Milo
Dossier

Streicheln oder schlachten? Die willkürliche Grenze zwischen Haustier und Nutztier – Ein Kommentar

Über 2 Millionen Tiere sterben täglich in der industriellen Tierhaltung. Gleichzeitig investieren Haustierhalter*innen Zeit, Geld und Liebe in die Versorgung ihrer Vierbeiner. Doch wo verläuft die Grenze zwischen einem geliebten Haustier und sogenannten Nutztieren? Und warum wird diese gesellschaftlich so selten hinterfragt?

Ob ein Tier als essbar gilt, hängt meistens von kulturellen Faktoren ab. In Deutschland ist es fast unmöglich sich vorzustellen, einen Hund zu essen, während dies in vielen Ländern Asiens zur Normalität gehört. Genauso ist es in einigen Ländern Südamerikas Teil der traditionellen Küche, Meerschweinchen zu essen – etwas, das für die meisten Deutschen ebenfalls unvorstellbar ist. Diese Beispiele zeigen: Was gegessen wird und was nicht, ist keine biologische oder moralische Konstante, sondern kulturell geprägt. Zwar begleitet Fleischkonsum die Menschheit seit ihren Anfängen, doch welches Tier als Nutztier angesehen wird und welches als des Menschen bester Freund, ist eine rein gesellschaftliche Entscheidung. Einige Menschen argumentieren für den Fleischkonsum auch aus biblischer Perspektive. Schließlich gebe es Tiere, die extra zum Verzehr geschaffen wurden. Doch selbst wenn man daran glaubt, sieht der biblische Fleischkonsum sicher keine Massentierhaltung vor.

Kuh 2
Ein junger Bulle in den Dolomiten auf einer grünen Weidefläche, von der Tiere in industrieller Tierhaltung nur träumen können. Bild: Pia Schneider.

Die Fleischindustrie in Deutschland: Ein trauriger Überblick

Über 2 Millionen Tiere werden täglich in industrieller Tierhaltung getötet. Das sind mehr als 742,5 Millionen Tiere pro Jahr. Nach einer Studie der Albert Schweitzer Stiftung machen die Masthühner mit etwa 84% den größten Anteil aus, danach folgen Schweine mit 6%, Puten mit 4%, Hennen aus der Eierindustrie mit 4% und Rinder, Schafe, Gänse und andere Tiere mit zusammen 2% (Stand 2024). Doch die Fleischindustrie fordert bereits Leben noch bevor Tiere überhaupt beim Schlachter landen: Die Tierrechtsorganisation ANINOVA, die viele Missstände in der Fleischindustrie aufdeckt, hat im April in einem Mastbetrieb für Schweine in Nordrhein-Westfalen ermittelt. Aufnahmen von ANINOVA zeigen kranke und verletzte Schweine, mit Schwellungen, Beulen, blutigen Kratzspuren und mehr. Auch tote Schweine werden hier im Mastbetrieb aufgefunden. Ihre toten Körper werden von ihren Artgenossen teilweise schon angefressen. Kannibalismus ist eine Verhaltensstörung bei Tieren, die in vielen Mastbetrieben nachzuweisen ist. 

Laut einer Studie der Universität Leiden aus dem Jahr 2023 werden weltweit jährlich rund 18 Milliarden Tiere für die Fleischproduktion getötet, deren Fleisch nie verzehrt wird, sondern entlang der Lieferkette verloren geht oder entsorgt wird. Allein für den Fleischkonsum werden in Deutschland pro Person (ca. 83,6 Millionen) etwa neun Tiere berechnet, ohne Veganer*innen oder Vegetarier*innen auszuschließen. Wenn man nun die Tiere dazuzählt, die komplett unnötig sterben, kommen pro Person jeweils noch 2,4 verschwendete Tierleben hinzu.  

Ich liebe Tiere, aber Fleisch schmeckt einfach zu gut

Mit dieser Aussage werden Veganer*innen nur allzu oft konfrontiert. Auch andere Rechtfertigungen wie beispielsweise „Ich esse ja nur wenig Fleisch“ oder „Mein Fleisch kommt nur vom Metzger“ werden gerne genutzt. Viele Menschen geraten hier nämlich in einen Konflikt: Sie lieben Tiere, könnten niemals einer Fliege etwas zuleide tun, und essen dennoch regelmäßig Fleisch und konsumieren tierische Produkte. Was viele vielleicht nicht wissen, oder eher nicht wissen wollen, ist dass 96% des Fleisches auf dem Markt aus Massentierhaltung stammt. Hier herrscht eine kognitive Dissonanz bei den meisten Menschen: Sie sind sich bewusst, was sie konsumieren, fühlen sich schlecht, aber nicht schlecht genug, um damit aufzuhören. Daher kompensieren viele das Fleischesser*innen damit, indem sie Ausreden suchen. Dies kann auch mit dem Begriff des Fleischparadox erklärt werden: 

 

Das Fleischparadox beschreibt den Widerspruch, der daraus entsteht, dass Menschen gerne Fleisch essen, aber gleichzeitig Tieren kein Leid zufügen möchten. Wird das Fleischparadox bewusst, empfinden Menschen das als unangenehm und verwenden verschiedene Strategien, um es aufzulösen — meist ohne dabei ihr Ernährungsverhalten zu ändern.

Definiert von Benjamin Buttlar und Eva Walther.
Moritz
Haustier vs. Nutztier – getrennt durch einen einfachen Zaun. Bild: Pia Schneider

Diese Dissonanzen herrschen aber nicht nur in der Fleischindustrie, sondern auch in der Milchindustrie. Auf vielen Milchpackungen sieht man Bilder von grünen Weiden, auf denen die Milchkühe friedlich leben. Doch dies entspricht selten der Wahrheit. Milchkühe werden oft auf brutale Weise geschwängert. Nach der Geburt werden ihnen die Kälber weggenommen, sodass die komplette Milchproduktion kommerziell genutzt werden kann. Sechs Wochen, nachdem das Kalb geboren wurde, lässt die Milchproduktion einer Kuh bereits wieder nach, weshalb sie dann schon wieder besamt wird. Normalerweise haben Kühe eine Lebenserwartung von 20 Jahren. In der Milchindustrie werden die Kühe im Durchschnitt fünf bis sechs Jahre alt. Mastbullen werden sogar bereits nach 18 bis 20 Monaten geschlachtet. 

Visuelle Darstellungen in Supermärkten oder Werbungen zeigen oft keine realistischen Bilder der Tierhaltung, sondern glückliche Tiere auf grünen Wiesen, wie zum Beispiel in der Grünländer Werbung. Wie von zdfwiso berichtet, erhielt Hochland 2020 die Auszeichnung für die dreisteste Werbelüge, da deren Milchkühe statt Freilandhaltung sich nur frei in ihren Ställen bewegen konnten. All das hilft dabei, die kognitive Dissonanz zu reduzieren, ohne das eigene Konsumverhalten hinterfragen oder gar ändern zu müssen. So bleibt der Widerspruch zwischen Mitgefühl und Essgewohnheit meist unbehandelt oder wird durch routinierte Ausreden beruhigt.

Beitragsbild: Pia Schneider

Ähnliche Beiträge

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert