Am Montagvormittag war Christian Lindner, Parteivorsitzender und Spitzenkandidat der FDP, im Kino Museum in Tübingen zu Gast. Der Auftritt war Teil seiner Wahlkampftour. Das Ereignis sorgte für Proteste, auch im Veranstaltungssaal.
Bereits vor Beginn des Einlasses haben sich zahlreiche Menschen vor dem Eingang des Kino Museums und auf der gegenüberliegenden Straßenseite eingefunden. Die meisten sind da, um gegen die FDP und Lindner zu protestieren. „Ganz Tübingen hasst die FDP“ wird gerufen, auf den Transparenten kritisieren die Demonstrierenden die Migrations- und Sozialpolitik der Partei. Aufgerufen zu den Protesten hatten sowohl Fridays for Future Tübingen, als auch ein Tübinger Bündnis aus SDS, Seebrücke, Grüner Jugend, Ende Gelände und Verdi Jugend.
Tübinger Direktkandidat Grünke spricht über Migrationspolitik
Als der Einlass beginnt, ist der Andrang groß. Am Eingang findet eine Sicherheitskontrolle statt. Nur Wertsachen dürfen mit in den Saal genommen werden, die Taschen müssen im Eingangsbereich bleiben. Der große Kinosaal füllt sich schnell, die vordere Hälfte ist für geladene Gäste reserviert. Menschen, die keinen Sitzplatz mehr bekommen, werden wieder nach draußen geschickt. Die Veranstaltung beginnt mit dem Wahlwerbespot der FDP, auf den sowohl Applaus als auch Buh-Rufe aus dem Publikum folgen. Nach der Begrüßung tritt Julian Grünke, Direktkandidat der FDP im Tübinger Wahlkreis, auf die Bühne. Man sehe, dass die Tübinger Demokratie funktioniere, so Grünke. Er begrüße auch diejenigen, die nicht Freunde der FDP sind, aber offen für ihre Argumente seien. Die Stimmung ist aufgeladen, immer wieder gibt es Zwischenrufe oder Buh-Rufe.

Grünke geht auf die Migrationspolitik und die gemeinsame Abstimmung mit CDU und AfD im Bundestag ein. Man müsse den Kurs in der Migrationspolitik korrigieren, man brauche zwar Zuwanderung, aber auch Kontrolle darüber. Bei der Abstimmung am Freitag hätten sie alles versucht, um einen Kompromiss mit Grünen und SPD zu finden, seien daran aber gescheitert. Die nächste Rednerin ist Judith Skudelny, Vorsitzende der FDP Landesgruppe Baden-Württemberg. Aschaffenburg hätte gezeigt, dass die Menschen im Land nicht mehr sicher seien, deshalb müsse sich etwas ändern, so Skudelny. „Wir müssen Friedrich Merz dankbar sein, sonst hätten wir nur von Weidel etwas über das Thema Migration gehört“, sagt sie.
Drei Protestierende werden von Sicherheitskräften aus Saal geleitet
Die Inhalte der Anträge, denen sie zugestimmt hätten, seien völlig richtig, auch wenn Timing und Form unklug gewesen seien. Auch sie macht Grüne und SPD für einen gescheiterten Kompromiss verantwortlich. „Das Gegenteil von rechts ist nicht links, sondern Mitte“, ruft Skudelny, zur Empörung von Teilen des Publikums. Sie fordert mehr Respekt im Miteinander und bezichtigt die Protestierenden des Hasses und der Hetze. Hass und Hetze komme sowohl von rechts als auch von links, das müsse man kleinkriegen. Sie schließt ihre Rede damit, dass Merz einen Koalitionspartner brauche, und dass die FDP dafür am besten geeignet sei. Momentan steht die FDP in Umfragen bei ungefähr 4 Prozent. Währenddessen werden zwei der Protestierenden von Sicherheitskräften nach draußen gebracht.

Als Lindner aufsteht und seine Rede beginnen will, verlassen einige demonstrativ den Saal. Einer der Protestierenden steht auf und verkündet, er wolle Kritik an Lindner üben. Nach mehreren Anläufen, seine Kritik zu beginnen, wird er ebenfalls von Sicherheitskräften aus dem Saal geleitet. „Es ist eine Bestärkung, wenn von Linken gegen die FDP demonstriert wird“, reagiert Lindner auf die Aktion. Das würde der FDP zu mehr Glaubwürdigkeit verhelfen. Die Mitte gerate von links wie von rechts unter Druck, deshalb müsse man aufstehen. Die AfD mache man nicht mit Protesten und Lichterketten klein, sondern indem man die Probleme klein mache, die die AfD erst groß gemacht hätten. In Bezug auf Aschaffenburg kritisiert er die Behörden. Man müsse Bürokratie abbauen und den Staat handlungsfähiger machen. Er als Finanzminister habe die Polizei und Bundeswehr gestärkt. „Leute erzählen mir, dass sie sich nicht mehr sicher fühlen“, so Lindner. Das sei eine Freiheitseinschränkung, die öffentliche Ordnung müsse gewährleistet werden.
Lindner sieht Schuld für Ausgang der Abstimmung im Bundestag bei SPD und Grünen
Man brauche zwar qualifizierte Einwanderung, hätte aber keine grenzenlose Aufnahmebereitschaft. Das sei eine Lüge von linker Seite, die es denen leichtmache, die in den Sozialstaat einwandern wollten. Stattdessen müsse man Asylverfahren schneller abwickeln, auch in Drittstaaten, und Entwicklungshilfe an die Rücknahme von abgelehnten Asylbewerbern koppeln. Zu dem gescheiterten Gesetzesentwurf am Freitag im Bundestag sagt er: „Die Verweigerungshaltung von SPD und Grünen war der Skandal, nicht dass die AfD zugestimmt hat.“ Vor allem mit den Grünen sei eine härtere Einwanderungspolitik nicht realisierbar.
Die Verweigerungshaltung von SPD und Grünen war der Skandal, nicht dass die AfD zugestimmt hat.
Christian Lindner, Parteivorsitzender der FDP,
über die Abstimmungen im Bundestag in der vergangenen Woche
Als nächstes spricht Lindner über Wirtschaftspolitik. Deutschland befinde sich in einer sich zuspitzenden Wirtschaftskrise. Im Ausland werde Deutschland inzwischen belächelt. Er wolle das ändern. „Ich bin froh, dass wir eine Einführung von Vermögens- und Erbschaftssteuer verhindern konnten, so hat der Mittelstand noch Kapital.“ Für einen Wirtschaftsaufschwung brauche es eine Änderung des Mindsets in der Bevölkerung, denn wer einen Spitzenlebensstandart habe, müsse auch zu einer Spitzenleistung bereit sein.

Politisch müsse vor allem Bürokratie abgebaut werden, die Zusammenlegung von Behörden beispielsweise mache den Staat agiler. Und: Man solle Menschen nicht davon abhalten, zehn Stunden anstatt acht Stunden am Tag zu arbeiten, wenn sie das wollten. Auch müssten sich bezahlte Überstunden lohnen und die Kinderbetreuung ausgebaut werden. Bei der Rente sollte es Prämien geben, wenn man länger arbeite. „Noch nie gab es eine Gesellschaft, die sich durch weniger Arbeit ihren Wohlstand erhalten hat“, so Lindner.
Atomkraft und Verbrennungsmotoren – Lindner fordert „Technologieoffenheit“
Außerdem brauche es Steuerreformen für Unternehmen, sodass diese weniger belastet würden. Den Solidaritätszuschlag, den 2024 noch rund 3,5 Prozent der Steuerzahlenden bezahlen mussten, bezeichnet Lindner als „Wirtschaftsstrafsteuer“. Damit belaste man Qualifikation und Verantwortungsbereitschaft. Auch die Klima- und Energiepolitik müsse verändert werden, denn aktuell trage sie dazu bei, dass Deutschland weniger konkurrenzfähig sei. Es mache keinen Sinn und sei grüner Ideologie geschuldet, dass Deutschland bereits fünf Jahre früher als die EU klimaneutral werden wolle. Die Einsparungen in Deutschland ermöglichten es den anderen EU-Ländern, weniger einzusparen. Stattdessen brauche man Technologieoffenheit, also auch Atomkraft, Wasserstoff, der noch nicht grün produziert werde, und Verbrennungsmotoren.

Dabei hätten sie als FDP ein anderes Paradigma als SPD und Grüne, die mit Subventionen politisch entscheiden wollten, welche Firmen und Technologien erfolgreich sein sollen. Man müsse aber auf Ingenieure vertrauen, anstatt politisch zu entscheiden, man brauche eine „Politik der sozialen Marktwirtschaft.“ Dies sei in der Ampel nicht umsetzbar gewesen, weshalb die FDP die Zusammenarbeit beendet hätte. „Ich hätte meinen Ministerposten retten können, aber dann hätte sich nichts geändert“, so Lindner. „Du bist ein Märtyrer“, hallt ein ironischer Zwischenruf durch den Saal. Lindner schließt seine Rede damit, dass es auch bei der Wirtschaftspolitik um die Zukunft der Demokratie gehe: „Die Demokratie muss liefern, damit die AfD nicht stark wird.“
Vor dem Kino Museum wird nach Ende der Veranstaltung immer noch demonstriert. „Wo ist die Brandmauer“, rufen die Protestierenden, und: „Rassistisch, sexistisch, neoliberal: FDP, Partei fürs Kapital.“
Beitragsbild: Janne Geyer