Tagtäglich kommen wir an Orten vorbei, die nach historischen Persönlichkeiten benannt wurden. Doch wer waren diese Menschen und was leisteten sie, dass Straßen und Plätze nach ihnen benannt und Denkmäler zu ihren Ehren erbaut wurden? Dieses Mal lernt ihr Graf Eberhard im Bart kennen, einen der nicht unumstrittenen Namensgeber der Universität Tübingen.
Die Eberhard-Karls-Universität verdankt ihren Namen gleich zwei Förderern der Wissenschaft, dem Grafen Eberhard im Bart (1445-1496) und dem württembergischen Herzog Karl Eugen (1728-1793). Eberhard im Bart, als der eigentliche Gründer der Universität, ist als Namensgeber nicht unumstritten, und manche Tübinger Studierenden würden lieber an der Ernst-Bloch-Universität lernen. Wer war dieser facettenreiche Mann, der zum einen die studia humanitatis in Tübingen etablierte und trotz mangelnder Lateinkenntnisse theologischen Streitgesprächen beiwohnte? Der zum anderen aber auch mit der Gründung der Universität die Vertreibung der jüdischen Bevölkerung aus der Stadt anordnete?
Vom minderjährigen Grafen zum Fädenzieher in Württemberg
Erst vierzehnjährig musste sich Eberhard in einem „Staatsstreich mit Hilfe der Untertanen“ (Volker Himmelein) als Landesherr behaupten. Mit Hilfe seiner Räte konnte sich der junge Graf der Machtansprüche seines Onkels und Vormundes Graf Ulrich erwehren. Diesen überließ er während seiner Jugendjahre auch das Regieren und Kriegsführen und frönte stattdessen den Frauen, der Völlerei und der Jagd. Trotz sich anbahnender außenpolitischer Auseinandersetzungen mit der Pfalz, dem Haus Habsburg und Baden brach Eberhard im Jahre 1468 zu einer Pilgerreise nach Jerusalem auf, die ihn Zeit seines Lebens prägen würde. Diese Reise scheint für den damals 23-Jährigen ein Reifeprozess gewesen zu sein. In Jerusalem ließ er sich in der Grabeskirche zum Ritter schlagen, ein Stand, der damals eng mit christlichen Idealen verbunden war. Seinen Beinamen ‚im Bart‘ bekam Eberhard, nachdem er auf der Reise gelobt hatte, sich den Bart nicht mehr schneiden zu lassen. In den 70er und 80er Jahren schaffte es der Graf durch diplomatisches Geschick, seine Macht zu konsolidieren. Eberhards großer politischer Erfolg war die Wiedervereinigung Württembergs, besiegelt im Münsinger Vertrag von 1482. Württemberg war aufgrund von Erbstreitigkeiten zwischen Eberhards Vater und seinem Onkel Ulrich vierzig Jahre lang getrennt gewesen.
Eberhards Bibliothek als Beispiel einer spätmittelalterlichen Buchkultur
Die Bibliothek des Grafen lässt viele Rückschlüsse auf sein Weltbild, seine privaten Interessen aber auch die politischen Umstände, in denen er lebte, zu. Er besaß zum Beispiel eine Schrift des Florentiner Neuplatonikers Marsilio Ficino und soll den wissenschaftlichen Austausch zwischen Florenz und Tübingen gezielt gefördert haben. Außerdem eine Handschrift mit dem Titel „Eberhard-Gebetbuch“, ein sogenanntes Stundenbuch, in dem zu jeder Tageszeit passende Gebete aufgelistet sind. Eberhard ließ sein Stundenbuch, anders als damals üblich, regional fertigen und auf Deutsch statt Latein schreiben. Er war sich also seiner Rolle als weltlicher Herrscher, der sich gegen die Geistlichkeit abgrenzt und die regionale Integrität vor internationalen Einflüssen zu schützen versucht, und der damit einhergehenden Verantwortung bewusst.
Sein literarisches Interesse ging dennoch über die Grenzen Europas hinaus. Davon zeugt Eberhards Auftrag, die ursprünglich indische Tierfabelsammlung Kalīla wa Dimna ins Deutsche übersetzen zu lassen. Illustrierte Versionen waren besonders während der ʾabbāsidischen Dynastie an den Höfen Bagdads, Damaskus und Basras äußerst gern gelesen, fanden aber, wie das Beispiel Eberhards zeigt, auch in Europa Anklang.
Die Gründung der Universität Tübingen
Im Jahre 1477 gründete Eberhard, auf Anregung seiner Mutter Mechthild von der Pfalz, die Universität Tübingen. Ihr erster Rektor wurde Johannes Nauclerus, Erzieher Eberhards und später dessen engster Vertrauter. Die Gründung der Universität bedurfte zahlreicher infrastruktureller Neuerungen in der Stadt. Es mussten Wohnhäuser für Studierende und Angestellte der Universität gebaut werden. Auch an mittellose Studenten wurde dabei gedacht. Unter den Neubauten war auch „ein vierstöckiges Haus mit der Stirne gegen den Neckar hin, das Contubernium oder die Burse“, in dem heute das philosophische Institut untergebracht ist, wie die Zeitschrift Der Katholik im Jahr 1876 schreibt.
Bereits im Sterben liegend, soll der Vater für seinen zweitgeborenen Sohn Eberhard noch die Weichen für eine Zukunft als Landesherr gestellt haben. Er verbot es nämlich, dem Jungen Latein beizubringen, wodurch der für zweitgeborene Söhne übliche Weg in ein geistliches Amt verhindert werden sollte. Später, als die Universität ihren Betrieb aufgenommen hatte, zog es Eberhard trotzdem in theologische und juristische Disputationen, die auf Latein abgehalten wurden. Und obwohl er der Sprache nicht mächtig war, soll er es dort länger als so mancher Professor ausgehalten haben und mit seinen Fragen zur Diskussion beigetragen haben.
Die wissenschaftlichen Beziehungen nach Florenz ermöglichten es Studenten schon damals, ein ‚Auslandssemester‘ zu absolvieren. Die Studenten brachten aus Italien humanistische Ideen mit, es wurde ein philosophischer Zirkel gegründet und durch die Auswahl der Dozenten „brachte Eberhard den Humanismus nach Württemberg“, wie Dieter Mertens feststellt.
Förderer der humanitas: Wer galt hier als Mensch?
Die studia humanitatis, also die Lehre von Grammatik, Rhetorik, Geschichte, Poesie und Poetik und Moralphilosophie, umfasst im Renaissance-Humanismus, also dem Humanismus, wie er zu Eberhards Lebzeit in Italien aufkam, auch ein neuartiges Menschenbild. Die humanistische Anthropologie verstand den Menschen als einzigartig, gottebenbildlich und mit Willens- und Wahlfreiheit ausgestattet. Eberhard ließ seine Wohltätigkeit und Bildungsbemühungen jedoch nicht allen seinen Untertanen zukommen. Trotz der ihm zugeschriebenen Frömmigkeit und seines Interesses an humanistischen Idealen gilt er als vehementer Antisemit. Im Jahr der Gründung der neuen ‚humanistischen‘ Universität befahl Eberhard auch die Vertreibung aller Juden aus Württemberg und verbot ihnen, werktätig zu sein oder sich wieder auf seinem Herrschaftsgebiet anzusiedeln.
Quellen, auch zum Weiterlesen und Weiterhören:
Himmelein, Volker. Eberhard, der mit dem Barte. Tübingen, 1977.
Mertens, Dieter. Eberhard im Bart und der Humanismus. Freiburg, 1994.
Marianne, Thoms. Eberhard im Bart: Württembergs erster Herzog. SWR 2. https://www.swr.de/swr2/programm/eberhard-im-bart-wuerttembergs-erster-herzog,broadcastcontrib-swr-19640.html.
“Die Universität Tübingen zur Zeit ihres Stifters, des Grafen
Eberhard im Bart.” Der Katholik. 1876.
Fotos: Ineke Schlüter