Auch Tübingen ist von den bundesweiten Bauernprotesten nicht verschont geblieben. Die Landwirt*innen aus Tübingen und Umgebung versammelten sich am Mittwochnachmittag auf dem Tübinger Festplatz, um gegen Pläne der Bundesregierung zu demonstrieren. Fast 200 Fahrzeuge starteten in Richtung Rottenburg und hofften, so auf ihre Probleme aufmerksam machen zu können. Unsere Redakteurin hat die Aktion begleitet.
Rund 150 Traktoren, elf Unimogs und LKWs und 45 PKWs haben sich am Mittwochnachmittag auf dem Festplatz neben dem Tübinger Freibad versammelt. Ihre Besitzer*innen wollen gegen die von der Politik angesetzten Änderungen der Agrarpolitik, wie zum Beispiel der Streichung der Sanktionen für Agrardiesel, demonstrieren. Die Bäuer*innen sind mit der Gesamtsituation unzufrieden, rund 20-30% weniger Direktzahlungen gab es im letzten Jahr, die Produktionskosten steigen tendenziell und am Ende fehlt das Geld. Am Beispiel von 100.000 € Einnahmen gerechnet, bleiben nach den weniger Direktzahlungen und dem teureren Agrardiesel nur noch etwa 60.000-70.000 € übrig. Es herrscht große Unzufriedenheit und Sorge um die eigene Existenz.
Der Agrardiesel ist bei Weitem nicht das einzige Problem. So erklärt Klaus Hartmann, Landwirt aus Oberndorf bei Rottenburg, das Problem mit dem Weizen. Der Preis für eine Tonne Weizen liegt aktuell bei etwas über 200 €. Von diesem Wert ausgehend enthält ein Brötchen in der Bäckerei Weizen im Wert von etwa 0,8 Cent. Hartmann und die beistehenden Kollegen betonen, dass eine Verdopplung dieses Preises den Bäuer*innen schon viel helfen würde und für den Verbraucher quasi nicht ins Gewicht fallen würde. Sie kritisieren die mangelnde Wertschätzung ihrer Produkte und erklären, dass die steigenden laufenden Kosten nicht über die Preise kompensiert werden.
Auch gegenüber Umweltschutz sprechen sie sich positiv aus, erkennen die Wichtigkeit an und zeigen große Bereitschaft, die Forderungen umzusetzen. Aber auch das ist wieder teuer. So wurde beispielsweise die Gülle früher weit über dem Boden ausgeworfen. Nachdem festgestellt wurde, dass das nicht gut für die Umwelt ist, wurde auf eine bodennahe Verteilung umgerüstet. Die Kosten dafür belaufen sich je Gerät wohl auf etwa 100.000 €. Klaus Hartmann betont auch, dass sich die Landwirte an den staatlichen Geldern nicht bereichern würden: „Wir investieren das Geld in unseren Betrieb, wir schauen, dass das Tierwohl besser wird, wir schauen, dass wir unseren Ackerbau in den Griff bekommen, wir schauen, dass weniger Nitrat im Grundwasser ist.“ All das wird auch mit den Geldern der Regierung bezahlt. Auch Martin Lutz, einer der Landwirte vor Ort, betont, dass die Subventionen der EU und der Regierung nur für die Preisstabilität und dem Umweltschutz dienen.
Des Weiteren wird auch der Ackererwerb immer schwieriger für die Bäuer*innen, da viele aus der Nicht-Landwirtschaft das Land als Investment kaufen und somit die Preise nach oben treiben. Viele Landwirt*innen betreiben zu ihrem Hof noch Hofcafés, Ferienwohnungen oder vermieten Räumlichkeiten, um die finanziellen Einbußen von anderen Stellen auszugleichen. Für all das braucht man wiederum Arbeitskräfte, die viel kosten und anders als bei einer GmbH nicht einfach so von den Steuern abgesetzt werden können. Einer der Landwirte erklärt auch „Arbeit ist immer genug da, aber die Frage ist, kannst du von deinem Arbeitslohn leben? Das geht sehr schwer mit nur Getreide und Milch und sowas.“
Alles in Allem sorgen die Subventionen laut den Landwirt*innen also dafür, dass die Preise so sein können, wie sie aktuell liegen, auch wenn sie grenzwertig niedrig sind. Einer ihrer Vorschläge bei der Streichung der Subventionen ist, die Versorgung im Land möglichst autark zu gestalten, mit einem Außenschutz für deutsche Landwirte vor importierten Gütern, die dann in Konkurrenz zu den eigenen Produkten stehen. Auch Martin Lutz erklärt, dass sie sich eine klare Struktur, wie die Landwirtschaft aussehen und wie die Transformation dazu ablaufen soll, wünschen.
In der Bevölkerung findet man geteilte Meinungen zu den Protesten, das bekommen auch die Landwirt*innen mit. Sie bekommen mehrheitlich Unterstützung und Zuspruch mit, Daumen nach oben bei ihren Protestfahrten und Verständnis für die Verkehrsbehinderung. Es gibt jedoch nicht nur Zuspruch, so wurde auch Klaus Hartmann auf dem Weg von Stuttgart zurück von einem Autofahrer ausgebremst, wohl als Revanche für den vorherigen Stau. „Das ist aber auch okay“, sagt er. Er versteht den Frust. Den Vergleichspunkt mit den Klebeaktionen der Letzten Generation weist er eher zurück, auch wenn er sich für die Inhalte ausspricht. Der große Unterschied ist laut den Landwirt*innen vor allem, dass die Klebenden der Letzten Generation keine Chance hätten, Platz für Rettungsfahrzeuge zu schaffen, weil sie eben auf der Straße kleben. Im Demonstrationskonvoi fahren viele Traktoren als Ordnungsfahrzeuge mit und stellen sicher, dass jederzeit Platz für Rettungsfahrzeuge geschaffen werden kann. Die Wichtigkeit dessen betont auch Jörg Kautt, der Kreisobmann des Bauernverbands, bei seiner Eröffnungsansprache auf dem Festplatz.
Kautt betont auch, dass die demokratische Grundordnung eingehalten werden muss, dass sie sich hier für ihre Belange und nicht für politische Einstellungen treffen. Diese Sichtweise wird auch unter den Landwirt*innen vor Ort vertreten, sie lehnen das rechte Gedankengut klar ab, welches in anderen Protesten aufkam. „Das wollen wir hier beim Bauernverband nicht haben, wir distanzieren uns ganz klar davon,“ betont auch Lutz. Kautt weist auch darauf hin, dass die Letzte Generation Demonstrationen für den Mittwoch geplant hat und hält die Landwirt*innen an, nicht auf Provokationen zu reagieren, sondern ruhig zu bleiben. Das Ziel der Demonstration wird vor Ort sehr klar: Die Landwirt*innen wollen von der Regierung angehört werden, Lösungen finden, Aufmerksamkeit auf ihre Anliegen ziehen und gesehen werden. So bricht der Konvoi um 15:11 Uhr in Richtung Rottenburg auf, von wo es dann zurück nach Tübingen und letzten Endes nach Bodelshausen gehen soll. Schon um 15:32 Uhr sind die rund 200 Fahrzeuge vom Platz runter und der Stau aus Tübingen raus beginnt.
Beitragsbild: Ines Gajek