Es weihnachtet sehr: Auf der ganzen Welt wird Weihnachten unterschiedlich gefeiert – mal gar nicht, mal ausgiebig. Weihnachtsbräuche variieren dabei von Kultur zu Kultur und besitzen ihre eigenen kleinen Geschichten und Legenden rund um das Weihnachtsfest. Taucht ein, in eine kleine interkulturelle Reise!
Tübingen mag vielleicht eine kleine Stadt sein, dennoch finden sich in ihr viele Menschen mit unterschiedlichen Herkünften, anderen Religionen und Nationalitäten wieder. Somit sieht auch das Weihnachtsfest in jedem Haushalt etwas anders aus. Traditionelle Rituale und Gewohnheiten variieren, aber ein Aspekt bleibt: In jeder Kultur tragen Weihnachtsbräuche dazu bei, festliche Stimmung zu verbreiten und die Bedeutung von Weihnachten zu zelebrieren. Um ein Gefühl für Weihnachtsbräuche in anderen Kulturen zu gewinnen, werden wir euch heute zwei Länder vorstellen.
Weihnachten weltweit: Klangerfüllt in Griechenland
24. Dezember, 19:26 Uhr. Es klingelt an der Tür. Einmal kurz. Aus der Küche hört man das Blubbern einer köchelnden Suppe; das leise Zischen von Zwiebeln, die gerade in Olivenöl gegeben werden, und den harmonischen Klang von aufsetzenden Löffeln in Kochtöpfen. Die Tür klingelt noch einmal, doch das Ringen verschmilzt mit der Geräuschkulisse aus der Küche. Erst beim dritten Mal durchdringt der Ton die Duft- und Geräuschwolke der weihnachtlichen Essensvorbereitungen und verschafft sich im Haushalt Gehör. „Ich komme sofort!“. Du machst die Tür auf und blickst in ein Dutzend strahlender Kindergesichter, mit Triangeln, Gitarren und Flöten in der Hand. „Kommt alle schnell zur Tür, sie sind da“ wird ins Haus gerufen und binnen Sekunden steht der ganze Hausstand an der Tür und wartet gebannt auf die Frage der Kinder, die sofort folgt: Να τα πούμε (Na ta poume)?
Na ta poume? – Die am häufigsten gestellte Frage vor Weihnachten
Diese Frage wirst du sehr oft hören an Heiligabend. Wörtlich bedeutet es so viel wie „Können wir sie sagen“? Und darauf gibt es auch nur eine einzige mögliche Antwort: Να τα πείτε (Na ta peite)! „Ja, sagt sie auf!“ Sie, – das sind die Kalanta. Traditionelle Vorweihnachtslieder, die an Heiligabend gesungen werden und auf das Fest einstimmen sollen. Dafür ziehen jährlich (Kinder-)gruppen von Haus zu Haus und singen direkt an der Türschwelle. Doch weil auch viele Familienmitglieder auch weiter weg wohnen, überbrückt gerne auch mal das Telefon die Distanz und bringt Musiker*innen und Hörer*innen näher. Am Ende jedes Vorsingens warten dann die Kinder auf eine kleine Spende, um ihre Sparbüchsen aufzufüllen.
Ihren Ursprung hat diese singende Tradition wohl im griechischen Altertum, als Kinder beim Fest der Pyanopsia zu Ehren von Apollon von Haus zu Haus zogen und das Eiresión, einen geschmückten Olivenzweig, trugen und singend um Gaben baten. Später wurde es zunächst im Byzantinischen Reich noch wegen seiner paganen Form verboten, ehe es dann christianisiert wurde und die Inhalte der Lieder auf die Geburt Christi übertragen wurden – als glückverheißende Botschaft. Die gesungenen Texte reichen somit weit zurück!
Das Jesuskind in Kohlrouladen
Die richtigen Feierlichkeiten beginnen dann erst am 25. Dezember mit der weihnachtlichen Messe. Sie markiert auch das Ende der 40-tägigen Fastenzeit und so ist die Freude und die Üppigkeit beim Esstisch nicht zu überbieten. Mit dem 25. endet aber nicht etwa das Weihnachtsfest – ganz im Gegenteil. Die Feierlichkeiten beginnen erst so richtig und dauern ganze zwölf Tage an, die natürlich auch von Essen geprägt sind. Das vielleicht charakteristischste griechische Weihnachtsgericht sind Lachanodolmades, gefüllte Kohlrouladen mit einer speziellen Zitronen-Ei-Sauce. Das Gericht hat einen hohen symbolischen Charakter, denn die eingewickelte Füllung steht für das neugeborene Jesuskind, wie es von seinen weißen Laken umwickelt ist – daher auch der weiße Kohl. Weihnachten wird also in allen Bereichen zelebriert: Der Lieder, der Messe und der Küche
Vom Holzschiff zum Weihnachtsbaum
Aber das Auge isst ja bekanntlich auch mit und so darf entsprechende Raumdekoration natürlich auch nicht fehlen. Doch anders als vielleicht in Deutschland gewohnt, findet sich in der Wohnung eher kein Weihnachtsbaum vor. Stattdessen werden traditionell kleine Holzschiffe geschmückt. Die Schifffahrt ist seit jeher eine zentrale Stütze des Landes und prägt den Alltag der Menschen in Griechenland sehr. Gerade in vergangenen Zeiten, als Familienmitglieder auf hoher See unterwegs waren, symbolisierten die kleinen Schiffchen das sich Sehnen der zurückgeblieben Angehörigen nach ihren Liebsten. Deswegen werden sie in den Häusern immer mit der Spitze in die Mitte des Hauses zeigend ausgerichtet – niemals zur Tür –, um den Heimkehrenden als Willkommensgeschenk zu dienen. Erst mit dem Bayer Otto von Wittelsbach, Griechenlands erster König von 1832-1862, kam die Weihnachtsbaum-Tradition nach Griechenland. Auch wenn mittlerweile der Weihnachtsbaum in Griechenland immer stärker verbreitet ist, wirst du immer noch viele Holzboote finden – gerade auf den Inseln.
Weihnachten weltweit: Die polnische Wigilia
Cześć! Komm doch rein und feiere mit uns ein traditionelles polnisches Weihnachtsfest! Wigilia – der Heilige Abend – wird in Polen als einer der wichtigsten und festlichsten Tage des Weihnachtsfestes gefeiert. Die Wigilia-Feierlichkeiten beginnen am Abend des 24. Dezembers und sind reich an Traditionen.
Der festliche Zauber eines geschmückten Weihnachtsbaumes
Die erste Sache, die dir ins Auge sticht, ist der eben erst fertig geschmückte Weihnachtsbaum. In Polen spielt der Weihnachtsbaum eine zentrale Rolle während der festlichen Jahreszeit und seine Tradition geht bis ins 19. Jahrhundert zurück. Der Baum wird üblicherweise erst an Wigilia aufgestellt und geschmückt. Traditionell dekoriert die ganze Familie das Gehölz mit roten Äpfeln, Nüssen, Kerzen und handgefertigten Verzierungen. Natürlich leben wir im 21. Jahrhundert, weswegen du auch einige gekaufte Glaskugeln an dem Weihnachtsbaum baumeln siehst. Der Weihnachtsbaum symbolisiert in Polen die Freude und den Reichtum des Lebens – die Lichter an dem Baum sollen das Christuskind repräsentieren. Somit ist er mehr als nur eine festliche Dekoration – er verkörpert die Werte von Familie, Tradition und die Bedeutung des Weihnachtsfestes in der polnischen Kultur.
Der Stern am Nachthimmel
Du schaust dich um und entdeckst den reichlich gedeckten Esstisch. Schon etwas hungrig, versucht du dir einen kleinen Snack zu ergattern. Doch oh weh, du kommst nicht unbemerkt davon: Babcia kommt und schlägt dir als Strafe mit einem Kochlöffel auf die Finger! Das Weihnachtsfest in Polen beginnt traditionell erst, wenn der erste Stern am Himmel entdeckt wird. In Polen ist dieser nämlich ein symbolträchtiges Element während der Wigilia. Mit seinem Erscheinen und dem Brechen des opłatek, einer geweihten Oblate, beginnt das Festessen. Der Stern wird in der christlichen Tradition mit dem Stern von Bethlehem in Verbindung gebracht, der die Geburt Jesu angekündigt haben soll. Der erste Stern am Himmel, der während Wigilia zu sehen ist, ist somit ein poetisches Symbol, das den Geist von Weihnachten und die Bedeutung des gemeinsamen Feierns unterstreicht.
Kein Fleisch – dafür reichlich Fisch
Die Familie ist am Esstisch versammelt und endlich kann das festliche Abendmahl beginnen! Das Wigilia-Abendessen besteht oft aus zwölf Gerichten, die für die zwölf Apostel stehen. Fleisch wird vermieden, stattdessen dominieren Fischgerichte wie Karpfen, Hering oder Lachs den Tisch. Ein beliebtes Element ist die barszcz, Rote-Bete-Suppe, oft begleitet von uszka, gefüllten Teigtaschen.
Ein Teller für den unsichtbaren Gast
Du schaust dich um und bemerkst, dass ein Teller auf dem Tisch leer bleibt: In der polnischen Weihnachtstradition gibt es den Brauch des pusty talerz oder leeren Teller. Der leere Teller wird auf dem gedeckten Tisch platziert und repräsentiert die Erwartung eines möglichen Gastes oder gilt auch als Symbol für diejenigen, die nicht physisch anwesend sein können, sei es aufgrund von Entfernungen oder weil es sich um bereits verstorbene Familienmitglieder handelt.
Es ist eine Geste der Gastfreundschaft und des Gedenkens an Abwesende und unterstreicht den Geist der Großzügigkeit und des Teiles, der während der Weihnachtszeit in Polen besonders betont wird.
Vorsicht vor dem Nähen – die Verstorbenen sind mal wieder zu Gast!
Das Essen schmeckt sehr gut und du isst mehr, als dein Magen aushält… Doch was passiert denn da! Dir ist doch glatt der Hosenknopf weggesprungen. Auch wenn Babcia überaus gute Näh-Fähigkeiten besitzt, musst du den restlichen Abend ohne Hosenknopf auskommen, denn: An Wigilia ist das Nähen verboten! Die Seelen der Verstorbenen, die durch den leeren Teller eingeladen wurden und vielleicht im Raum schweben, dürfen nicht versehentlich angenäht werden. Werden sie angenäht, bedeutet das für dich Unglück. Schließlich sind die verstorbenen Seelen nur Gäste und müssen wieder ins Jenseits zurückkehren können.
Pasterka: Die heilige Mitternachtsmesse
Es wird spät und der Abend neigt sich langsam dem Ende zu… glaubst du zumindest! Doch das Wichtigste steht noch bevor – die Pasterka. Die Mitternachtsmesse, Pasterka, ist eine besondere liturgische Feier in Polen während der Weihnachtszeit. Diese Messe wird in der Regel um Mitternacht des 24. Dezember abgehalten und markiert den Beginn des Weihnachtstages. Die Pasterka ist für viele Polen eine bedeutsame Tradition: Die Kirchen sind oft festlich geschmückt und mit Kerzen beleuchtet. Während der Messe singen die Gläubigen traditionelle Weihnachtslieder und hören die frohe Botschaft der Geburt Jesu. Eine der Höhepunkte der Pasterka ist das Singen von Koledy – polnischen Weihnachtsliedern. Diese Lieder haben oft eine tiefe kulturelle Verbindung und sind eine Möglichkeit, die festliche Stimmung zu teilen. Die Mitternachtsmesse ist eine Gelegenheit für Gläubige, die spirituelle Bedeutung von Weihnachten zu feiern und den religiösen Aspekt des Festes zu betonen.
Der Abend war ein voller Erfolg: Alle Gäste sind satt, die Kinder gehen ins Bettchen, Dziadek hat einen Glas Schnaps zu viel getrunken und tanzt mit Babcia im Wohnzimmer herum, und du – du bist nun eingeweiht in die polnische Art, Wigilia zu feiern.
Das Ende einer kulturellen Reise
In einem bunten Reigen von Gesängen und festlichen Ritualen haben wir gemeinsam die zauberhafte Vielfalt von Weihnachten in Griechenland und Polen entdeckt. Der Abend klingt aus, die Sterne leuchten am Himmel und egal, welche Bräuche wir zelebrierten, eines bleibt bestehen: Die Freude am Teilen, die Wertschätzung für Familie und die Hoffnung auf ein harmonisches neues Jahr. Möge diese festliche Reise durch verschiedene Traditionen uns daran erinnern, dass Weihnachten überall auf der Welt ein Fest des Miteinanders und der Liebe ist. In diesem Sinne wünschen wir euch eine besinnliche Zeit und ein frohes neues Jahr – voller kultureller Vielfalt und herzlicher Gemeinschaft!
Text: Aléxandros Mantzaridis und Selin Tasdemir
Beitragsbild: Kupferblau
Schöne Bilder und toller Artikel. Alles wurde kurz und knapp, aber dennoch spannend verfasst. Hätte gerne noch mehr Bräuche aus anderen Ländern gesehen.
Top Artikel!
Ist immer wieder ein wundervolles Vergnügen, diese Artikel zu lesen! Besonders gefällt mir das Adventskalender-Format. Toll! LG