Politik

Schlüsselqualifikation Corona – Rückblick auf das Corona-Jahr

Nun haben wir es endlich geschafft! Das Jahr 2020 ist vorbei und uns alle eint die Hoffnung auf schnelle Besserung durch das große Impfen. Doch wie ist es den Tübinger Studierenden ergangen? Konnten sie trotz allen Schwierigkeiten ihr Studium planmäßig weiterführen? Welche Konsequenzen ergaben sich für sie durch die Einschränkungen des öffentlichen Lebens? Gab es auch positive Aspekte durch die veränderten Lehrbedingungen? Zwei Tübinger Studentinnen berichten von ihrem Studienjahr. 

Eat, Sleep, Zoom, Repeat 

Von Kai Bergmüller

Carla studiert nun schon seit fünf Semestern in Tübingen Geoökologie.  Doch dieses Jahr stellte wohl die größte Herausforderung in ihrem bisherigen Studium dar.  Obwohl es für Studierende normal ist, sich seine Zeit selbst einzuteilen und autark seinen Lernstil zu verfolgen, legte Corona diesem Prozess im Jahr 2020 große Steine in den Weg. Ständig vor dem Laptop sitzen, ein Bewegungsradius von 10 Meter – Bett, Schreibtisch, Toilette – Tag für Tag, lassen die Motivation verständlicherweise ins Bodenlose stürzen. Nicht zuletzt deswegen beschreibt Carla die pandemischen Auswirkungen als „einengend“. Keine endlosen Diskussionen in der Mensa, keine spontanen Ausflüge in die Stadt auf ein Eis und natürlich auch keine abendlichen Aktivitäten mit den Kommiliton*innen. Wir sind ja alle Zoomer*innen.  

Zudem ergaben sich neue Herausforderungen durch die Online-Lehre: „Ich habe insgesamt mehr gemacht, da ich einfach für die Bearbeitungen der Vorlesungen viel länger gebraucht habe, weil ich öfters pausiert habe, um alles zu verstehen. Außerdem gab es Dozierende, die deutlich überzogen haben“, bemängelt Carla. Insgesamt hat sie ein sehr gemischtes Verhältnis zur Online-Lehre. Einerseits bieten Vorlesungsaufzeichnungen die Möglichkeit, jederzeit zu pausieren. Man kann wiederholt anhören, was man nicht verstanden hat und wann es  zeitlich passt. Allerdings hätte Carla als Geoökologie-Studentin „viele Veranstaltungen mit Exkursionen oder Geländetagen gehabt“. Ein Wegfall dieser konnte leider nicht adäquat kompensiert werden. 

Dass die Einschränkungen aber noch sehr viel tiefer gehen, zeigt sich daran, dass sie ihr geplantes Auslandssemester nach Polen absagen musste.                                                                      
Glücklicherweise war die Lage Tübingens zumindest eine kleine Entschädigung für sie. Man ist schnell in der Natur, kann Radfahren, spazieren, oder an die Ammer sitzen. So sagt Carla: „Ich glaube, man hat eine gute Möglichkeit, schnell aus der Stadt rauszukommen, wenn einem mal wieder die Decke auf den Kopf fällt.“ Auch so war das Jahr 2020 kein totaler Reinfall. Carla meint, man sei enger zusammengewachsen mit Mitbewohner*innen oder auch dem Partner/der Partnerin. Zudem habe sie aus dem Jahr auch viel für die Zukunft mitgenommen. „Das Jahr 2020 mit Corona hat mich gelehrt, dass man bei akuten Krisen zügig in der Lage ist, mit Regeln Einschränkungen zu erheben und die Wirtschaft runterzufahren.”

“Dies gibt mir Hoffnung, dass man das auch bei anderen großen Krisen hinkriegt, wie zum Beispiel bei der Klimakrise.” 

Dass man allerdings die Chance nicht genutzt hat, die Corona-Hilfsgelder zu verwenden, um unser System sozial und ökologisch gerechter zu gestalten, enttäuscht sie. 

Trotz positiver Aspekte schaut Carla der Zeit nach den Einschränkungen schon voller Erwartung entgegen. Auf was sie sich wohl am meisten freut? „Endlich wieder Opa und Oma in den Arm nehmen! Und natürlich mal wieder mit richtig vielen Leuten tanzen gehen.“ 

Jetzt ist die Zeit, bei sich zu sein 

Von Pascal Luh

Chiara [Anm. d. Red.: Name geändert] studiert nun seit 2016 Literaturwissenschaft im Master. Sie steht als Studierende mit Beeinträchtigung vor besonderen Herausforderungen bei der Bewältigung ihres Studienalltags. Die Corona-Pandemie und die Beschränkung des öffentlichen Lebens im Jahr 2020, die die Messlatte der Anforderungen an alle Studierenden noch weiter erhöht haben, hat sich für Chiara zu einer Geduldsprobe entwickelt. 

Durch die Einschränkung der Bibliotheken ist für sie, wie für einen Großteil der Studierenden, der Zugang zu einem geregelten Arbeitsplatz weggebrochen. Das Arbeiten in den eigenen vier Wänden – sollten die jeweiligen Wohnumstände dies überhaupt ermöglichen – ist häufig mit Stress verbunden. Chiara sieht den Zugang zum Campus und die Zusammenarbeit als essentiell für ihr Studium an. So bedauert sie: “Faktisch bringen mir Online-Vorlesungen nichts, ich habe sie teils einfach vergessen” und empfindet die Angebote größtenteils als “mühselig”. Hier stellt vor allem die Strukturlosigkeit ein großes Problem für sie dar. Neben der Umstellung auf Online-Veranstaltungen sind für Chiara die Kontaktbeschränkungen ein bestimmender Faktor im Alltag, die nicht nur das private Umfeld auf den Kopf stellen. “Ein geisteswissenschaftliches Studium findet wesentlich in der Interaktion mit anderen Studierenden statt”, findet Chiara und kritisiert damit die Entscheidung der Landesregierung, den Bibliotheken nicht mehr Relevanz für den Studienbetrieb einzuräumen. 

“Für mich ist 2020 ein verlorenes Studienjahr.” 

Neben den generellen Anforderungen eines Vollzeitstudiums kommt für viele Studierende, die nicht auf die finanzielle Unterstützung durch die Eltern oder BAföG zurückgreifen können, die Belastung durch einen Nebenjob hinzu. Gerade für Menschen, die wie Chiara zusätzlich zu gesundheitlichen Einschränkungen noch die Finanzierung ihres Studiums allein stemmen müssen, war die Belastung im vergangenen Jahr nur schwer tragbar. Hier wünscht sich Chiara mehr Unterstützung von Seiten des Landes. Sie erwähnt, dass ihre Wohnsituation schon vor der Krise nicht immer leicht gewesen und sie gerade durch finanzielle Instabilität an “existentielle Grenzen” gestoßen sei. Chiara betont zwar mehrfach, dass das bestimmt nicht “die übliche Situation” sei. Jedoch bleibt unklar, wie viele Studierende in Tübingen mit ähnlichen Umständen zu kämpfen haben und wie sich die Schwierigkeiten, die sich in der Alltagsrealität der Studierenden im Jahr 2020 abgezeichnet haben, auf die nächsten Jahre auswirken werden. 

Auch wenn das Jahr 2020 für Chiara als “verlorenes Studienjahr” dasteht und sie die Zeit lieber anders genutzt hätte, konnte sie durch die Herausforderungen auch neue Seiten an sich entdecken. So spricht sie von dem Wunsch, sich selbst und anderen “eine Stimme geben” zu wollen, der sich im Laufe des Jahres in ihr verstärkt hat. Gerade Menschen, die im universitären Kontext von Chancenungleichheit betroffen sind, wolle sie Mut machen, für sich einzustehen und für die eigenen Interessen zu kämpfen. So sieht sie ihren “politischen Kampfgeist erwacht” und kann sich auch vorstellen, “Präsenz als Forschungsschwerpunkt” zu wählen. Für sich selbst zieht Chiara das Resümee, dass jetzt die Zeit ist, “bei sich zu sein” und sich seine eigenen menschlichen Bedürfnisse zuzugestehen. Ihr Appell lautet, zwischen dem zu unterscheiden, “was wirklich wichtig ist” und dem, was man eher zurückstellen kann. 

Beitragsbild: Pixabay

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