Bundestagswahl 2025 Politik

Hunderte Demonstrant*innen blockieren Eingang zum Tagblatt-Wahlpodium

Wer am Dienstagabend das Wahlpodium des Schwäbischen Tagblatts besuchen wollte, musste kreativ werden. Mehrere hundert Protestierende versperrten den Eingang zum Kino Museum, in dem unter anderem Daniel Winkler, Direktkandidat der AfD für die Bundestagswahl, sprechen sollte. Vereinzelt kamen Gäste über die Seiteneingänge zur Veranstaltung. Auch im spärlich besetzten Kinosaal kam es zu einer Störung. 

Mit Bannern, Schildern und Rauchgranaten ausgestattet, versperrten am Dienstagabend einige hundert Demonstrierende den Eingang des Kino Museums und skandierten Sprüche wie „Rechte Hetze schafft keine Arbeitsplätze und „Es gibt kein Recht auf Nazipropaganda. Anlässlich der anstehenden Bundestagswahl veranstaltete das Schwäbische Tagblatt ein Wahlpodium mit den Direktkandidat*innen der im Bundestag vertretenen Parteien. Florian Zarnetta (SPD), Christoph Naser (CDU), Asli Kücük (Bündnis 90/Die Grünen), Julian Grünke (FDP), Ralf Jaster (Die Linke) und Daniel Winkler (AfD) sollten über Themen von Außen- bis Energiepolitik diskutieren. Aufgrund der Teilnahme des AfD-Politikers und der Weigerung des Tagblatts, Winkler auszuladen, hatte das Bündnis Gemeinsam & Solidarisch gegen Rechts, zu dem unter anderem das vom Verfassungsschutz als linksextrem eingestufte Offene Treffen gegen Faschismus und Rassismus für Tübingen und die Region (OTFR) gehört, zum Protest aufgerufen. „Wir protestieren nicht gegen die Veranstaltung, sondern gegen die AfD, betonten die Organisator*innen zu Beginn der Kundgebung, die eigentlich gegenüber des Kinos stattfinden sollte. 

AfD-Wähler*innen mit echter Alternative überzeugen

„Studien belegen, dass wir die Wähler*innen nicht zurückholen, indem wir Nazis eine Bühne bieten. So kann man Rechte nicht stellen, stattdessen können sie sich so bürgernah präsentieren, erklärte eine Sprecherin des Bündnisses. „Warum sollte heute in Tübingen beim Tagblatt-Podium das gelingen, was Top-Journalist:innen seit vielen Jahren nicht gelingt?

Pünktlich zum Einlassbeginn ist der Eingang blockiert. Diejenigen, die für die Diskussion angereist sind, beobachten das Geschehen von der gegenüberliegenden Straßenseite. Bild: Sonia Leibold

Sie räumte ein, dass es neben Blockaden auch andere Maßnahmen brauche, um die Wähler*innen zurückzuholen. „Aber es gehört sich einfach nicht, dass diese Partei, die in Tübingen nicht mal im Gemeinderat sitzt, eingeladen wird, empörte sie sich. Bürger*innen der Stadt seien direkt von den Narrativen der AfD betroffen – so etwa Arbeiter*innen, Migrant*innen, Frauen und queere Personen. Die Politik müsse diejenigen, die die Partei nicht wegen, sondern trotz deren rassistischen Narrative wählten, in ihren Ängsten vor sozialem Abstieg und Krieg ernst nehmen. Es brauche eine echte Alternative für diese Menschen, eine gerechteren Reichtumsverteilung, sowie mehr Organisation von unten. 

Wir protestieren nicht gegen die Veranstaltung, sondern gegen die AfD!

Sprecherin des Bündnisses Bündnis Gemeinsam & Solidarisch gegen Rechts

Als am Ende der Rede plötzlich Schüsse vermutlich Feuerwerkskörper aus dem Botanischen Garten zu hören waren, liefen die Protestierenden zum Kinoeingang. Die Polizei platzierte sich vor den Türen des Gebäudes, drängte die Protestierenden das Tagblatt spricht von 300 Teilnehmenden, das Bündnis von 500 jedoch nicht zurück. Pünktlich zum Einlassbeginn um 18:30 Uhr war der Eingang nun blockiert. Menschen, die die Veranstaltung im Kino Museum besuchen wollten, wurde der Zutritt verwehrt, Busse und Autos mussten umgeleitet werden. 

Bedrückte Stimmung im dünn besetzten Kinosaal

Ein paar wenige Menschen das Tagblatt spricht von rund 80 Personen gelangten über Seiteneingänge in den Almodóvar-Saal, der eigentlich Platz für 384 Besucher*innen bietet. Als das Wahlpodium mit kleiner Verspätung anfing, war die Stimmung im Saal angespannt, viele Sitze blieben bis zum Schluss leer. „Das hat es bei uns noch nie gegeben, dass wir im Vorfeld mit der Polizei und Security sprechen müssen, stellt Ulrich Janßen, stellvertretender Chefredakteur beim Tagblatt, zu Beginn der Diskussion bedrückt fest. „Wir freuen uns natürlich über die funktionierende Demokratie und dass Menschen von ihrem Recht auf Meinungsäußerung Gebrauch machen, ergänzte die Lokalredakteurin Miri Watson, die mit Janßen den Abend moderierte. 

Mit etwas Verspätung eröffneten die Moderator*innen Miri Watson (links im Bild) und Ulrich Janßen (rechts) die Podiumsdiskussion. Bild: Sonia Leibold

Von Migration bis Energiepolitik

Nach einer Vorstellungsrunde gingen die Moderator*innen zu den vorbereiteten Themenblöcken über. Aus aktuellem Anlass ging es zuerst um das Thema Migration. Auch der Eklat im Bundestag, bei dem die Union ihren Entschließungsantrag mit Stimmen der FDP und AfD im Bundestag gestellt hatte kam hier zur Sprache. Anschließend sprachen die Direktkandidat*innen über die Wehrpflicht sowie Trumps Forderung nach höheren Militärausgaben der NATO-Staaten. Hier waren auch die aktuellen Entwicklungen zum russischen Angriffskrieg auf die Ukraine, sowie eine mögliche Zwei-Staaten-Lösung im Nahostkonflikt Themen. 

Im nächsten Block sprachen die Podiumsgäste über den Schindhaubasistunnel, die Zukunft der Deutschen Bahn und die Energiewende. Obwohl nur wenige Interessierte live vor Ort sein konnten parallel konnte die Diskussion über einen Livestream verfolgt werden ertönten während der Diskussion immer wieder empörte Zwischenrufe aus dem Publikum. Als sich Daniel Winkler zum Klimawandel äußerte, ertönte plötzlich ein lautes Trillern. Jemand hatte ein Störgerät in den Saal gebracht. Der Verantwortliche wurde daraufhin von der Polizei aus dem Raum gezerrt und das Podium widmete sich den nächsten Diskussionspunkten. 

Die Podiumsteilnehmenden Florian Zarnetta (SPD), Christoph Naser (CDU), Asli Kücük (Bündnis 90/Die Grünen), Julian Grünke (FDP), Ralf Jaster (Die Linke) und Daniel Winkler (AfD) (v.l.n.r.). Bild: Sonia Leibold

Die Podiumsteilnehmer*innen positionierten sich teilweise zur Legalisierung der Abtreibung bis zum dritten Schwangerschaftsmonat ohne Beratung und gaben Vorschläge, wie die Politik der Gewalt an Frauen entgegenwirken kann. Mit einer Frage zur Zukunft des Cannabis-Gesetzes der Ampel endete das Wahlpodium, das unter ungewöhnlichen Umständen nun doch hatte stattfinden können. „Ich hatte nicht den Eindruck, dass wir heute der Nazipropaganda Raum gegeben haben, stellte Moderator Janßen schließlich fest und beendete damit die Veranstaltung. Da die Demonstration inzwischen abgeklungen war, konnten die Besucher*innen das Kino über den Haupteingang verlassen. 

Die Diskussion kann auf dem Youtube-Kanal des Schwäbischen Tagblatt nachgeschaut werden. 

Das sagt das Tagblatt zu den Ereignissen

Zwei Tage später äußerte sich Ulrich Janßen in einem Kommentar im Tagblatt zu den Ereignissen rund um das Podium. Solche Blockaden würden nicht dazu beitragen, die AfD zu schwächen, sondern vielmehr Menschen verärgern, die sich nicht vorschreiben lassen wollten, was sie zu tun hätten. Podiumsdiskussionen wie die des Tagblatts seien nicht schuld an den hohen Umfragewerten der Partei. Absurd ist jedenfalls das Argument, mit der Einladung zu  einem Podium trage man zur ,Normalisierung der AfD bei. Die AfD ist längst normal, sie repräsentiert ein Fünftel der Wähler, es macht keinen Sinn, dies zu ignorieren, so der stellvertretende Chefredakteur. Vielmehr wählten Menschen die AfD aus Sorge um ihre wirtschaftliche Situation und aus einer allgemeinen Verunsicherung heraus. Neben rechter Propaganda seien auch linke Parteien für das Erstarken der Partei verantwortlich. Diese hätten den Blick für die Probleme ihrer Wählerschaft verloren. 

Absurd ist jedenfalls das Argument, mit der Einladung zu  einem Podium trage man zur ,Normalisierung der AfD bei. Die AfD ist längst normal, sie repräsentiert ein Fünftel der Wähler, es macht keinen Sinn, dies zu ignorieren.

Ulrich Janßen, stellvertretender Chefredakteur des Schwäbischen Tagblatts

Bei dem Auftritt von Daniel Winkler habe man den rassistischen Narrativen der AfD laut Janßen keine Bühne gegeben. Winkler sei aus Sicht einiger Zuschauer stattdessen eher schwach rübergekommen. Janßen machte deutlich, dass das Tagblatt Protest gegen Rassismus und rechte Hetze befürworte. „Aber andere Leute zu bevormunden, ihnen den Weg zu versperren, sie niederzubrüllen und Gespräche zu verweigern, das geht gar nicht.

Was sagen die Kandidat*innen?

Wie CDU-Kandidat Christoph Naser gegenüber dem Reutlinger Generalanzeiger angab, bedauere er es, dass sich die Tübinger*innen durch die Blockade des Eintritts keine Meinung bilden konnten. Kritik gab es auch von Florian Zarnetta: Zwar brauche es Protest gegen die AfD, die Blockade des Eintritts habe der Sache seiner Ansicht nach jedoch nicht geholfen. Linken-Kandidat Ralf Jaster solidarisierte sich auf seinem Instagram-Account mit dem Protest gegen die Einladung des AfD-Kandidaten. Es ist eine Schande, dass das Tagblatt hier zur Normalisierung von Rechtsextremismus und Faschismus beiträgt und den Vertreter einer faschistischen Partei einlädt, als sei es das Normalste auf der Welt.

Wahlarena im Sudhaus aus „Sicherheitsgründen abgesagt

Vor zwei Wochen gab es bereits eine ähnliche Situation in Tübingen: Nachdem in den Sozialen Medien zum Protest aufgerufen wurde, sagte das Sudhaus eine geplante Wahlarena, bei der unter anderem der AfD-Politiker Malte Kaufmann sprechen sollte, aus „Sicherheitsgründen ab. Die überparteiliche Initiative Studopolis verlegte die Podiumsdiskussion zum Thema Migration daraufhin auf Zoom. 

Beitragsbild: Sonia Leibold

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