Christoph Marschall über Trump
Politik

Amerikas Ambitionen – Journalist klärt über die geopolitische Strategie der USA auf

Zwischen American Power und Ordnung: Nach einem Vortrag im d.a.i. vergangene Woche erklärte der Amerika-Experte Christoph von Marschall im Interview mit der Kupferblau, wie junge Menschen die USA verstehen können und in welcher Gefahr Deutschland schwebt.

Volles Haus im Deutsch-Amerikanischen Institut (d.a.i.): Unter dem Titel Amerikas Ambitionen: Neoimperialismus oder geopolitische Strategie? setzt Christoph von Marschall einen klaren Rahmen: US-Politik lasse sich nicht in Schlagwörter pressen, sondern folge Interessen, Allianzen und Kosten. Die Kupferblau will wissen: Was heißt das für Studierende?

Christoph von Marschall ist Diplomatischer Korrespondent der Chefredaktion beim Berliner Tagesspiegel und einer der profiliertesten deutschen Beobachter der USA und der transatlantischen Beziehungen. Als langjähriger Washington-Korrespondent kennt er die Entscheidungswege in D.C. aus erster Hand – so war er lange Zeit der einzige deutsche Journalist mit Zugangsberechtigung zum Weißen Haus. In seinen Büchern und Analysen verknüpft er Außen- und Sicherheitspolitik mit einer europäisch-deutschen Perspektive. 

Anfang des Jahres erschien sein neuestes Werk: Der Schwarze Dienstag. Darin entwirft von Marschall ein zugespitztes Szenario: Ein russischer Angriff auf Litauen 2028 testet die Reaktionsfähigkeit von NATO und EU. Sie ist schlecht. Zumindest, wenn Deutschland und Europa ihre militärischen Fähigkeiten und ihre Ausrüstung nicht aufbessern. Bleibt das Militär auf dem Stand von Anfang 2025, hätte Putin ein einfaches Spiel an der NATO-Ostflanke. Die Kupferblau möchte nachhaken. 

Kupferblau: Herr von Marschall, heute Abend treten Sie in Tübingen, einer der demographisch jüngsten Städte der Bundesrepublik, auf. Warum ist es gerade für diese jungen Menschen wichtig, die Politik in den USA im Blick zu behalten?

Christoph von Marschall: Weil das, was Trump in den USA macht, direkte Auswirkungen auf uns hat. Es geht um Meinungsfreiheit, Zensur, Eingriffe in Fernsehsendungen. Es geht um die internationale Lage, die dazu führen kann, dass Deutschland erwägt, die Wehrpflicht wieder einzuführen. Das hängt mit Russland zusammen, aber eben auch mit den USA.

Ökonomisch spüren junge Leute die Folgen besonders stark. Die deutsche Wirtschaft wächst seit Jahren nicht mehr; wir befinden uns in Stagnation oder sogar Rezession. Selbst wenn Fachkräfte gesucht werden, heißt das nicht, dass die Aussichten für junge Menschen automatisch gut sind.

Können Sie drei Mythen über die USA entzaubern, die wir Studierenden vielleicht haben?

Erstens: die Widersprüchlichkeit der USA. Wir in Europa sehen oft nur Schlagzeilen über Einschränkungen der Meinungsfreiheit. Aber die meisten Amerikaner leben nicht mit diesem Gefühl. Für bestimmte Schichten haben solche Sorgen Priorität – für normale Handwerker in Minnesota oder Farmer in Iowa eher nicht.

Zweitens: Wahlentscheidungen sind nicht immer Entscheidungen für jemanden, sondern oft gegen die gegnerische Seite. Viele wählten Trump nicht aus Begeisterung, sondern aus Abneigung gegen die Demokraten.

Bild: d.a.i. Tübingen. Besonders auf dem Nahen Osten liegt Trumps Aufmerksamkeit.

Drittens: das Gefälle zwischen den Eliten in den Großstädten und dem Rest Amerikas. Etwa die Hälfte der Amerikaner lebt nicht in Großstädten. Diesen Gegensatz muss man im Kopf behalten, wenn man die USA verstehen will.

Haben wir in Deutschland generell ein verzerrtes Bild von den USA? Und ist die Zeit des American Dream in den Köpfen junger Deutscher vorbei?

Das sind zwei verschiedene Fragen. Zum Bild: Ja, es ist verzerrt – aber das gilt in beide Richtungen. Vom Ausland schaut man immer selektiv. Bestimmte Prozesse wirken größer, als sie im Land selbst wahrgenommen werden.

Alles, was in den USA passiert, wirkt direkt auf uns

Zum American Dream: Die Glanzzeit lag in den 1950er- und 60er-Jahren. Heute sehen junge Menschen USA nicht mehr automatisch als Land der besseren Chancen. Aber eine grundsätzlich antiamerikanische Haltung ist heute nicht so ausgeprägt wie 1968. Es schwankt auch mit den Präsidenten. Unter Obama war das Bild besser als die Lage. Unter Trump ist es umgekehrt, aber nach ihm kann es wieder besser werden.

Sofern Sie es einschätzen können, Herr von Marschall: Sieht der durchschnittliche US-Amerikaner uns hier in Deutschland noch als Freund?

Ja, eindeutig. Das Bild von Deutschland und den Deutschen ist positiv. Deutsche Autos sind weiterhin Statussymbole, Deutsche gelten als zuverlässig. Kritik gibt es an unseren geringen Verteidigungsbeiträgen zur NATO, aber insgesamt begegnet man Deutschen nicht mit Skepsis, sondern eher mit Sympathie. Noch immer sind Deutsche als Mieter beliebt, sie gelten als ordentlich und ruhig.

Trump sprach davon, Grönland oder Kanada als US-Bundesstaaten aufzunehmen. Ein US-typisches Muster der Machtausdehnung?

Nein. Das sind überhöhte Aufreger. Natürlich ist es beunruhigend, dass er so redet, aber oft sind das nur Schlagzeilen für ein paar Tage. In Kanada etwa haben die Wähler die Liberalen wiedergewählt, gerade weil Trump so über sie sprach. Nicht alles, was er sagt, hat reale Folgen. Wichtig sind die großen Linien, z.B. die Kriege in der Ukraine und Nahost.

Bild: d.a.i. Tübingen. Durch seine vielen Kontroversen bleibt der US-Präsident ständig in den Medien.

In Ihrem Buch Der schwarze Dienstag beschreiben Sie ein Szenario, in dem Europa gefährlich isoliert zwischen den USA und Russland liegt. Ist dieses Szenario seit Erscheinen im März näher gerückt?

Leider ja. Putin testet die NATO mit Drohnen, Luftraumverletzungen, Cyberangriffen, beschädigten Datenkabeln. Besonders gefährdet ist Litauen, wo Deutschland Verantwortung hat. Wenn der Ukraine-Krieg endet, könnte Putin freie Kapazitäten für einen Angriff dort haben. Dann wäre die Bundeswehr als NATO-Schutzmacht dort unmittelbar betroffen, und damit auch Deutschland im Krieg.

Die Gefahr ist gestiegen, aber auch das Bewusstsein dafür. Deshalb ist es wichtig, dass wir Verteidigungsfähigkeit aufbauen – nicht, um Krieg zu führen, sondern um durch Abschreckung Krieg zu verhindern.

Die USA haben noch immer das Image des Weltpolizisten. Aber nach Irak, Afghanistan und Libyen wirkt dieses Bild brüchig. Warum schaffen die USA es so selten, Ordnung zu hinterlassen?

Weil intervenieren leichter ist als stabilisieren. Trump zum Beispiel wollte keine Kriege – er sagte, Konflikte müsse man am Tisch lösen, nicht mit Soldaten. Das fanden viele sympathisch. Aber langfristig Ordnung aufzubauen, wie in Afghanistan, ist enorm schwierig. Auch wir Europäer hatten Illusionen, was wir dort erreichen können.

Das Bild von Deutschland und den Deutschen ist positiv.

Generell reden Amerikaner über Außenpolitik viel nüchterner, pragmatischer – manchmal brutaler – als wir Deutschen. Wir haben ein schlechtes Verständnis dafür, wie Interessenpolitik funktioniert.

Heißt das, wir sind generell schlecht in Voraussicht?

Ja. Deutschland ist extrem exportabhängig. Unser Wohlstand hängt am Außenhandel. Aber in den letzten 20, 30 Jahren haben wir internationale Entwicklungen fast nie richtig vorhergesehen: Türkei, China, Trump, Brexit, Putins Krieg. Wir wollten vieles nicht sehen und haben uns nicht vorbereitet.

 

Titelbild: d.a.i. Tübingen

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