Kultur

Badeerlebnis in der Pfleghofkapelle

Joseph Haydn, Georg Friedrich Händel, Georg Philipp Telemann, Christoph Graupner. Diese großen Meister der Komposition haben nicht nur ihr herausragendes Talent gemeinsam, sondern gehören außerdem allesamt der Epoche der Frühen Neuzeit an. Am Abend des 8. November erklingen die altehrwürdigen Melodien nun im Musikwissenschaftlichen Institut im Pfleghof: Kur- und Bademusik der Frühen Neuzeit wird gespielt. 

Der Sonderforschungsbereich Andere Ästhetik 

Seit 2019 befasst sich der Sonderforschungsbereich 1391 (kurz: SFB) Andere Ästhetik mit der Kunst und Kultur der Vormoderne. Die Vormoderne grenzt sich grob in den Zeitbereich ab dem 6. Jahrhundert a.D. bis zum 18. Jahrhundert a.D. ein. Im SFB wird danach gefragt, was Kunst ist, was sie kann und, wie die vormoderne Kunst den gegenwärtigen Forschungsdiskurs prägen kann. Im Rahmen der diesjährigen Science and Innovation Days in Tübingen waren die Forschenden der Anderen Ästhetik nicht nur auf der Science Fair mit einem eigenen Stand mit von der Partie, sondern organisierten auch ein Konzert. Kunst zum Anfassen, könnte man sagen. Oder wenigstens zum Anhören. Am 8. November ludt der SFB in die Pfleghofkapelle zu einem ganz besonderen akustischen und visuellen Erlebnis: Bade- und Kurmusik der Frühen Neuzeit wurde zum Klingen gebracht, untermalt von einer beeindruckenden Lichtinstallation der Tübinger Agentur Leuchtwerk. 

Der beleuchtete Pfleghof lädt Interessierte zum Konzert ein. Bild: Sophie Traub

Heilung und Reinigung durch Bade- und Kurmusik 

Balneologie (Bäderheilkunde) und die dafür eigens komponierte Musik waren in der Frühen Neuzeit ein weit verbreitetes Phänomen – heutzutage bleiben uns nur die Musikstücke aus dieser Zeit, um einen Eindruck zu gewinnen. Der Gedanke, dass zur Gesundung nicht nur die physische Konstitution, sondern auch die Psyche eine Rolle spielt, stammt aus dieser Zeit, ist aber heute genauso relevant, wie damals. Um auch Seele und Geist etwas Gutes zu tun, gab es die Kur- und Bademusik, der Besucher*innen der Pfleghofkapelle am gestrigen Abend lauschen durften. 

Die acht Musikant*innen spielen kunstfertig die Kur- und Bademusik der Frühen Neuzeit. Video: Patrick Gerstofer

Klänge aus einer anderen Zeit

Acht Musikant*innen (sieben Streicher*innen und ein Klarinettist) betreten um kurz nach 20:00 Uhr die schlichte Bühne in der Pfleghofkapelle, direkt unter der mächtigen Orgel. Sie alle sind Studierende der Musikwissenschaften und spielen nicht das erste Mal gemeinsam auf. Die zarten, eingängigen Melodien umschmeicheln die Besucher*innen des Konzerts und werden komplettiert von Leuchtinstallationen, projiziert an die hohe Decke des Gebäudes. Trotz der allgegenwärtigen Kälte in der bis ins Jahr 1492 zurückdatierten Kapelle, spielen die Musikant*innen fingerfertig auf ihren Instrumenten, beeindrucken mit diversen Tempiwechseln und erwecken so Händel, Haydn, Telemann und Graupner zum Leben. Die Enge der Pfleghofkapelle, die sich immer mehr füllte, sodass für die letzten Besucher*innen nur noch Stehplätze blieben, scheint wie weggenommen, während die Klangfarben der Bademusik die Lauschenden in eine Zeit entführen, die sich heute kaum noch greifen lässt. Zum Ende hin füllt sich das alte Gemäuer dann auch noch mit Gesang: Angeleitet durch die Musikant*innen singt das Publikum im Kanon ein Lied, das Joseph Haydn für den verstorbenen Hund eines Freundes komponierte – Turk was a faithful Dog, and not a Man. Im Anschluss an das Konzert findet ein reger Austausch zur Bademusik, zur Ästhetik und zum Thema Resilienz statt, dem Motto der Science and Innovation Days 2023.

Beitragsbild: Patrick Gerstofer

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