Weltweit verzichten im Schnitt immer mehr Kinder und Jugendliche bei ihrem Schulweg auf aktive Mobilität. Beim Studium Generale gewährte eine Sport- und Erziehungswissenschaftlerin Einblick in harte Fakten und die aktuelle Forschung.
Gehen, rennen, reiten, schwimmen, Fahrrad und sogar Kajakfahren – all das sind Beispiele für aktive Mobilität. Der Begriff umfasst alle Fortbewegungsarten, deren Hauptteil an Bewegung durch eigene Muskelkraft geschieht. Auch das gegenwärtig so beliebte E-Bike zählt dazu. Häufig findet aber auch eine Kombination verschiedener Fortbewegungsarten statt. Reist beispielswiese ein*e Student*in mit dem MEX 18 von Nürtingen nach Tübingen und geht dann den Weg vom Bahnhof zum Brechtbau zu Fuß, kann von einer gemischten Mobilität gesprochen werden.
Diese Form der Fortbewegung verzeichnet neben gesundheitlichen Vorteilen wie einem geringeren Diabetesrisiko auch Bonuspunkte im Bereich der allgemeinen Mobilität und Umwelt. So kosten Radschnellwege beispielsweise nur einen Bruchteil von dem, was für Autobahnen ausgegeben wird. Laut einer Grafik des Verkehrsclub Österreich (VCÖ) aus dem Jahr 2021 muss für einen Kilometer Autobahn um die 18,6 Millionen Euro in die Hand genommen werden, während ein Radschnellweg bei 0,9 Millionen Euro liegt.
Hinzu kommt die Tatsache, dass es für Gehen oder Radfahren keinen teuren Sprit benötigt. Die aktive Mobilität ist damit finanziell also ein absoluter Gamechanger. Außerdem ist diese deutlich leiser und CO2 freundlicher und kommt somit nicht nur Gesundheit und Geldbeutel, sondern auch der Erde zugute.

Wie kommen Kinder weltweit zur Schule?
Insbesondere in China und den USA werden viele Kinder mit dem Auto zur Schule gefahren, so die International Study of Childhood Obesity, Lifestyle and the Environment (ISCOLE). „40 Prozent der Kinder, die 2009 bis zu 400 Meter von der Schule entfernt wohnen, werden mit dem Auto gefahren“ hält Demetriou fest. Dies stehe im starken Kontrast zu Kolumbien und Südafrika, wo die Kinder vorwiegend zu Fuß zur Schule gehen. „Es gibt keine Einheitlichkeit über die Länder hinweg“, schlussfolgert die Professorin.
International kann im Schnitt von einem Rückgang aktiver Mobilität auf dem Schulweg gesprochen werden. Während es in England, der Schweiz und den USA unter 10 Prozent sind, verzeichnet Tschechien einen Rückgang von 26 Prozent. Eine Umfrage von Deutscher Kraftfahrzeug-Überwachungs-Verein (DEKRA) zu den genutzten Verkehrsmitteln auf dem Schulweg von Kindern in Deutschland aus dem Jahr 2018 ergab, dass sich Mädchen tendenziell weniger bewegen als Jungen. Sie tendieren eher dazu, öffentliche Verkehrsmittel zu nutzen, anstatt zu Fuß zu gehen, wie ihre männlichen Mitschüler.
Insgesamt gebe es einen kontinuierlichen Rückgang an Fußgänger*innen bis einschließlich des 14. Lebensjahres, so die Sportwissenschaftlerin. Das ‚Elterntaxi‘ findet sich mit 16 Prozent am stärksten bei den Grundschüler*innen im Alter zwischen 6 und 8 Jahren. Aktive Mobilität trete insbesondere in Städten wie Tübingen auf, bei kleineren Ortschaften falle diese Form der Fortbewegung hingegen deutlich geringer aus.

Abschließend betonte die Professorin das Schwinden unabhängiger Mobilität – des selbstständigen zur-Schule-Gehens ohne elterliche Begleitung. „Wir haben immer mehr Kinder und weniger Autos!“ bezieht sich die Professorin auf eine Studie aus den 1990er- Jahren.
Aktiver werden – aber wie?
Aktive Mobilität sei also nicht nur gut für Körper und Geist, sondern auch für die Umwelt und den Geldbeutel. Die Professorin kristallisiert vier Hauptpunkte heraus, die zur Förderung aktiver Mobilität beitragen können. Zum einen stünde die Politik im Fokus. Was sagt die Weltgesundheitsorganisation? Wie viel muss oder soll sich ein Mensch bewegen? Darüber hinaus gebe es die kommunalen Schulweg-Strategien zu berücksichtigen. Als Beispiel nennt Demetriou hier die Schulstraßen – die totale oder teilweise Sperrung der Straße vor den Schulen – oder auch eine Erhöhung der Parkgebühren.
Letzteres sei zwar in der Bevölkerung ungern gesehen, verzeichne aber einen Anstieg an aktiver Mobilität. Auch die Gestaltung der gebauten und natürlichen Umgebung spiele eine Rolle: „Der sicherste und angenehmste Weg ist eine Trennung von Auto- und Fahrradfahren“, so die Wissenschaftlerin. Letztendlich seien auch individuelle Faktoren von Belang. Diese umfassen Aspekte des Individuums wie Geschlecht, Einstellung oder Motivation, welche einen Einfluss auf das jeweilige Aktivitätsverhalten haben.
Das Fahrrad im Mittelpunkt
In einer eigenen Studie verfolgte Demetriou das Ziel, das Fahrradfahren und somit die aktive Mobilität ins Zentrum der Jugendlichen zu stellen. So sollten Maßnahmen entwickelt werden, die zu mehr physischer Fortbewegung anregen. „Wir wollten verstehen, was Jugendliche brauchen, um mit dem Rad zu Schule zu fahren“ erklärt sie.

Dabei wurden nicht nur Jugendliche, sondern auch Lehrkräfte und Eltern befragt. Besonders sei dabei das Zusammenbringen von unterschiedlichen europäischen Ländern gewesen. Das Endergebnis waren 13 Faktoren, wie beispielsweise Material, Bedürfnisse, der Weg zur Schule, das Fahrradtraining und soziales Verhalten sowie Verkehr.
Das Projekt Active Travel Behavior in the Family Environment (ARRIVE), ebenfalls mit Professor Demetriou, schaute sich dabei beispielsweise nicht nur den Weg zur Schule, sondern auch den Weg zu Freunden und anderen Destinationen an. Schwerpunktmäßig wurde hier auch ein Blick auf die Motivation der Jugendlichen geworfen – mache ich etwas, weil es mir jemand sagt oder ist das eine eigenständige Entscheidung?
Was schadet uns die Bewegung?
Die Professorin betont zum Ende hin, dass durch Bildung, Unterstützung und Befähigung von jungen Menschen und deren Eltern die aktive Mobilität gefördert werden kann. Dabei zitiert sie eine unbekannte Quelle mit den Worten „We are not asking people to make a sacrifice, we are asking them to improve their lives“.
Aktive Mobilität findet sich auch in der Freizeit von Kindern wieder. Wie viel aktive Mobilität tatsächlich im Freizeitverhalten der Kinder steckt, untersucht Demetriou in ihrem aktuellen Projekt Physical Leisure Activities in Children with and without Disabilities (PLAYABLE).
Beitragsbild: Marcelo Cidrack auf Unsplash

