Mina Ahadi ist in einem kleinen Dorf im Iran aufgewachsen. Heute lebt sie seit 27 Jahren in Deutschland im Exil. Über ihre turbulente Lebensgeschichte sowie ihre Sicht auf die fortwährenden Proteste im Iran spricht die politische Aktivistin am Donnerstagabend im Tübinger Club Voltaire. Dort ist der Vortrag das finale Event der Veranstaltungsreihe “Iran”.
Minirock tragen, Marx lesen und in einem Café mit Freunden plaudern. Mina Ahadi blieben diese simplen Freuden in ihrer Jugend verwehrt. Schon früh bemerkte die gebürtige Iranerin, dass ihren Brüdern Privilegien und Rechte zugeschrieben wurden, die sie selbst nicht besaß. Als sie ihre Mutter mit dieser Ungerechtigkeit konfrontierte und eine Erklärung einforderte, wusste diese ihr nur eine Antwort zu geben: “Allah möchte das so”.
Heute bezeichnet die Menschenrechtlerin sich als Atheistin. Ihren Glauben zu verlieren, so Ahadi, war ein schmerzhafter Prozess. Auch blieb ihr Sinneswandel nicht ohne Konsequenzen. Als junge Medizinstudentin entledigte sich Mina Ahadi ihres Tschadors und begann sich in der linken Opposition gegen den damals herrschenden Schah Mohammed Reza Pahlavi zu engagieren. An dieser Stelle betont Ahadi, dass es sich bei der Revolution im Jahr 1979 – entgegen häufiger medialer Darstellungen – um keine islamische Revolution gehandelt habe. Sie selbst, wie auch viele andere Protestierende, hätten Freiheit und Gleichheit angestrebt. Das neue islamische Regime, so berichtet Ahadi, stand gegen diese Grundsätze und schlug die Revolution nieder.
“Frauenrechte sind universell”
Ihr Medizinstudium an der Universität Täbris konnte Mina Ahadi nie abschließen. In ihrem finalen Studiensemester wurde die Aktivistin aufgrund ihrer Beteiligung an einer Protestaktion gegen Vollverschleierung zwangsexmatrikuliert. Zur Angelegenheit des Kopftuchs, das gibt Ahadi auf der Bühne im Club Voltaire zu verstehen, hat sie auch heute noch eine resolute Meinung. Für sie, die die Unterdrückung und Steinigung von Frauen im Iran selbst miterlebt hat, ist die Kopfbedeckung kein bloßes Kleidungsstück, sondern vielmehr eine Waffe – ein Instrument der Unterdrückung und Symbol der Rechtlosigkeit. Die Debatte um das Kopftuch sei daher keine kulturelle, sondern ein politische.
“Frauenrechte sind weder östlich, noch westlich, sondern universell.”
Mina Ahadi
Sichtlich emotional schildert Ahadi die Hinrichtung ihres ersten Ehemanns und ihre darauffolgende Flucht in das kurdische Gebiet des Iran, wo sie neun Jahre lang als Partisanin gegen das Regime kämpfte. Seit 1990 lebt sie nun im Exil – zunächst in Wien, später in Deutschland.
“[In Wien] habe ich die Weltöffentlichkeit kennengelernt”, meint Mina Ahadi. Erste Bemühungen ihren politischen Aktivismus auf diesem Weg fortzuführen und eine Resolution gegen Steinigung zu verabschieden, beispielsweise im Jahr 1993 auf einer Menschenrechtskonferenz in Wien und 1995 auf der UN-Weltfrauenkonferenz in Peking, scheiterten jedoch. Ihre Versuche seien unter dem Vorwand abgetan worden, dass sie einfach aus einer anderen Kultur, aus einem “islamischen Land”, komme. Ahadi lehnt diese Einstellung vehement ab.
“Steinigung ist nicht unsere Kultur. Menschenrechtsverletzung ist nicht unsere Kultur […]. Nein, wir reden über ein politisches Phänomen.”
Mina Ahadi
Im Jahr 2000 gründete Mina Ahadi daher das Internationale Komitee gegen Steinigung. Das Netzwerk konnte mittels gezielter Protestaktionen die Ermordung zahlreicher Frauen erfolgreich verhindern. Weiterhin rief die Menschenrechtlerin 2007 den Zentralrat der Ex-Muslime (ZdE) ins Leben. Dieser bezeichnet seine Grundüberzeugungen als “aufklärerisch-humanistisch” und setzt sich unter anderem für Weltanschauungsfreiheit, universelle Menschenrechte und die strikte Trennung von Religion und Staat ein. Als Vorsitzende des ZdE lebt Mina Ahadi mit massiven Anfeindungen und steht daher seit der Gründung unter Personenschutz.
Ahadi fordert “ernsthafte Maßnahmen” von der deutschen Regierung
Infolge der Ermordung der 22-jährigen Jina Mahsa Amini durch die iranische ‘Sittenpolizei’ im September 2022 erlangte die iranische Widerstandsbewegung internationale Aufmerksamkeit. Sowohl im Iran als auch im Ausland kam es zu Massendemonstrationen in Unterstützung der feministischen Revolution.
“Schon seit 44 Jahren kämpfen Menschen [im Iran] [auf] allen Ebenen gegen eine faschistische, barbarische, frauenfeindliche Regierung.”
Mina Ahadi
Die Protestbewegung verzeichnet Fortschritte, erfährt jedoch zugleich ein hohes Maß an – teilweise tödlicher – Gewalt. Mina Ahadi verurteilt die Hinrichtungen von politischen Aktivist*innen, Religionskritiker*innen und Demonstrierenden auf das Schärfste. Laut Ahadi veranlasst die Islamische Republik Iran alle sechs Stunden die Hinrichtung eines Menschen. Die Menschenrechtlerin fordert die deutsche Regierung auf, ihr Schweigen zu brechen und “ernsthafte Maßnahmen” gegen die “Mordwelle im Iran” zu treffen.
Publikumsreaktionen
Das Publikum im Club Voltaire ist vielköpfig, jung – und hat Fragen. Knapp 40 Minuten lang verbleibt Mina Ahadi nach ihrem Vortrag auf der Bühne, um dem Wissensdurst der Zuschauer*innen gerecht zu werden. Im Verlauf der Fragerunde regt sich Hoffnung und Aktionsbereitschaft unter den Anwesenden. Die Frage „Was können wir normale Menschen tun?“ wird in den Raum geworfen.
Mina Ahadis Antwort lautet: “Man muss auf die Straße gehen, Demos organisieren […] und die Politik unter Druck setzen”. Insbesondere im Hinblick auf die aktuelle Hinrichtungswelle im Iran sei internationaler Beistand entscheidend. Daher ist Ahadi derzeit auch damit beschäftigt, weitere Demonstrationen zu organisieren. Diese sollen im Juni in etwa 100 Städten stattfinden – wenn möglich, auch in Tübingen.
Fotos: Maria Doering