Film Kultur

Wasser, Erde, Feuer, Luft: Was steckt hinter den Bändigungsformen von Avatar? – Teil 1: Feuer

„Vor langer Zeit lebten alle vier Nationen zusammen in Harmonie. Doch dann erklärte die Feuernation uns den Krieg und alles änderte sich.“ Das Intro von Avatar – Der Herr der Elemente löst bei vielen von uns noch immer ein wohlig-warmes Gefühl von Nostalgie aus. Mit der beste Aspekt der Serie waren für so manche die, je nachdem wie man zählt, vier bis neun Arten des Elemente-Bändigens. Zum Release der Live-Action-Adaption auf Netflix nimmt die Kupferblau Kampfkünste, die den vier ursprünglichen Bändigungskünsten der originalen Animationsserie zugrunde liegen, in einer Artikelreihe genauer unter die Lupe. Zu Beginn bringen wir Licht ins Dunkel und bändigen das Feuer.

Von klein auf bin ich begeistert von Kampfkunst. Als ich sechs war, habe ich mit Shaolin Kung Fu angefangen, nur um es ein Jahr später hinzuwerfen und in der sechsten Klasse wieder aufzugreifen – diesmal langfristig. Als ich einige Jahre später Avatar zum ersten Mal schaute, fielen mir bei den Kampfszenen sofort die Parallelen zum Shaolin Kung Fu und Taiji Quan (Tai Chi) auf – ein Grund, warum ich mich so sehr in diese Serie verliebte.

Vor kurzem habe ich Avatar und das Sequel Die Legende von Korra nochmal gebingewatched und wollte es nun ganz genau wissen. Also habe ich mich auf einen ausführlichen Deep Dive in die Tiefen der Wikipedia und der Online-Fankultur begeben und mich intensiv mit den realen UND FIKTIVEN Entstehungshintergründen des Elementebändigens auseinandergesetzt, damit ihr es nicht tun müsst. Keine Sorge, falls ihr die Serie(n) noch nicht gesehen habt, dieser Artikel wird auf keine Story-Details eingehen und somit spoilerfrei sein!

Das Symbol für das Element des Feuers. Bild: Avatar – Der Herr der Elemente, 2005-2008, Nickelodeon.

Die Geschichte der Bändigungskunst

Zunächst einmal ein kurzes Recap zum historischen Hintergrund des Bändigens im Avatar-Universum. Die Menschen lebten knapp 10.000 Jahre vor dem Angriff der Feuernation und zeitlichen Beginn der Geschichte von Avatar (die Hardcore-Fans kennen das genaue Jahr) in Städten, die sich auf den Panzern riesiger Löwenschildkröten befanden. Diese mystischen Lebewesen aus prähistorischer Zeit haben den Körper einer Schildkröte und den Kopf eines Löwen und gelten als die ersten Tiere überhaupt. Sie sind eine Mischung aus dem Konzept Weltschildkröte und der chinesischen Wächterfigur des Steinlöwen, der etwa vor Palästen in der Verbotenen Stadt platziert ist.

Die Löwenschildkröten hatten es sich zur Aufgabe gemacht, die Menschen zu beschützen. Sie waren eng mit der Geisterwelt verbunden und verfügten über je eines der vier Elemente der modernen westlichen Vorstellung. Sie gaben den Menschen ursprünglich die Fähigkeit zum Bändigen des jeweiligen Elements, um sich bei der Nahrungssuche in der Wildnis gegen gefährliche Geister wehren zu können. Später jedoch wurden die sterbliche und die Geisterwelt getrennt und die Menschen verließen die Löwenschildkröten dauerhaft, um die Welt zu besiedeln und die uns bekannten vier Nationen zu bilden. Dabei nahmen die Löwenschildkröten den Menschen ihre Bändigungskräfte, woraufhin sich einige Menschen das Bändigen durch das Beobachten bestimmter Tiere selbst beibrachten und daraus auch Kampfkünste entwickelten. Welche Tiere genau, das wird an anderer Stelle noch relevant werden.

Die Weltschildkröte lässt sich auch in der hinduistischen und chinesischen Mythologie finden – allerdings nicht mit dem Kopf eines Wächterlöwen. Bild: Die Legende von Korra, 2013, Nickelodeon.

Avatar beinhaltet authentisches Kung Fu

Nun zu den realen Hintergründen der Bändigungsarten. Sämtliche Formen des Elemente-Bändigens beruhen auf echten chinesischen Kampfkünsten. Diese lassen sich grundsätzlich unter Kung Fu (auch Gong Fu, Wu Shu, etc.) zusammenfassen; meist ist damit allerdings Shaolin Kung Fu gemeint in all seinen Variationen und Stilen. Damit beinhaltet Avatar zwar immer um Kung Fu, aber nicht immer Shaolin Kung Fu. Hinter allen Szenen, in denen Elemente gebändigt werden, steckt ein Mann, dem wir viel zu verdanken haben: Sifu Kisu. Sifu steht für Meister/Lehrer und ist das chinesische Pendant zum japanischen Sensei. Falls ihr euch jetzt fragt, Lehrer von wem eigentlich: Unter anderem von Bryan Konietzko, einem der beiden Executive Producers von Avatar und Die Legende von Korra.

Als Avatar noch eine bloße Idee war, suchte Konietzko einen Kung-Fu-Lehrer, der ihm einige Dinge beibringen würde und auch bereit wäre, sich kreativ an der Serienentwicklung zu beteiligen. Konietzko wollte Avatar von Anfang an als eine Kung-Fu-Serie entwickeln, weil er Shaolin Kung Fu aufgrund seiner Dynamik und Explosivität visuell am passendsten fand. In Los Angeles traf er schließlich auf Kisu, bei dem er einige Monate lang Northern Style Shaolin Kung Fu (Chang Quan) trainierte, bevor er ihn für sein Projekt rekrutierte. 

Der Kampfsportler hatte zuvor bereits bei einigen Martial-Arts-Filmen mitgewirkt sowie an einer Art Schwesterserie von Power Rangers. Kisu hat nicht nur jedem Element eine Kampfkunst zugeordnet, sondern auch sowohl für Avatar als auch für Die Legende von Korra die jeweilige Choreographie von jeder Kampfszene mitentwickelt. Um den Illustrator*innen eine Modellvorlage zu geben, wurde außerdem jede einzelne Choreo so gut es geht von ihm persönlich vorgeführt. Er hat der Serie in Sachen Kampfkunst und Spiritualität ein Maß an Authentizität gegeben, das ohne ihn undenkbar gewesen wäre.

Sifu Kisu ist in der Serie verewigt worden: Der nicht-bändigende Schwertkämpfer Piandao wurde ihm nachempfunden. Bild: Avatar – Der Herr der Elemente, 2007, Nickelodeon.

Das Feuerbändigen und der Faustkampf

Feuer gilt im Avatar-Universum als das Element der Stärke. Jedenfalls laut Onkel Iroh und wir wissen ja, wie weise dieser ist. Die Formen zur Bändigung dieses Elements basieren auf Formen des eben bereits erwähnten Northern Shaolin Kung Fu, dem Chang Quan. Dieses zeichnet sich durch seine besonders langen und oft auch tiefen Standpositionen (Stände) aus. Northern Shaolin umfasst mehrere ähnliche Stile, die dem ‘ursprünglichen’ Shaolin Kung Fu heute am nächsten sind.

Das liegt daran, dass das Shaolin-Kloster, der Entstehungsort des Kung Fu, in der Provinz Henan im nördlicheren Teil Chinas liegt. Somit sind die Kampfstile aus dem chinesischen Norden geographisch und zeitlich näher an der Quelle. Bis heute machen sie einen Großteil dessen aus, was wir Shaolin Kung Fu nennen. Die südlichen Kung-Fu-Stile entwickelten sich erst weitaus später und eben auch außerhalb, südlich des Shaolin-Klosters.

Zurück zum Feuerbändigen. Dessen Formen sind den natürlichen Bewegungen der Drachen nachempfunden (wer die Serie vollständig geguckt hat, weiß Bescheid). Das ist kein Zufall, denn im Chang Quan wird viel mit der geschlossenen Faust gekämpft, welche im Shaolin Kung Fu die Tierform des Drachen einnimmt (daher auch die Bezeichnung dragon fist). Im Kung Fu soll (fast) jede Handform irgendein Tier imi-tier-en. Die Tierformen dienten wohl ursprünglich zur Kräftigung der Gelenke der Mönche nach langem Meditieren, erst im Laufe der Zeit wurden daraus Kampftechniken.

Die Shaolin-Tierform ‘Drache’: ausgestreckter Arm mit geballter Faust. Bild: Avatar – Der Herr der Elemente, 2008, Nickelodeon.

Doch das ist noch nicht alles, denn Quan bedeutet Faust oder auch Fausttechnik im Sinne von Kampfkunst/-stil. Cháng bedeutet lang oder langgezogen, weshalb man das Chang Quan auch Long Fist nennt. Das beschreibt die Positionen und Formen dieses Kampfstils hervorragend, für den nicht nur die geschlossene Faust kennzeichnend ist, sondern auch, dass die Arme so gut wie immer möglichst lang gestreckt sind.

Auch die Beine spielen eine Rolle

Langgestreckte Arme, Kämpfen mit der Faust, Tierform des Drachen – da ist das Schießen von Flammen aus den Fäusten (und Füßen) doch sehr naheliegend. Das muss sich bei der Entwicklung der Serie wohl auch Sifu Kisu gedacht haben, der das Chang Quan seit nun über 40 Jahren praktiziert. Dieses zeichnet sich nicht nur durch seine langen Arme aus, sondern auch anhand seiner offenen und ausgiebigen Stellungen.

Die Menschen lernten von den ersten Feuerbändigern: den Drachen. Bild: Avatar – Der Herr der Elemente, 2008, Nickelodeon.

Beim Shaolin Kung Fu gibt es nicht nur, aber insbesondere zwei Stände: der geerdete und breite Reiterstand (Ma Bu) der südlichen und die lange Vorwärtsstellung (Gong Bu) der nördlichen Stile (die aber auch gelegentlich den Ma Bu verwenden). Beim Ma Bu befinden sich die Füße seitlich auf einer Linie und die Oberschenkel bei aufrechtem Körper möglichst parallel zum Boden (ihr könnt ja mal ausprobieren, wie tief ihr kommt).

Währenddessen sind beim wortwörtlich offensiven Gong Bu (teilweise auch Bogenstellung oder Angriffsstellung genannt) die Füße meist auf zwei Linien – der hintere Fuß ist also leicht seitlich hinter dem vorderen Fuß. Das hintere Bein ist dabei ausgestreckt und das vordere gebeugt, der Oberkörper meist aufrecht, bei manchen Formen aber auch in einer Linie mit dem hinteren Bein. Die Arme sind dabei fast immer weit vom Körper gestreckt.

Diese langen Positionen kombiniert mit den Techniken der Langen Faust ermöglichen im Kampf ein aggressives, konfrontatives und in der Bewegung vorwärtsgerichtetes Agieren – getreu dem Motto „(Gegen-)Angriff ist die beste Verteidigung“, denn das Feuerbändigen kennt kaum Verteidigungstechniken. Diese Formen sind zwar sehr schön anzusehen (besonders bei Zuko und Azula), können aber auch schnell brutal und gefährlich werden – genauso wie Feuer (wer das Ende der ersten Staffel gesehen hat, weiß genau, was gemeint ist).

Ein Feuerbändiger bewegt sich im Kampf immer pfeilgerade auf den Gegner zu. Bild: Avatar – Der Herr der Elemente, 2008, Nickelodeon.

Azulas eigener Kampfstil

Apropos Azula. Zum Schluss noch ein kleiner Exkurs zu ihrem Kampfstil und zum Blitzebändigen. Dieses stellt eine äußerst gefährliche und seltene Sonderform des Feuerbändigens dar, die nur wenige beherrschen. Von Iroh wissen wir, dass er nicht nur das Herbeirufen und Bändigen von Blitzen beherrscht, sondern auch eine Technik entwickelt hat, diese abzufangen und umzuleiten. Das Bändigen oder Weiterleiten von Blitzen kann tödlich enden, wenn falsch ausgeführt.

Wie Iroh ist auch Azula in der Lage, Blitze zu bändigen. Überhaupt scheint Azula mit ihren blauen Flammen einen eigenen Kampfstil an den Tag zu legen. Ihr hat Kisu einen ganz speziellen nördlichen Stil zugewiesen: Cha Quan. Dieser Stil hat mit seinen zwölf schnellen und kräftigen Tan Tui (einstudierte Bewegungsabläufe wie Katas im Karate) das moderne Shaolin Kung Fu besonders stark geprägt.

Die Endposition beim Blitzebändigen (hier rechts) hat Sifu Kisu aus einer Form übernommen, die er als Dragon Spits its Whiskers bezeichnet, und ist im Gong Bu. Bild: Avatar – Der Herr der Elemente, 2007, Nickelodeon.

Interessanterweise geht das Cha Quan wohl ursprünglich auf die Hui zurück, eine muslimische Ethnie im Nordwesten des heutigen Chinas, und fand seinen Weg über die Seidenstraße in die Region des östlich gelegenen Shaolin-Klosters – aufgrund seiner Herkunft heißt es auch Northern Islamic Fist. Abgesehen von langgestreckten Formen und einer hohen Explosivkraft zeichnet sich Cha Quan auch durch eine gewisse Luft-Akrobatik aus, welche für Azula tatsächlich charakteristisch ist. Die Form der Feuerdolche, die Zuko und Azula gerne produzieren, entspricht laut Kisu übrigens zu 1:1 einer Northern-Shaolin-Form namens Double Daggers.

Wer jetzt Lust bekommen hat auf Feuerbändigen, findet auf YouTube etliche Clips von Northern Shaolin sowie diverse Best-Of-Zusammenschnitte der Serie. An dieser Stelle soll es das zum Feuerbändigen aber gewesen sein, im nächsten Teil geht es weiter mit dem in vielerlei Hinsicht gegensätzlichen Element: Wasser.

Beitragsbild: Avatar – Die Legende von Korra, 2012, Nickelodeon. (Avatar Korra bändigt eine Art blockenden Feuer-Schild.)

Ähnliche Beiträge

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert