Im vierten Teil der Reihe wird es windig: Das Luftbändigen repräsentiert wie das Erdbändigen einen südlichen, allerdings wie das Wasserbändigen auch einen inneren Kampfstil. Werfen wir einen letzten Blick auf die Varietät chinesischer Kampfkunst und ihre authentische Repräsentation in Avatar – Der Herr der Elemente.
Die Entstehungsgeschichte der, von den Luftnomaden praktizierten, Bändigungskunst ist in der Avatar-Lore aufgrund eines mutmaßlichen Flüchtigkeitsfehlers im Skript der Sequel-Serie Die Legende von Korra nicht ganz konsistent; allerdings lässt sich mit ziemlicher Sicherheit sagen, dass die konzeptuell an buddhistische Mönche angelehnten Luftnomaden das Bändigen von den fliegenden Himmelsbisons gelernt haben. Diese behausten die Lufttempel der vier Himmelsrichtungen, noch bevor die Nomaden sich in diesen niederließen.
Das für seine spiralförmigen Bewegungen bekannte Luftbändigen verwendet im Kampf hauptsächlich Bewegungsprinzipien und Formen des Baguazhang (kurz Bagua). Es weist aber auch einige wesentliche Aspekte des Xingyiquan (kurz Xingyi) auf und vereint damit zwei innere Kampfkünste in sich (innere und äußere Kampfkünste sind im ersten Artikel der Reihe erläutert). Das Element der Luft gilt bei Avatar als Gegenpart zur Erde so wie Wasser zu Feuer. Beide Element-Paare repräsentieren je einen von zwei übergeordneten Stilen chinesischer Kampfkunst:

Während Northern Shaolin (Feuer) und Tai Chi (Wasser) als nördliche Stile die stets langgestreckten und überwiegend nach vorne gerichteten Positionen sowie die oftmals weit ausholenden Bewegungen gemeinsam haben, teilen sich Hung Gar (Erde) und Bagua (Luft) als südliche Stile den eher engen, aber dennoch festen Stand sowie meist kurze und kleine, dafür aber kraftvoll-explosive und effektive Bewegungen.
Luftbändigen im echten Leben
Die Herkunft von Baguazhang ist ungeklärt und kann nur bis zum 19. Jahrhundert sicher zurückverfolgt werden. Grundsätzlich weist Bagua aber zu den südlichen Stilen weitaus mehr Parallelen auf als zu den nördlichen. Wie beim Taijiquan geht es auch beim Baugazhang vorrangig um das Lenken des Qi-Flusses im Körper und somit das Erreichen hoher Explosivkraft.
Im Gegensatz zu den äußeren Kampfkünsten liegt der Fokus hier nicht auf Muskelkraft und körperlicher Ausdauer, sondern auf äußerst präzisen und möglichst mühelosen Bewegungen, die auch der körperlichen Betüchtigung dienen können. Dazu sind neben dem Trainieren der fokussierten Qi-Lenkung auch Mediationsübungen zur Stärkung des Qi erforderlich.

Kennzeichnend für das daoistisch geprägte Bagua ist neben dem Kämpfen mit offener Hand (zhang) besonders das Acht-Schritt-Prinzip, bei dem der Praktizierende in acht Schritten einen Kreis vollzieht. Im Avatarverse können wir das kreisförmige, rotierende Laufen besonders gut in der Trainingsanlage für Luftbändiger*innen in Die Legende von Korra beobachten.
Die Acht taucht im Bagua immer wieder auf und symbolisiert die acht (ba) aus Orakelknochen (gua) geformten Trigramme, die im Daoismus eine äußerst wichtige Rolle spielen. Sie gehen zurück auf das Yijing, ein antikes chinesisches Werk zur Orakelbefragung, dessen Inhalte einen wesentlichen Ausgangspunkt für die Lehren des Daoismus darstellen. Die Trigramme bestehen aus drei Linien, die entweder durchgezogen oder gebrochen sind, wobei erstere yang und zweitere yin repräsentieren.

Daraus ergeben sich acht verschiedene Kombinationsmöglichkeiten, die symbolisch für alles mögliche stehen können, darunter die vier Jahreszeiten sowie die acht Himmelsrichtungen. Angeordnet sind diese acht Trigramme meist kreisförmig und häufig um ein Yin-Yang herum.
Von der Defensive in die Offensive
Beim Kämpfen mit Bagua ist das Gewicht meistens in Anfangs- und Endpositionen immer auf dem hinteren Bein, sodass sich die Ausrichtung des Oberkörpers in einer leicht gebeugten, aber defensiven Haltung schnell und flexibel anpassen lässt. Damit folgt das Baguazhang der daoistischen Geisteshaltung, sich an die stets im Wandel befindliche Welt anzupassen. Typisch für Bagua ist auch, sich im Kampf hinter den Gegner zu begeben und diesen von dort aus kampfunfähig zu machen, wie es Aang in der dritten Staffel auch bei dem Schulhof-Kampf mit dem Feuernation-Jungen tut.
Ähnlich verhält es sich mit der Kampfhaltung des Xingyiquan, welche für seine harten, direkten Attacken bekannt ist. Diese wurden mutmaßlich dem Speerkampf nachempfunden. Im Xingyi wird ein nach vorn gerichtetes Bewegen verbunden mit engen, spiralförmigen Bewegungen, die dem Baguazhang nicht unähnlich sind. Der wesentliche Unterschied besteht hier in dem zügigen, geradlinigen Zubewegen auf den Gegner.
Beide Kampfkünste haben jedoch den engen, festen Stand und die kurzen, explosiven Bewegungen gemeinsam sowie die Verwendung des Qi: Besonders bei kurzen und kraftvollen Bewegungen ist es wichtig, nicht auf grobe Muskelkraft zu setzen. Daher geht es auch beim Xingyi darum, eine Form (xíng) sehr bewusst und aufmerksam, also mithilfe der eigenen Geisteskraft (yì), auszuführen und so die Fausttechnik (quán) aus einer inneren Entspannung heraus durch absichtsvolle Lenkung des Qi einzusetzen.

So bleibt Xingyi eine Kunst, die in der potenziellen Brutalität seiner Anwendung nicht zu unterschätzen ist. Doch auch abseits vom Kampfaspekt kann Luftbändigen, wie jede Bändigungsform, brutal werden und lässt sich gar zu grausamen Zwecken missbrauchen, wie etwa als Zaheer… nein, das spoiler ich jetzt nicht. Nicht, dass auch euch noch die Luft zum Atmen wegbleibt (nudge nudge).
Es lebe das Fandom!
Zum Abschluss dieser Artikelreihe hier noch ein paar Final Fun Facts als kleine Belohnung für die Hardcore-Fans fürs Durchhalten bis zum Schluss: Wer von Avatar-Nerdfacts nicht genug bekommt, kann sich auf dem Fandom-Wiki die Zeit vertreiben (Tipp: beim nächsten Gespräch über die Serie könnt ihr angeben, indem ihr die Fandom-Zeitrechnung verwendet und Akronyme wie BG und AG droppt). Und wenn ihr generell nicht genug von dem Avatarverse bekommt, gibt es ja noch die ganzen Graphic Novels und einige Romane, die besonders die Originalserie fortsetzen und erweitern.
Solltet ihr bis hierhin hauptsächlich wegen dem Kampf-Aspekt der Bändigungsformen gelesen haben und euch jetzt fragen, welche einigermaßen populäre Kampfkunst am nächsten am Luftbändigen dran ist (viel Spaß beim Suchen einer Kampfschule, die Bagua oder gar Xingyi unterrichtet), dürftet ihr euch am ehesten wiederfinden bei einer Kombination aus Qi Gong (Meditationsübungen) und Wing Tsun (Kampftechniken, siehe Erdbändigen).
In welchem Element findet ihr euch am ehesten wieder? Welche Bändigungsform, welche Kampfkunst gefällt euch am besten? Wusstet ihr das Meiste schon oder habt ihr viel Neues gelernt? Hat euch die Artikelreihe zum Ausprobieren einer dieser Kampfkünste inspiriert? Und vor allem: Wann findet bei euch der nächste Avatar-Rewatch statt? Schreibt es uns gerne in die Kommentare. Damit lösen wir uns nun von unseren irdischen Fesseln, treten ein in die Leere, leeren uns und werden Wind.
Beitragsbild: Avatar – Der Herr der Elemente, 2006, Nickelodeon. (Avatar Aang führt eine nach oben gerichtete Luftstsoß-Attacke aus.)

