Wissenschaft

Auf dem Weg zur Klimaneutralität – Welche Rolle spielt die Energieversorgung?

Wer über Klimaneutralität spricht, kommt um die Energiewende nicht herum. Wenn wir Strom nur noch regenerativ gewinnen, also über erneuerbare Energien wie Wind, Wasser und Sonne, können wir eine ganze Menge Emissionen einsparen. Dass wir mit Erneuerbaren nicht nur Emissionen, sondern vor allem auch Energie sparen können, davon ist selten die Rede. Am Montag der vorletzten Woche ging es jedoch genau darum: In seinem Vortrag „Wie viele Windräder brauchen wir? Unser Energiebedarf und wie wir ihn regenerativ decken können“, dem letzten der Studium-Generale-Reihe im vergangenen Jahr, erklärte der Physiker Prof. Dr. Josef Jochum wie viel Energie wir tatsächlich benötigen und wie wir das regenerativ schaffen können.

Nach dem Vorwort von Prof. Dr. Thomas Potthast, Leiter des Beirats für Nachhaltige Entwicklung der Universität Tübingen (BNE), beginnt Jochum, der ebenfalls im BNE tätig ist, mit der übergeordneten Frage des Abends: Wie viel Energie brauchen wir? Dafür erklärt er zunächst die üblichen Energie-Einheiten und nennt einige Zahlen als Anhaltspunkt für unseren Energieverbrauch: Ein Heizlüfter mit einer Leistung von 1000 Watt eine Stunde laufen zu lassen, entspreche einem Energieverbrauch von einer Kilowattstunde (kWh). Da ein Watt einem Joule pro Sekunde gleicht, entspreche das einer Energiemenge von 3,6 Mio. Joule (J), also 3.600 kJ, was wiederum nicht ganz einer Kilo-Kalorien (kcal) entspricht. So entspricht ein Kilogramm Butter 7.400 kcal, knapp 31 Mio. J, was einer Leistung von etwas mehr als 8,5 kWh entspricht.

Die Energie von einem Liter Öl entspreche einer Leistung von etwa 10 kWh, von einem Kilogramm Holz etwa 4 kWh. Bei leichter körperlicher Arbeit haben Menschen einen Grundumsatz von durchschnittlich etwa 3 kWh, unser Energieverbrauch durch Konsumgüter ist allerdings wesentlich höher: Durch Verkehr, Elektrogeräte, Ernährung und mehr kämen wir laut Jochum in Deutschland auf einen jährlichen Energiebedarf von insgesamt 12.000 Petajoul (Billiarden Joul). Das ist eine 12 mit 18 Nullen und entspricht umgerechnet einer Leistung von 113 kWh pro Person und Tag.

Deutschland liegt mit seinem Energieverbrauch über den meisten Ländern in Europa und weltweit.
Bild: SoundVision Productions

Wohin geht die Energie?

Das Problem an unserem hohen Energieverbrauch ist, wie Jochum darstellt, dass wir diesen hauptsächlich durch fossile Energieträger decken. So kämen die durchschnittlichen 113 kWh pro Kopf und Tag unter anderem zustande durch Auto- und Flugverkehr (27 kWh) und Heizung (22 kWh). Kohle alleine hätte 2017 laut einer Grafik 22% unseres Energieverbrauchs ausgemacht, Erdgas und -öl 23%, Mineralöl 34%. Mit 47 kWh gehe größte Teil dieser 113 kWh in die Produktion von Nahrungsmitteln und sonstigen Konsumgütern, wofür fossile Energieträger und Rohstoffe verwendet werden. Das alles führt zu einem durchschnittlichen CO2-Ausstoß von acht Tonnen pro Kopf und Jahr. Allerdings würden die vor Ort entstehenden Emissionen von im Ausland für uns produzierten Gütern auch dort in den CO2-Fußabdruck gerechnet werden. Damit wäre die Zahl deutlich höher als acht Tonnen.

Nun sei eine naheliegende Antwort auf diese Problematik, den Energieverbrauch einfach zu reduzieren. Das sei grundsätzlich auch sinnvoll, so könne man bei Ernährung und Konsum durchaus einiges an Energie einsparen. Unterm Strich mache das jedoch recht wenig aus, wenn die verbleibende Energie weiterhin schmutzig ist, wir aber klimaneutral werden wollen. Jochums Fazit: „Wir können und sollen Energie einsparen, wo es geht. Es wird uns aber sehr schwer fallen, auf einen deutlichen Anteil zu verzichten.“

Die Lösung: Erneuerbare Energien

Den deutlich größeren Hebel sieht er daher in der Art unserer Energiegewinnung. Wie viele Redner*innen vor ihm stellt auch der Astro- und Teilchenphysiker das SDG seines Vortrags in die Mitte aller Nachhaltigkeitsziele. Ohne saubere Energie (SDG 7) sei keines der anderen SDGs vollständig realisierbar. Auf einzelne Ziele ging er dabei nicht näher ein, stellte aber unter anderem SDG 6 (sauberes Wasser und Sanitär-Einrichtungen), SDG 13 (Maßnahmen zum Klimaschutz) und SDG 3 (Gesundheit und Wohlergehen) in den Vordergrund.

Klimaneutralität geht nur mit 100% Erneuerbaren.
Bilder: Vereinte Nationen.

Ökostrom spart Energie

Doch damit nicht genug, denn mit Ökostrom ließe sich sogar unser Energieverbrauch reduzieren. Das liege daran, dass die direkte Verwendung elektrischer Energie grundsätzlich wesentlich effizienter sei, als fossile Kraftstoffe zu verbrennen. Zurückführen ließe sich das auf das Prinzip von Primär- und Nutzenergie: Während die primäre Energie diejenige ist, die einer Ressource prinzipiell innewohnt, also ihrem Energiepotenzial, ist die Nutzenergie diejenige, die bei der Nutzung der Ressource entsteht. Das heißt, dass wir Primärenergie in Nutzenergie umwandeln. So wird etwa die Primärenergie einer gewissen Strommenge von einer elektrischen Heizung in thermische Nutzenergie umgewandelt – also Wärme. Genauso wird bei einem Auto mit Verbrennungsmotor die Primärenergie des Kraftstoffs umgewandelt in kinetische und mechanische Nutzenergie (Bewegung und Arbeit) – allerdings nur zum Teil, laut Jochum etwa 25%. Der Rest geht über Reibung und Wärme verloren, ist also nicht nutzbar. 

Bei elektrischer Energie sei jedoch die Primärenergie fast gleich mit der Nutzenergie: Während bei einem Verbrenner zunächst Öl verbrannt wird und die thermische Energie dann zu einem relativ geringen Anteil in nutzbare mechanische Energie umgewandelt wird, werde bei einem Elektroauto die elektrische Energie fast vollständig in mechanische Energie umgewandelt. Allerdings müsse man auch die Art der Stromproduktion bedenken, denn beim Umwandeln der potentiellen Energie fossiler Rohstoffe in thermische und schließlich elektrische Energie, gehe über die Abwärme wieder enorm viel Energie verloren. Diese Energieeffizienz gelte also wirklich nur für Ökostrom, für dessen Produktion schließlich auch keinerlei Ressourcen verbraucht werden – abgesehen von der Infrastruktur.

Unsere Emissionen ließen sich durch Erneuerbare Energien zum überwiegenden Großteil vermeiden. Bild: Statista

Unser eigentlicher Energiebedarf

Dass die Nutzung von Ökostrom auch unseren Energiebedarf reduziert, liegt daran, dass dieser dem Verbrauch an Primärenergie entspricht. So ließe sich bei (nahezu) gleicher Menge von Primär- und Nutzenergie der Bedarf an Primärenergie von 113 auf 64 kWh pro Person und Tag reduzieren, wenn man diesen vollständig mit Wind- und Solarstrom decke. Außerdem ließe sich durch eine entsprechende Wärmedämmung der Energieverbrauch beim Heizen um etwa die Hälfte reduzieren, durch die Nutzung von Wärmepumpen nochmal um etwa zwei Drittel. So würden aus den 22 kWh 4 kWh, was zu einem Gesamtbedarf von 46 kWh führe. Davon könnten erneuerbare Energiequellen wie Biogasanlagen, Wasserkraftanlagen, Geothermie etwa 6 kWh stemmen, den Rest müssten entsprechend Wind- und Sonnenenergie leisten.

Die hohe Wirksamkeit von Wärmepumpen erklärt der Physiker mit ihrer Wirkungsweise, die der eines Kühlschranks gleicht. Während ein Verbrennungsmotor sehr viel Wärmeenergie in nur etwas nutzbare mechanische Energie umsetzt, ist es hier genau umgekehrt: Ein flüssiges Kühlmittel wird über die Umwelt (Außenluft, Grundwasser oder Boden) erwärmt und vergast. Ein Kompressor erhöht den Druck auf das Gas, woraufhin dieses kondensiert. Dabei wird Wärme freigesetzt, welche an ein Zentralheizungssystem (meist mit Wasser) weitergegeben wird. Dann wird das Kältemittel wieder vergast, erwärmt und dem Kreislauf zurückgeführt. Dabei wird mehr Wärmeenergie transportiert als elektrische und damit auch mechanische Energie dafür eingesetzt wird. Die Effizienz von Wärmepumpen liegt laut dem Physiker dadurch im Jahresmittel bei 200-400%. Zum Vergleich: Die direkte Umwandlung von elektrischer in thermische Energie hat eine Effizienz von 100%. Auch bei Wärmepumpen bleibt die Gesamteffizienz aber nur bei der Verwendung von Ökostrom so hoch.

Solar- und Windenergie sind äußerst effizient und für die Energiewende unabdingbar. Bild: Andras Gücklhorn auf Unsplash.

Schließlich kommt Jochum zur Beantwortung der eigentlichen Frage des Abends: Wie viele Windräder brauchen wir? Decken wir die 40 kWh mit Wind und Solar, sind das 20 kWh pro Person und Tag für beide Energieträger. Aktuell seien 56.000 Megawatt Windkraft installiert, das mache 130 Terrawattstunden im Jahr und 4,3 kWh pro Person und Tag. Für 20 kWh bräuchten wir also knapp fünfmal so viel Windkraft wie aktuell vorhanden. Im Schnitt reiche ein Windrad für gut 1000 Verbraucher, damit bräuchten wir deutschlandweit etwa 80.000 Windräder, 50.000 mehr als bislang. Bei Solarenergie berechnet er auf selbem Wege eine bisherige Leistung von 1,6 kWh pro Person und Tag. Damit bräuchten wir eine 12-mal so hohe Abdeckung durch PV-Anlagen als aktuell der Fall ist. 

Zum Schluss betont der Physiker, dass diese Zahlen nur grobe Schätzungen seien und er auf einige Aspekte nicht näher eingehen konnte. Kernenergie, Energiespeicherung und Kraft-Wärme-Kopplung etwa seien jedoch durchaus wichtige Faktoren zur Ermittlung von benötigter und durch Energieträger erbrachter Leistung, besonders in Hinsicht auf Dunkelflauten.

Wer sich im Detail für die genannten Zahlen oder die Grafiken des Vortrags interessiert, findet die Folien der Präsentation auf ILIAS. Der Kursordner ist unter folgendem Pfad auffindbar: Veranstaltungen Magazin WiSe 23/24 > Außerfakultäre Veranstaltungen > Studium Generale > Vortragsreihe 17 SGDs. Das Passwort für den Kurs lautet StudGenSDG. Externe ohne ZDV-Uni-Account können per Mail an nachhaltig@uni-tuebingen.de Zugang zu dem ILIAS-Ordner beantragen.

Beitragsbild: Appolinary Kalashnikova auf Unsplash.

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