Kultur

Von Erdbeerduft und Erdbeerhüten

Ein gelungener Sommerabend mit der offenen Erzählbühne im Café Willi

Am Montag war es wieder soweit: Die offene Erzählbühne lud ins Café Willi ein. Um 20 Uhr ging’s wie üblich los. Bereit hielt der Abend nicht nur fesselnde Geschichten, sondern ebenso mitreißende Gedichte und lustige Anekdoten. Ein Rückblick.

Nach und nach finden sich Erzählende und Lauschende im Außenbereich des Café Willi ein. Plaudernd machen sie es sich auf den Stühlen, Sofas und Bänken rund um die Bühne gemütlich. Während die Letzten noch eintrudeln, beginnt der Erdbeerhut seine Runde durch das Publikum zu machen, auf der Suche nach den zehn Erzählenden des heutigen Abends. Von einer Sitzgruppe zur nächsten wird er herumgereicht.

Ab auf die Bühne, ganz einfach!

Jede*r hat die Gelegenheit seinen Namen per Zettel hineinzuwerfen und selbst Teil des Programms zu werden. Nach Lust und Laune, ganz ohne Voranmeldung. Ist dir erst kurz vor Beginn das passende Ende deiner Story eingefallen? Perfekt, dann rauf auf die Bühne. Oder wagst du es heute mal ganz ohne Skript? Auch dem steht nichts im Wege. Spontanität und Kreativität gehen Hand in Hand. Denn auch der Themenwahl und Beitragsform sind keine Grenzen gesetzt. Einzig und allein Themen, die Triggerwarnung benötigen, bilden die Ausnahme. Hier bittet das Orga-Team darum, den Text doch vorab einzusenden, damit man gemeinsam darüber berät, wie man die Geschichte am besten in den Ablauf und die Moderation einbinden kann. Letztlich soll der Abend nicht nur künstlerische Freiheit feiern, sondern allen Anwesenden einen ‚Safe Space‘ bieten. 

Im Publikum herrscht ausgelassene Stimmung. Foto: Marlene Krekeler.

Mitmachen und mitlachen

Ein paar Minuten später konnte Alexandros – heute zum ersten Mal als Moderator – auch schon Zettel Nummer eins aus dem Hut zaubern und die Erzählrunde eröffnen. Mit der strahlenden Sonne im Gesicht, einem erfrischenden Kaltgetränk in der Hand und einem kräftigen „’whoop whoop’ macht das Meerschweinchen“ startet der erste zehnminütige Beitrag. Selbst amüsiert und mit einem Hauch von Ironie führt Kai die Zuhörenden durch das Leben vom Meerschweinchen des kleinen Thomas Fischer: vom geliebten Haustier zum ersten haarigen Bürgermeister. Herzhaftes Lachen und das widerkehrende „whoop whoop“ aus dem Publikum zeigt, wie die offene Erzählbühne aus der Veranstaltungsflut der Tübinger Kulturszene hervorsticht und wie die Linie zwischen Bühne und Publikum verwischt, denn alle können mitmachen und mit lachen.

“Und dann redet ihr da einfach..?”

Hannahs Vater

Besser hätte es der Vater Hannahs, die auch diesen Monat wieder mit dabei ist, nicht ausdrücken können. Einfach loszulegen oder eher loszureden, bereitet Hannah jedes Mal aufs Neue Freude. Statt „Es war einmal vor langer, langer Zeit…“ heißt es in der Regel eher „vor fünf Minuten“. So spontan entscheidet sie sich meist erst für ihren nächsten Auftritt. Heute jedoch kommt sie vorbereitet. Mit ihrem Gedicht „Diese verflixten zehn Minuten“ möchte sie ihrem Vater beweisen, ihre gesamte Redezeit problemlos füllen zu können. Wirklich auf die Uhr schaut aber niemand. Dafür sind alle viel zu gebannt von ihren, wie Hannah sie selbst nennt, „interessanten Reimen“.

Erzählrunde statt Märchenstunde

Wer also mit den traditionellen Grimm-Klassikern rechnet, den überrascht das bunte Programm der offenen Erzählbühne ordentlich. Nichtsdestotrotz prägen auch diesen Abend Kindheitsanekdoten und Nostalgiemomente. Wir erfahren, warum die Ankündigung „Ich habe gute Nachrichten“ Alexandros bis heute misstrauisch macht und an seinen ersten großen Liebeskummer erinnert. Als seine Grundschullehrerin eines Morgens strahlend vor der ganzen Klasse verkündete, am Wochenende ihren Max geheiratet zu haben, traf ihn die Erkenntnis mitten ins Gesicht:

“Ich heiße doch gar nicht Max.”

Alexandros
Paula auf der Bühne. Foto: Alexandros Mantzaridis

Auch Paula berichtet aus Kindheitstagen, von aufgeschürften Knien und der Frage, wer denn heute alles heil pustet. Menschen könne Wunden heilen, die sie selbst nicht verursacht haben und Heilung braucht absolut keinen Grund. Mit dieser Erkenntnis schließt sie ihr Gedicht ab und alle Zuhörenden gleich ins Herz.

Mein kleines Leben

Nostalgie begleitet die ganze Veranstaltung. Besonders Toni schafft mit ihrem Gedicht von Einmachgläsern voller Erinnerungen, die nur darauf warten hervorgeholt zu werden, eine harmonische, wenn auch melancholische Atmosphäre. Der Duft von Erdbeeren weht schon fast durch die Luft, während Toni auf der Bühne steht und von ihm schwärmt. Auch Sehnsucht schwingt an diesem Abend in vielen Gedichten mit. Der Traum von langen Sommertagen, auf dem Waldboden zu liegen, durch stille Gassen zu wandeln und einfach zu sein.

Nele hingegen nimmt allesamt mit in ihre „mittelgroße Welt“. Weder Protz noch Prunk finden hier einen Platz. Stattdessen vermittelt sie ein Gefühl von innerer Zufriedenheit und Selbstwert. „Ich find’s okay, was ich so mache und okay wer ich so bin.“  Ein Vers, den wir uns vielleicht alle öfter sagen sollten.

Zwischen Pillowtalk, Anstandskuscheln und frisch bezogenen Betten

Auch Beziehungsfragen stehen auf der Themenliste. Mit der Antithese zwischen ‚Pillowtalk‘ und ‚Anstandskuscheln‘ beginnt Paul eine rhythmische Reise durch gleich zwei Texte mit der Frage, worauf es wirklich ankommt. Akzeptierst du schlechten Sex und Liebesmangel, um nicht allein zu sein, um „danach einen Platz zum Kuscheln“ zu haben?

“Wie frisch bezogene Betten”

Thalia

So lautet Thalias Antwort auf die Frage, wie sich manch andere Menschen für sie anfühlen. Auch sie ergründet die Vielfalt zwischenmenschlicher Verbindungen in den Versen ihres ergreifenden Gedichts. Trotzt anfänglicher Nervosität berührt sie mit ihrem herzlichen Auftritt jede*n Einzelne*n im Publikum, ohne jeden Zweifel.

Ab ins Einmachglas

Die Zeit scheint wie im Flug vergangen, nur noch ein letztes Gedicht steht aus. Zum Abschied schmuggelt Marlene als Hauptorganisatorin noch ein aller letztes Gedicht in die Abmoderation. Bis auf Weiteres wird das erstmal ihre letzte offene Erzählbühne sein. Zumindest bis sie im Sommersemester 2025 wieder aus ihrem Auslandssemester zurückkehrt. Für alle anderen bleibt aber als nächster Termin noch der 29.07. wie immer um 20 Uhr, bevor es dann in die Sommerpause geht. 

Daraufhin wird auch schon der Erdbeerhut ein letztes Mal herumgereicht. Dieses Mal um Spenden zu sammeln, über die sich die Initiative finanziert. Auf einen kräftigen Applaus fürs Willis folgt noch das gemeinsame Erzählfoto auf der Bühne und zu guter Letzt die Verlosung eines Willi-Gutscheins. Herzlichen Glückwunsch Paula! Besser lässt es sich in die Woche wohl kaum starten, also: Ab mit dieser neuen Erinnerung ins Einmachglas. Aber bloß nicht fallen lassen.

Gemeinsames Erzählfoto aller Erzählenden. Foto: Baran Kaya

Beitragsbild: Alexandros Mantzaridis

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