Kultur

Ein Sommernachtstrauma im ITZ – wie aus einer Komödie eine Tragödie wurde

Chaos und Destruktion – das sind Leitmotive des im ITZ-Sommertheater aufgeführten Stücks Irrlichter. Ein Sommernachtstrauma. Die Elfen sind aus den Wäldern verschwunden – Oberon und Titania, König und Königin des Elfenvolkes aus Shakespeares Originalwerk, sind längst tot. Nur Puck, ehemals Diener und Hofnarr Oberons, ist zurückgeblieben und manipuliert noch immer die Schicksale der Menschen, die sich im Wald wiederfinden. Schrill und clever inszenieren die Schauspieler*innen des ITZ eine dystopische Version von A Midsummer Night’s Dream, in der die Figuren dem entsprechen, was sich unsere Gesellschaft groß gezogen hat: es finden sich ein desillusionierter Elf, ein ausrangierter Handwerker, ein oberflächliches Pärchen und sogar ein gefährliches Bakterium.

Verzaubertes Abenteuer im Wald

Lysander und He(rmia) sind das einzige Paar aus dem Original, das es ins Sommernachtstrauma geschafft hat, und auch auf dieser bescheidenen Bühne präsentieren sich die beiden als, man möchte sagen, anstrengend verliebt, verkitscht und ganz allgemein etwas zu viel. Lysander steckt in einem silbern glänzenden Anzug, He trägt eine Perücke enormen Ausmaßes, die Marie Antoinettes Frisör*innen vor Neid erblassen lassen würde. Die beiden schlafen im Wald ein und Puck verzaubert sie. So weit folgt der Handlungsverlauf dem Sommernachtstraum Shakespeares – außer, dass die Verzauberung nicht durch den Saft einer Blume bewirkt wird (wie auch – der Wald ist nicht mehr der von einst und die Blumen sind längst genmanipuliert), sondern durch den Dampf eines Vapes. 

Als die beiden erwachen, ist Lysander völlig frei von Gefühlen für He, und will sie am liebsten nicht mehr wiedersehen. Er entwickelt floraphile Neigungen und vergnügt sich ausgiebig mit den Pflanzen, die der Wald noch zu bieten hat, erkennt neue Schönheit in ihnen und ruft seiner ehemaligen Geliebten zu: „Gehorche der Natur!“

“Als ob man die Zeit totschlagen könnte, ohne die Ewigkeit zu verletzen.”

Graffito, das von He an die Wand gesprüht wird
Die Handlung wird immer wieder von Musikstücken unterbrochen. Hier singt He, während Puck an den Drums sitzt, Lysander Bass spielt und der ausgediente Mechaniker die E-Gitarre spielt. Bild: Alexander Gonschior

Ein Bakterium von der Titanic

Pucks anderer Plan schreitet währenddessen auch voran: Er will einen Ersatz für die von ihm so geliebte Elfenkönigin Titania schaffen und hat sich dafür ein auf dem Wrack der Titanic gefundenes Bakterium (Halomonas titanicae) beschafft. In einem hautengen bunten Bodysuit und einer Schwimmkappe präsentiert sich das Bakterium. Es ernährt sich von eisernem Schrott (den findet es im zugemüllten Wald zuhauf) und spricht in brabbelnden Zischlauten. Es wirkt gefährlich und unmenschlich – bis es sich verliebt in die fünfte Person auf der Bühne, Zettel, den ehemaligen Mechaniker, der einsam im Wald lebt, umgeben von altem Eisen. Die Liebesbeziehung zwischen den beiden entwickelt sich zuerst nicht ganz einvernehmlich, bis das Bakterium den Mechaniker schließlich beißt und die beiden daraufhin in einem alten Auto komikhaft laut den Liebesakt vollziehen. Durch den Biss verwandelt sich der ehemalige Mechaniker in den von Shakespeare ins Originalstück geschriebenen Esel und im Wald herrscht nun blankes Chaos: Lysander ergötzt sich noch immer lautstark an den Pflanzen, He ist ebenfalls vom Bakterium gebissen worden, während sie schlief, und ist völlig außer sich, das Bakterium selbst will sich seinem Geliebten immer weiter hingeben (mittlerweile sieht es aus wie ein Mensch, trägt eine blonde Perücke und kann sprechen) und Zettel trägt eine pinke Ledermaske über dem Gesicht und gebärdet sich wie ein wilder Esel. Chaos, so wollte es Puck von Anfang an, und lacht sich als mehr oder weniger stiller Beobachter ins Fäustchen, während die Menschen scheinbar immer mehr in Verzweiflung geraten, unter Identitätsverlust leiden und das Bühnenbild immer weiter demoliert wird. Die Szene dauert so lange an, bis Puck siedend heiß einfällt, dass sein „Chef“ über dieses destruktive, chaotische Ende nicht erfreut sein wird – schließlich ist Applaus das, was zählt – und er sieht ein, dass ein Happy End her muss, möglichst schnell. 

Dieses wird dann auch herbeigeführt und Puck lässt den Spuk für alle enden. Die Entzauberung der Figuren im Wald lässt sie da hin zurückkehren, wo sie waren: Das Bakterium will zurück ins Wasser und Lysander und He sind wieder glücklich vereint, naiv und ignorant dem gegenüber, was sie während der vergangenen Stunde gelernt haben, und einfach nur in Partylaune. Puck bringt Champagner und eigentlich könnte das Feiern beginnen. Aber der aus seinem Traum(a) aufgewachte Zettel stört das Happy End. Er spricht von „Reu und Leid“ und der Wahrheit, die niemand sehen möchte. „Wir haben es verbockt“, ruft er den Feiernden, eigentlich der Menschheit im Allgemeinen, zu und versucht verzweifelt, gegen die Idiotie und Ignoranz der anderen anzuschreien. Leider, doch nicht überraschend, wird er nicht gehört, die Party nimmt ein feucht-fröhliches Ende und Puck erhält, was er sich wünschte: großen Applaus. 

Puck lässt das Bakterium Halomonas titanicae auf die Menschen im Wald los . Bild: Alexander Gonschior

Destruktion und Bedeutungslosigkeit

Irrlichter. Ein Sommernachtstrauma verhandelt die großen Themen unserer Zeit, Themen, die die meisten Menschen bereits umgetrieben haben, die aber nie wichtig genug erschienen, um den bequemen Kreislauf des alltäglichen Lebens zu durchbrechen. Die Absurdität zwischen unserem von Konsum und Kurzweiligkeit geprägten Leben im Kapitalismus und der (angeblichen, so sehr gewollten) Naturverbundenheit wird gekonnt durch Lysander und He präsentiert, die sich in den Wald flüchten wollen, um zurück zur Natur zu finden. Sie finden Chaos, Schrott und ein Bakterium – wie man in den Wald hinein ruft, so schallt es zurück, und was man im Wald deponiert, das bleibt auch da und macht den Wald letztendlich krank. 

Ein Sommernachtstrauma persifliert Shakespeare nicht, auch wenn hier und da auf Englisch recht salopp dahin gesagte Zitate aus den Dramen des Dichters auftauchen – es dekonstruiert ihn vielmehr. Aus der Komödie der Vergangenheit wird eine Tragödie der realen Gegenwart. 

Die Rollen der Schauspieler*innen, so wird während des Stücks deutlich, sind ihnen nicht ganz klar. Sie wissen aber eins: „Irgendeine Art von Bedeutung“ wollen sie schon haben. Puck lacht nur darüber – je länger sich das Sommernachtstrauma entwickelt, desto klarer wird: Menschen haben keine tiefere Bedeutung im Universum, sie sind eher eine Krankheit des Planeten Erde. 

Die großen Topoi der Tragödie werden im fesselnden Schlussmonolog des Elfen nochmals deutlich: das menschliche Unvermögen, die eigene Bedeutungslosigkeit hinzunehmen. Die Klimakrise nebst der fortschreitenden Pervertierung und Zerstörung der Natur, die bewusst geschieht. Und die ewige Ablenkung, die „Leichtigkeit des Lebens“, wie Puck es ausdrückt, die uns für die Dringlichkeit dieser Wahrheiten taub und blind hat werden lassen. 

Beitragsbild: Alexander Gonschior.

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