Auf drei Monitoren fließen grüne Zahlenfolgen parallel von oben nach unten. Dramatische Musik. Ein Mann sitzt, ohne auch nur einen Tropfen Schweiß zu vergießen, im Hochstress vor zwei Tastaturen und tippt wie verrückt auf ihnen herum, scheinbar ohne System – bis ein großer Schriftzug Abhilfe verschafft: ZUGRIFF GEWÄHRT. Der Hacker schiebt seine Sonnenbrille nach oben und grinst gelassen. Die Erschaffung des Mythos um das Coding herum ist auf jeden Fall den Medien und der erfolgreichen Filmtrilogie „Matrix“ zuzuschreiben. Besonders Studierende in einem geisteswissenschaftlichen Master an der Universität Tübingen können aber Licht in dieses große Dunkel bringen.
Die Digital Humanities
Aber was sind eigentlich die Digital Humanities (DH) zu Deutsch „Digitale Geisteswissenschaften“, das klingt nach Philosophie am Computer runterschreiben. Machen wir das nicht eigentlich schon als Geisteswissenschaftler*innen? Es ist etwas komplizierter als das; was ein Digital Humanist genau ist, das ist auch im Fachbereich selbst noch zu klären.
Der Diplominformatiker Kevin Körner – einer der zwei Koordinatoren des Masterprofils Digital Humanities der Universität Tübingen – erklärt der Kupferblau im Interview was es mit dem Masterprofil auf sich hat.
Kupferblau: Was sind die Digital Humanities deiner Meinung nach?
Kevin: Die Digital Humanities sind die Schnittstelle zwischen den althergebrachten Geisteswissenschaften auf der einen Seite, z.B. Archäologie, Geschichtswissenschaften, Germanistik und modernen IT-Technologien auf der anderen Seite. Es ist ein sehr breit gefächertes Feld, da es auch nicht ‚die‘ Geisteswissenschaft gibt, sondern sehr viele Fachbereiche mit individuell gewachsenen Forschungsweisen. Allerdings hat sich im Laufe der Jahre auch gezeigt, dass diese durchaus Schnittmengen haben – nämlich in dem Moment, in dem Daten am Computer verarbeitet werden sollen. (Forschungs-)Daten müssen digitalisiert, mit IT-Unterstützung ausgewertet und nach Möglichkeit direkt wieder digital publiziert werden. Sei dies, um eine einfache Nachnutzung der erstellten oder erhaltenen Daten und Ergebnisse über Standards zu ermöglichen oder um auf interaktive digitale Medien für die Wissenschaftskommunikation zu setzen. Auch zeigt sich in den vergangenen Jahren deutlich, dass geisteswissenschaftliche Fachbereiche immer mehr die Reproduzier- und Vergleichbarkeit von Forschungsergebnissen fordern und fördern. Hierfür hat sich in den vergangenen Jahren Standard-Software und -Hardware etabliert, welche zumindest eine Grundlage für die weitere althergebrachte geisteswissenschaftliche Diskussion bietet. Beispielsweise werden in den Sprachwissenschaften Texte mit dem, auf der XML (Extensible Markup Language)-Technologie basierenden, TEI (Text Encoding Inititive)-Standard erfasst und annotiert und anschließend mit der statistischen Datenanalysesoftware R untersucht. Aufgrund der somit gegebenen, einheitlichen Erfassung können sehr schnell große Datenmengen untersucht werden und liefern Argumente für die eigentliche geisteswissenschaftliche Fragestellung. Zudem erlaubt es die Nachvollziehbarkeit der Forschungsergebnisse weltweit verteilter Universitäten wie Tübingen, Standford oder Milton Keynes und belebt den wissenschaftlichen Diskurs zwischen ihnen.
Die Digital Humanities sind letztendlich das Bindeglied, welches versucht für alle geisteswissenschaftlichen Bereiche das grundlegende Wissen zu Technologien und das nötige Vokabular zu vermitteln, damit diese auch in Zukunft exzellente Forschung betreiben können.
Dipl.-Inf. Kevin Körner
Kupferblau: Warum ist es für informatikfremde Studierende sinnvoll, die Profillinie DH anzufangen?
Kevin: Die Frage, die sich da stellt, ist: Kommt man heute im (geisteswissenschaftlichen) Berufsalltag noch ohne IT-Kenntnisse aus? Und da muss ich aus meiner Erfahrung ein klares Nein geben. Generell gibt es leider noch viele Kurse im Studium, die den PC maximal als bessere Schreibmaschine ansehen, der für die Anfertigung der Hausarbeiten und ggf. ansatzweise zu Recherchezwecken genutzt wird. Jedoch kommt irgendwann nach dem Studium der Punkt, an dem man ins Berufsleben einsteigen möchte. Und da zeigt sich immer mehr, dass diejenigen, welche sich bereits mit computergestützten Technologien und deren wahren Potenzialen beschäftigt haben, deutlich bessere Chancen haben ihre Wunschstellen zu bekommen. Sei dies beispielsweise, weil ein Museum eine Virtual Reality Ausstellung erstellen möchte und man im Studium bereits Kurse zu virtuellen Welten, Extended Reality oder Serious Gaming besucht hat oder weil ein archäologisches Team mittels Drohnenflügen und Georeferenzierung eine Ausgrabung erfassen und dokumentieren muss und man im Studium bereits einen Drohnenflugschein erwerben konnte und mit GIS (Geographische Informationssystemen) gearbeitet hat. Auch von Seiten der Wissenschaftsförderer zeigt sich der Drang zum Digitalen: Förderanträge bei der DFG (Deutsche Forschungsgemeinschaft) verlangen mittlerweile einen Datenmanagementplan, der beispielsweise die im Projekt genutzten Standards, die rechtlichen Fragen zu den Daten (Wem gehören die Daten, was geschieht beim (Hochschul-)wechsel von Projektverantwortlichen mit diesen, usw.), verwendete Software oder die Lizenztypen (Proprietär, Open Source, Creative Commons, Open Access, usw.) unter der die Daten veröffentlicht werden beinhaltet. Hierfür ist es einfach essenziell im Begriffsdschungel bereits eine grobe Orientierung zu haben, damit man auf Augenhöhe mit anderen um Förderung konkurrieren kann. Lange Rede, kurzer Sinn: Wenn ich das alles bereits während meines Studiums erlerne, dann habe ich auf dem Arbeitsmarkt ziemliche Vorteile.
Kupferblau: Ich bin schlecht im Umgang mit Zahlen und Mathematik, soll ich dann die Digital Humanities überhaupt anfangen?
Kevin: Das ist oft eine Sorge, die viele Studierende – insbesondere in den Geisteswissenschaften – umtreibt. Die Betroffenen kann ich jedoch guten Gewissens beruhigen: Auf jeden Fall sollte man mit Digital Humanities anfangen, denn Mathematik ist für diese keine Grundlage und maximal ein Randthema. Natürlich gibt es Kurse, in denen man mehr mit mathematischen Ansätzen in Berührung kommt – z.B. bei der Programmierung oder auch bei statistischer Analyse. Jedoch sind die DH, gerade in Tübingen zum einen, in ihrem Kursangebot breit aufgefächert und zum anderen stark an die Fächer angebunden. Dementsprechend können die Studierenden in den drei Semestern, welche das Masterprofil umfasst, entsprechend ihrer Passion und des fachlichen Vorwissens Kurse belegen und müssen kein Informatik-Light-Studium befürchten. Im ersten Semester erlernen die Studierenden in einer Art Ringvorlesung grundlegendes zu Digital Humanities sowie den möglichen Kursinhalten, welche sie in den folgenden Semestern besuchen können. Darüber hinaus hat sich gezeigt, dass nahezu alle Fachbereiche an den Themen „Wie funktioniert das World Wide Web“ und „Publizieren in diesem“ Interesse haben. Um diesem Wunsch nachzukommen, gibt es im ersten Semester zwei, für alle DH-Studierenden verpflichtende, Kurse zu den Themen HTML, CSS und JavaScript. Auf diesen aufbauend, können sich Studierende im zweiten Semester nach eigenem Wunsch auf Themengebiete spezialisieren. Das kann z.B. in der Archäologie der Umgang mit Drohnen oder 3D-Druckern sein. Ebenso können beispielsweise Studierende von mehr mit Text arbeitenden Fachbereichen Kurse zu Standards besuchen und überlegen, wie sie diese nutzen, um aus einem geliebten Text eine webbasierte Karte – z.B. für die Veranschaulichung einer im Buch dargestellten Reise – oder ein Serious Game zu erstellen. Gott sei Dank müssen die Studierenden hierfür nicht selbst die mathematischen Modelle erstellen, sondern es geht in erster Linie darum, die korrekte Nutzung von DH-Techniken und die dahinterliegenden Konzepte zu verstehen und das hat mit Mathe wenig zu tun. Daher empfehle ich allen Studierenden der Geisteswissenschaften in die Digital Humanities reinzuschnuppern und selbst zu prüfen, ob unsere Themen den eigenen Interessen entsprechen.
Ein Abriss vom 1. DH Semester
Ein Studierender der Masterprofillinie der Uni Tübingen absolviert ebenfalls kein vollständiges DH-Studium, sondern ersetzt eine gewisse Anzahl an Modulen aus dem eigenen Modulhandbuch mit einigen aus den DH. Im ersten Semester werden Prinzipien der Informationsverarbeitung vermittelt, am Ende von denen man auch Fragen wie „Wie funktioniert eigentlich das Internet?“ beantworten kann.
Neben einer Einführung in Informationswissen, sollte man im ersten Semester die Seminare zu HTML und CSS belegen. Das JavaScript Seminar gleich mitzumachen, wird empfohlen, ist aber nicht Pflicht. Im Zuge der HTML und CSS Veranstaltungen lernt man auch Grundlagen des Coding und lernt an den Programmiersprachen, wie es ist, den mythischen grünen Code zu beeinflussen und: Der ist gar nicht mehr grün!
Ein kleiner Exkurs
HTML bedeutet Hyper Text Markup Language und ist nichts anderes als das Skelett einer Website. Eine sehr simple HTML-Website und der dazugehörige Code sieht so aus:
Mit CSS, Cascading Style Sheets, legt man eine extra CSS-Datei an, die den „Style“ der HTML-Website beeinflussen kann. Einfacher Text kann jetzt geordnet und verschönert werden:
Mit JavaScript könnte man die Website interaktiver, dynamischer machen, aber das sprengt hier den Rahmen.
Über das erste Semester hinaus kann jede*r DH-Studierende*r dann aus einer Auswahl an Kursen wählen, um sich die digitalen Skills der Wahl eigen zu machen. Im dritten DH-Semester muss man seine erlernten Skills dann an einem eigenen Projekt aus der eigenen Forschung erproben – eine spannende Herausforderung. Wer sich einen Eindruck verschaffen möchte, kann sich die abgeschlossenen Projekte von erfolgreichen DH-Studierenden hier anschauen.
Noch nicht genug?
Wer nicht Geisteswissenschaftler ist, aber jetzt trotzdem digitale Kompetenzen erwerben will, dem wird das „Data Literacy Zertifikat“ vom Dr. Eberle Zentrum ans Herz gelegt, hier werden Kurse zu digitalen Kompetenzen angeboten.
Ein persönliches Fazit: die DH haben mir immens bei meiner digitalen Kompetenz geholfen. Vorher dachte ich, dass ich als jemand, der mit dem rise of the internet groß geworden ist, wüsste, was es alles damit auf sich hat. Aber: boy, how wrong I was!
Fotos: Titelbild: Pixabay; Pinker Code: Pixabay; HTML Beispiel: Patrick Muczczek; CSS Beispiel: Patrick Muczczek