Tagtäglich kommen wir an Orten vorbei, die nach historischen Persönlichkeiten benannt wurden. Doch wer waren diese Menschen und was leisteten sie, dass Straßen, Plätze und Denkmäler zu ihren Ehren erbaut wurden? Mit Lothar Meyer ist Jede*r von uns sicher schon einmal in Berührung gekommen, auch ohne Geowissenschaften zu studieren oder Buchstaben aus einem Gebäudeschild zu klauen…
Wer mit dem Bus schon einmal ab dem Brechtbau in Richtung Lustnau, Pfrondorf oder WHO fahren wollte, der kennt ihn genau: Der Lothar-Meyer-Bau und die zugehörige Bushaltestelle erfreut tagtäglich Scharen von Studierenden mit seiner anmutigen und filigranen 50er Jahre Architektur (und Wortwitzen durch geklaute Buchstaben im Gebäudeschild). Doch nicht nur im Namen des Gebäudes, das die Institute für Geowissenschaften, Pharmakologie und Toxikologie beherbergt hat Lothar Meyer seinen Namen hinterlassen. Auch in den Naturwissenschaftsräumen annähernd jeder Schule in Deutschland lebt der Chemiker ein wenig weiter.
Von Medizin über Physik zur Chemie
Geboren 1830 im hohen Norden, im niedersächsischen Varel zog es den Sohn eines Arztes schon früh in die Naturwissenschaften: Nach einem Studium der Medizin in Zürich und Würzburg, sowie einem Studium der mathematischen Physik samt Promotion in Königsberg und Breslau, wendete sich Meyer der Chemie zu und lehrte als Privatdozent eine Zeit lang am chemischen Laboratorium in Breslau. Die Begeisterung Meyers für die Wissenschaft hatte sich schon früh gezeigt. In seiner Kindheit hatte er zur Entspannung griechische Klassiker gelesen, ein Umstand, der sicherlich förderlich war für seine spätere Karriere in der wissenschaftlichen Welt des 19. Jahrhunderts, die noch stark von den antiken Sprachen Latein und Altgriechisch geprägt war.
Beeinflusst und inspiriert durch die großen Entdeckungen seiner Zeit und einem allgemeinen Aufleben der Naturwissenschaften Mitte des 19. Jahrhunderts, publizierte Lothar Meyer 1864 sein erstes großes Werk „Die modernen Theorien der Chemie“. Die Schrift deutete an, für welche Leistung Meyer einmal berühmt werden sollte. Aufbauend auf der Forschung des italienischen Physikers Stanislao Cannizzaro, der die Unterschiede von Molekül- und Atomgewichten aufklären konnte und der innerhalb der Chemie zu einem einheitlichen Fachwortschatz beitrug, gelang es Meyer die viele damalig bekannten Elemente in sechs Gruppen nach ihren Eigenschaften und Atommassen anzuordnen. Der Durchbruch gelang ihm aber erst, nachdem er ab 1868 als Professor in Karlsruhe angestellt wurde.
Ein System, zwei Erfinder?
Mit seinem Werk „Die Natur der chemischen Elemente als Function ihrer Atomgewichte“ von 1870 ergatterte Meyer nämlich nicht nur einen Stammplatz an den Wänden von Klassenzimmern und Chemieräumen, sondern lieferte auch einen immens wichtigen Beitrag zu Erforschung der Chemie: Die Entwicklung des Periodensystems der Elemente (PSE). Schade nur, dass der gebürtige Friese seine Gedanken ein Jahr zu spät zu Papier gebracht hatte. Bereits 1869 hatte der russische Chemiker Dmitri Mendelejew die Periodizität der Eigenschaften von Elementen unabhängig von Meyer entdeckt und in einem Periodensystem dargestellt.
Obwohl zu Anfang ein wissenschaftlicher Disput über die Erstentdeckung des PSE zwischen den Chemikern entbrannte, mündete die Rivalität sogar in eine Freundschaft, die in der Verleihung der renommierten Davy-Medaille – zu dieser Zeit vergleichbar mit einem Nobelpreis – 1882 an beide Entdecker gipfelte. Mit dem Periodensystem der Elemente war es nicht nur möglich Eigenschaften und Atomgewicht der damals bekannten 63 Elemente systematisch darzustellen, sondern auch vorherzusagen, an welcher Stelle Elemente noch unentdeckt sind und wie sich diese verhalten würden. Diese Vorhersagen bewahrheiteten sich Ende des 19. Jahrhunderts mit der Entdeckung der Elemente Gallium, Scandium und Germanium.
Ab 1877 lehrte Meyer – mittlerweile als berühmter Chemiker – an der Universität Tübingen Chemie, bis er 1895 infolge eines Gehirnschlags verstarb und auf dem Stadtfriedhof beerdigt wurde. In den Jahrzehnten nach der Verleihung der Davy-Medaille war Meyers Name im Zusammenhang mit der Entwicklung des PSE zu Gunsten Mendelejews immer weiter verblasst. Daher, und weil Meyer in Tübingen aufgrund seines Wesens sehr beliebt war, ehrte man den Chemiker nach der Einrichtung eines kleinen Gedenksteins auf der Eberhardshöhe auch durch die Benennung des Lothar-Meyer-Baus – und verhalf somit auch eine*m unbekannten Dieb*in zu einem überdimensionierten „M“.
Quellen: