bühne noch einmal kurz durchzugehen, denn in zwei Stunden wird es bereits mit der Aufführung losgehen. Ein bisschen Nervosität und Unsicherheit macht sich in mir und auch anderen Schauspieler*innen breit. Es ist ein komisches Gefühl, ein Stück aufzuführen, ohne es zuvor auf der zu bespielenden Bühne geprobt zu haben. Doch auch für Zweifel bleibt keine Zeit und schon ist es 19:30 Uhr und das Publikum wird in den Brechtbau eingelassen.
Kurz vor 20 Uhr gibt Oliver uns noch einen Pep-Talk. Gleich ist es so weit und wir können dem Publikum die Ergebnisse der letzten 24 Stunden präsentieren. Ich spiele im ersten Stück mit und eröffne mit meinen fünf Mitspieler*innen mit A Dragon You Say? den Abend. Wir warten im Backstage, während Oliver und Manuel sich an das Publikum wenden, das Konzept des Festivals erklären und uns schließlich anmoderieren. Die Aufregung ist groß. Der Saal wird dunkel, das Publikum verstummt, die Moderatoren gehen von der Bühne. Über die Holztreppe verlassen wir das Backstage und treten vor den Vorhang. Das Bühnenlicht geht an und strahlt uns ins Gesicht, das Adrenalin kickt und plötzlich sind wir im Flow. Das Publikum scheint Spaß zu haben und es wird viel gelacht. Schon haben wir unser erstes Stück zu Ende gespielt. Nach dem ersten Applaus, den wir ernten, weiß ich: Das Theaterexperiment ist gelungen – trotz vorheriger Unsicherheiten und der Aufregung. Und somit Bühne frei für eingefrorene und wieder aufgetaute Kryonik-Macho-Männer, für existenzielle Gespräche zwischen Katze und Besitzerin, für Zombies, Mord und Totschlag. Bei diesem wilden Theaterabend ist alles dabei.
Beitragsbild: Miriam Mauthe