Kultur Musik

Man hört nur mit dem Herzen gut. Klangbrücken mit Weltklasseformat im franz.K.

Wenn die Oud im franz.K angestimmt wird, ist interkulturelles Spektakel fast vorprogrammiert. Ganz besonders, wenn sie dabei auf Schlagzeuglegende Billy Cobham stößt. Doch der wahre Wert von Weltmusik zeigte sich überraschenderweise abseits der arabischen Melodien und den jazzigen Elementen. Ein Konzertbericht.  

Dass es ein ganz besonderes Konzert im Reutlinger Kulturzentrum werden würde, konnte man bereits im Vorfeld an den Ticketpreisen erahnen: gut 40€ kostete der Eintritt. Und besonders war es in der Tat, denn das franz.K empfing am Freitagabend um 20 Uhr ganz hohen Besuch: Billy Cobham, Schlagzeuglegende und einer der besten Drummer der Geschichte harmonierte mit der Königin der Instrumente, der Oud, gespielt vom Virtuosen Chaouki Smahi.

DIY-Projekt: Eine Plastik-Gitarre und etwas Bremsseil

Angefangen hat Smahi’s Oud-Reise ganz unscheinbar. Er ist Autodidakt. Sein erstes Instrument war eine Plastik-Gitarre, die er geschenkt bekommen hatte. Die Saiten? Ein Fahrradbremsseil. Stolz über sein erstes Instrument rannte der kleine Chaouki die 3km bis zum Haus seiner Großmutter, um es ihr zu zeigen. Doch die pralle Mittagssonne Algerien’s macht ihm ein Strich durch die Rechnung. Die Hitze war so stark, dass das Plastik der Gitarre dahinschmolz. Das provisorische Instrument war unspielbar.

“Von seinen Fingern fließt Honig”. So habe einer der größten arabischen Musiker Smahis Spielstil beschrieben. Bei seiner Solo-Einlage sind alle Augen auf ihn gerichtet. Foto: Alexandros Mantzaridis

Doch was sich als Kindheitsanekdote liest, beschreibt Chaoukis späteren Spielstil vielleicht am besten: Denn mittlerweile ist Verschmelzung genau zum Markenzeichen seiner Musik geworden und die Bremsseilgitarre zum Symbolbild seiner Kunst. Eine Verschmelzung von unterschiedlichen Kultur- und Musikwelten.

WorldFusionJazz – Zwischen Groove, Jazz und arabischen Melodien

Er selbst beschreibt seine Musik als eine Richtung, die aus der nordafrikanischen Musiktradition entspringt und Anschluss an die Welt findet durch arabische Melodien gemeinsam mit Jazz, Punk und vor allem Groove-Elementen.

“Musik ist nicht nur Melodien. Es ist auch Rhythmen. Ich komme aus Nordafrika, dort haben wir unsere eigenen Rhythmen, die reich und komplex sind.”

Chaouki Smahi

Angefangen hat Smahi mit klassischer arabischer Musik. “Später habe ich meine eigene Identität gesucht und geschaut, wo ich mich inspirieren kann. Und da kam mir die Idee, Saxophon und Bass in meine Musik zu integrieren.”

„Brücken schlagen“ – das ist der zentrale Begriff. Und das gelingt ihm am Freitag sehr gut. Angeführt von der Oud (mittlerweile mit richtigen Saiten) bewegt sich die Band genau an den Schnittstellen von westlicher, arabischer und Jazz-Musik. Die Solo-Einlagen der Künstler werden mit frenetischem Beifall des gefüllten Konzertsaals begleitet. Die Stücke reichen von mediativen Melodien bis hin zu groovigen Stücken.

Die Band: Vom Weltstar bis hin zu Überraschungsgästen

Rhythmischer Fadenzieher des Abends ist dabei kein geringer als Billy Cobham. Dass er nächsten Monat seinen 80. Geburtstag feiert, merkt man nur an seiner Gehhilfe, die er scherzend als „Skateboard“ bezeichnet. Aber auf seinem Schlagzeug heizt er über die gesamte Konzertdauer dem Saal richtig ein. Unterbrochen wird er nur von tosendem Beifall und Zurufen. Am Geräuschpegel des Applauses wird deutlich, dass hier ein Weltstar am Werk ist.

Taktgeber und rhytmisches Fundament. Schlagzeuglegende Billy Cobham im vollen Einsatz. Foto: Alexandros Mantzaridis

Essentiell für das Errichten der musikalischen Verschmelzung ist aber auch die weitere Besetzung der Band: Mike Herting (Klavier), Heiner Wiberney (Saxophon), Dave King (Bass) und Paul Shigihara (Gitarre). Doch nach dem ersten Stück präsentierte Chaouki Smahi auch zwei Überraschungsgäste, die das letzte Puzzleteil für das Errichten der Klangbrücken darstellten: seine beiden Töchter Karima (Cello) und Anissa (Querflöte), denen er auch jeweils eines seiner Lieder widmet. Beide Musikpädagoginnen kommen eigentlich aus der klassischen Musik. Doch mit ihrem Stil bereichern sie das Konzert sehr. Ihr Duett und ihr Wechselspiel mit der Band hinterlässt Eindruck im Publikum. „Da kann der Vater sehr stolz sein“ raunt ein Zuschauer aus der Menge. Brücken werden also auch über Generationen hinweg gebaut.

Der Vater ist sichtlich stolz auf die Leistung seiner Töchter Karima und Anissa. Foto: Alexandros Mantzaridis

Konzertfazit?

Mit diesen Eindrücken hatte ich eigentlich vor, meinen Konzertberichtsartikel abzuschließen. Vielleicht noch ein pointierter Kommentar zur Oud, mit einem persönlichen Bezug; ein kurzes Fazit zur Besetzung oder zur Gattung „Weltmusik“ und ein Hinweis auf Billy Cobhams Weltklasseformat. Klassisches Fazit eben. Wäre da nicht dieses eine kurze Gespräch beim Verlassen des Konzertsaals gewesen, das mein Verständnis von „Weltmusik“ und meinen Blick auf den Abend geändert hat. Denn trotz der Star-Besetzung und den lebendigen Rhythmen, war das eigentliche Highlight des Abends ein anderes. Ganz unscheinbar und für das Auge kaum wahrnehmbar, wurde ich Zeuge von einer wahren Klangbrücke…

Man sieht nur mit dem Herzen gut

Während des Konzerts sah ich aus dem Augenwinkel, wie in der ersten Reihe, direkt zu den Füßen Smahis, zwei Kleinkinder saßen, die zu den nordafrikanischen Rhythmen und dem Groove Smahis auf ihren Stühlen auf und ab hibbelten, klatschten und jedes seiner Solos feierten. Als die Pause begann, stürmten sie auf die Bühne, die Arme fest um Smahis Füße umschlungen. Auch nach dem Konzert sprangen sie nach oben und er ließ sie Anteil nehmen am frenetischen Applaus im franz.K.

Was für das Auge nur nach musikalischer Bewunderung aussah, offenbart sich beim Nachfragen als Symbolbild der Wirkung von Musik. Und so erfuhr ich das Highlight des Konzerts buchstäblich erst beim Rausgehen. Ich fragte die Mutter der jungen Fans, was die Bindung zwischen dem Oud-Spieler und den Kindern zu bedeuten habe. Ihre Antwort:

“Meine Mutter – die Oma der Kinder – war ein sehr großer Fan von Smahi und seiner Musik. 2022 verstarb sie leider. Gemeinsam mit meinem Vater wollten wir ihr die letzte Ehre erweisen und fragten Smahi über Facebook an, ob er nicht auf ihrer Beerdigung spielen möchte. Ich kannte ihn nicht persönlich, aber ich wollte es trotzdem probieren und kontaktierte ihn.”

Konzertbesucherin
Transkulturelle Musik in voller Besetzung. Foto: Alexandros Mantzaridis

Smahi zögerte keine Sekunde und sagte zu. Auf der Beerdigung schloss er die Enkelkinder in sein Herz und sie ihn in das ihre. An diesem Freitagabend sahen sie sich wieder. Das Konzert wird so zum Begegnungsort und die Musik Ausdruck der Herzlichkeit. Antoine de Saint-Exupéry hatte Recht: Man sieht (und hört) nur mit dem Herzen gut. Das Wesentliche ist für das Auge unsichtbar. Das gilt insbesondere für Weltmusik. Und da passt es, dass das allerletzte Stück, das an diesem Abend im Konzertsaal ertönte, „Amoulati“ war. Ein Liebeslied.

Beitragsbild: Alexandros Mantzaridis

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