Wer in den Semesterferien nicht gerade im Prüfungsstress versinkt, ein Praktikum macht oder in Vollzeit arbeitet, hat vor allem eins: viel Freizeit. Einer der Lieblingsvorsätze junger Menschen lautet: Eine neue Sprache lernen. In unserer Generation beginnt diese Reise meist auf Duolingo. Doch was bringt das eigentlich? Ich habe es für euch ausprobiert – seit ziemlich genau einem Jahr.
Vor ein paar Tagen war es soweit: Die grüne Eule gratulierte mir zu meinem 365-Tage-Streak. Ich lerne also seit einem Jahr Italienisch, unterstützt durch Duolingo, sowie den A1- und A2-Kurs am Fremdsprachenzentrum der Uni. Und wie sieht es inzwischen aus? Ich würde sagen: Abbastanza bene!
Von A wie Arabisch bis Z wie Zulu
Das Angebot bei Duolingo ist wirklich beeindruckend. Für Deutschsprechende gibt es zwar nur Kurse für Englisch, Französisch, Spanisch, und Italienisch, wenn man jedoch Englisch als Ausgangssprache verwendet (was für die meisten Studierenden wohl kein Problem sein sollte), hat man Zugang zu einem nahezu grenzenlosen Angebot: Alle großen Sprachen der Welt, fast alle großen und mittelgroßen Sprachen Europas, auch etwa Niederländisch, Finnisch, oder Tschechisch, asiatische Sprachen wie Chinesisch, Koreanisch, Japanisch, Vietnamesisch und Hindi, bis hin zu einem immer noch beachtlichen Angebot an kleinen Sprachen, wie Irisch, Hawaiianisch, Jiddisch, Haitianisches Kreolisch oder Zulu.
Als ob das noch nicht genug wäre, gibt es sogar Kurse für Klingonisch oder für Hochvalyrisch (die Sprache aus Game of Thrones). Wenn man Spanisch kann und dieses als Ausgangssprache verwenden will, hat man auch Zugang zu Kursen für Katalanisch und Guaraní, eine indigene Sprache mit knapp fünf Millionen Sprecher*innen in Paraguay, Bolivien und Argentinien (Fun Fact: Aus dieser Sprache stammen Wörter wie Maracuja, Jaguar und Ananas).
Lernen wie im Klassenzimmer – nur online
Bei den Sprachkursen von Duolingo geht man als Benutzer einen Pfad entlang, der aus dutzenden Kontrollpunkten aufgebaut ist. Jeder Kontrollpunkt hat ein eigenes Thema, das an dieser Stelle dann erlernt wird. Dies kann ein Thema sein, bei dem man Vokabeln aus einer bestimmten Kategorie lernt, zum Beispiel Tiere, Reisen, Bildung, Politik oder Gefühle, oder es kann ein grammatisches Thema sein wie Imperfekt, Konditional, Futur, oder Konjunktiv. Um einen Checkpoint abzuschließen, muss man in der Regel zwischen vier und zehn Lektionen bearbeiten. Diese Lektionen bestehen aus Aufgaben, die in die vier Kategorien Schreiben, Sprechen, Lesen und Verstehen fallen, so wie im Grunde jeder Sprachkurs aufgebaut ist, online oder offline. Bei Sprachen, die nicht dasselbe Schriftsystem wie die Ausgangssprache verwenden, gibt es noch zusätzlich Lektionen zum Erlernen der Schriftzeichen.
Das Ziel ist, die Sprache spielerisch zu erlernen, die Lektionen machen Spaß und man fühlt sich eher, als ob man ein Spiel gegen andere Spieler*innen spielt als dass man sich Grammatik reinwürgt. Das liegt daran, dass es bei Duolingo ein Liga-System gibt. Zwischen elf Ligen von Bronze- bis Diamantliga kann man wöchentlich auf- oder absteigen. In einer Liga befindet man sich mit 29 anderen zufälligen Benutzer*innen, gegen die man sich dann durch das Sammeln von möglichst vielen Erfahrungspunkten bis Sonntag, 20 Uhr, durchsetzen muss. Dadurch und durch den „Streak“, also die Zahl aufeinanderfolgender Tage, an denen man die App verwendet hat, wird man dazu motiviert, dies kontinuierlich zu tun. Das klingt alles erst mal ziemlich ideal, doch nach längerer Benutzung der App merkt man, dass diese einige Nachteile hat.
Duolingo ist nicht besonders vielseitig
Während des Kurses merkt man recht schnell, dass dieser nicht besonders auf das Land angepasst ist, wo man die Zielsprache spricht. Es gibt ein festes Set an Wörtern, die man zuerst lernt, und diese sind in jeder Sprache gleich. So lernt man auf Irisch zum Beispiel recht früh das Wort nathair (Schlange), obwohl Irland eins von nur zwei Ländern ist, in denen es keine Schlangen gibt. Diese Trennung zwischen Sprache und Kultur ist insofern ein Problem, als dass man, wenn man eine Sprache lernt, aber nichts über die dazugehörige Kultur, eigentlich nur die Hälfte lernt. Man erfährt durch Duolingo zum Beispiel nichts über lokalen Slang und Eigenheiten der Zielsprache. In einem Präsenz-Sprachkurs hingegen lernt man auch etwas über die Kultur des Landes.
Wenn man den Kurs dann abgeschlossen hat, kann man natürlich trotzdem weiterhin Lektionen machen und Erfahrungspunkte sammeln. Jedoch kann das schnell langweilig werden, da man oft nur Sätze und Wörter wiederholt, die man bereits kennt. Da der Duolingo-Wortschatz an sich recht begrenzt ist, kommt man damit in der Realität nur begrenzt weit.
Ohne Aufmerksamkeit kein Lerneffekt
Das größte Problem ist allerdings folgendes: Duolingo ist ein profitorientiertes Unternehmen. Das kann man ihnen natürlich nicht vorhalten, jedoch bringt es einige Probleme mit sich. Erstens fällt schnell auf, dass die Lektionen bei Duolingo recht einfach sind. Das klingt schön und gut, jedoch sollten einem eigentlich da schon die Augenbrauen hochgehen. Egal, was einem seriöse oder weniger seriöse Anzeigen im Internet weismachen wollen, eine Sprache zu lernen ist immer schwierig. Duolingo nimmt einem hier viel Ballast ab: Die Sätze sind meist simpler Struktur, und wenn man ein Wort nicht kennt, kann man einfach darauf klicken und es wird die Übersetzung auf Deutsch (bzw. Englisch) angezeigt.
Außerdem muss man selten eigene Sätze schreiben, meistens werden die Wörter vorgegeben und man muss sie nur in die richtige Reihenfolge bringen (siehe Bildschirmfotos oben). Das liegt auch daran, dass Duolingo von Interaktion durch Nutzer*innen abhängig ist. Profit (durch Werbeeinnahmen) entsteht nur dann, wenn sie die App regelmäßig benutzen, am besten täglich, was durch den Streak auch gewollt ist. Und ohne ein Erfolgsgefühl durch die einfach lösbaren Lektionen sinkt der Anreiz, die App täglich zu öffnen. Dieser Zwang, ebenso wie der Wettbewerbsdruck, der durch das Liga-System kommt, kann auch schnell dazu führen, dass man das, was vorher ein Spiel war, als Belastung wahrnimmt.
Und jetzt?
Sollte man Duolingo also trotzdem verwenden? Meine Antwort darauf ist dennoch ein klares Ja. Allerdings kommt dieses Ja mit einigen Anmerkungen. Erstens: Seid aufmerksam! Die Einfachheit der Lektionen ermöglicht es, im Kurs voranzukommen, ja, sogar, ihn abzuschließen, ohne wirklich etwas gelernt zu haben. Das muss aber nicht sein. Mein Ratschlag lautet hier, sich einfach nicht zu sehr von der App leiten zu lassen. Lasst euch die Übersetzung von einem Wort nur anzeigen, wenn ihr wirklich nicht darauf kommt. Deckt die angegeben Wörter bei den Lese-Aufgaben mit der Hand ab und übersetzt den Satz zuerst für euch im Kopf, bevor ihr gedankenverloren die angegebenen Wörter in die richtige Reihenfolge bringt. Wenn ihr zu einer Höraufgabe kommt, hört euch den Satz erst vollständig an und fangt nicht schon an, die Wörter während des ersten Hörens einzutippen. Konzentration ist das A und O.
Wenn man den Kurs konzentriert macht, und sich vielleicht sogar Grammatik und einige Vokabeln auf Papier mitschreibt, kann man sich die Sprache wirklich gut selbst beibringen. Das hängt aber natürlich auch von deren Einfachheit für deutschsprachige Lernende ab, bei Italienisch klappt das vermutlich leichter als bei Navajo.
Außerdem ist es wichtig, nicht für immer bei Duolingo hängenzubleiben. Wenn man den Kurs abgeschlossen hat, hat man bestenfalls ein A2-Niveau, auch wenn Duolingo etwas anderes behauptet. Die App kann einem also nicht eine Sprache bis zur Perfektion beibringen. Sie kann einem allerdings eine hervorragende Basis dafür verschaffen, seine Kenntnisse zu perfektionieren. Hierfür gibt es mehrere Möglichkeiten. Neben den Kursen am Fremdsprachenzentrum ist auch das Sprachtandem der Uni Tübingen sehr zu empfehlen. Mithilfe dieses semesterunabhängigen Angebots könnt ihr jemanden kennenlernen, der eure Zielsprache spricht und im Gegenzug Deutsch lernen will. Falls sich dort niemand mit der Zielsprache findet, empfiehlt sich die App HelloTalk, eine Art digitales Tandem, bei dem ihr online jemanden kennenlernen könnt, der eure Zielsprache spricht. Mit dieser Person könnt ihr dann wie auf WhatsApp schreiben.
Ihr solltet auch nicht-interaktive Angebote nutzen. Auf Netflix kann man seit einigen Monaten Inhalte nach Sprachen durchsuchen (im Hauptmenü in der Leiste oben). Dort könnt ihr Filme und Serien suchen, die in eurer Zielsprache produziert wurden. Auch zum Lesen gibt es viele Angebote für Lernende. Die Zeitung Die Zeit bringt zweiwöchentlich Magazine für Englisch-, Französisch-, Spanisch- und Italienisch-Lernende eine Reihe an Magazinen unter dem Label Zeit Sprachen heraus, in dem über aktuelle politische, kulturelle und soziale Themen berichtet werden. Schwierige und seltene Wörter werden in einer Vokabelliste unter jedem Artikel auf Deutsch übersetzt.
Wer also eine Sprache lernen will, egal ob für Erasmus oder nur zum Spaß, bekommt viel Unterstützung. Um von dem großen Angebot nicht verwirrt und schlussendlich abgeschreckt zu werden, braucht man eine Routine und eine klare Struktur. Duolingo kann hierbei ein toller Wegbegleiter sein. Doch vor allem sollte man sich bemühen, den Lernprozess in seinen Alltag zu integrieren und sich wirklich für die Kultur hinter der Sprache zu interessieren. Dann geht das Lernen wie von selbst. In bocca al lupo!
Beitragsbild: Duolingo