Die Sternenwanderer Tübingen bringen mit ihrer Adaption der epischen Heldensage „Die Nibelungen“ fesselnde Emotionen über die Bühne. Die packende Schere zwischen Heldentum und Macht liefert eine einzigartige Theatererfahrung. Rezensbericht einer wahrlich eindrucksvollen Inszenierung.
Liebe, Verrat, Tod und Lügen. Eine Frau versucht gegen eine Schar an Männern den Tod ihres Ehemanns zu rächen. Die Nibelungen ist eine der bedeutendsten Heldensagen aus der deutschen mittelalterlichen Literatur. Sie hatte seit ihrer Entstehung um 1200 n.Chr. etliche Adaptionen und regt auch bis heute zum Nachdenken an. Die Theatergruppe Sternenwanderer widmete sich unter der Regie von Jan Friebertz und Diana Nowicki der Umsetzung.
Das Ergebnis der Arbeit konnte man in der ersten Dezemberwoche im Brechtbautheater sehen. Alle vier Aufführungstermine waren komplett ausverkauft und das auch zu Recht, denn die Arbeit der Sternenwanderer bedarf großen Lobes! Bereits seit dem Sommersemester 2024 arbeiten sie auf Hochtouren, um die Nibelungensage über die Bühne zu bringen.
„Show, don‘t Tell“ – Die wichtigste Regel im Storytelling
Dramaturgisch wurde das Stück in zwei größere Akte aufgeteilt, und beläuft sich auf eine Länge von etwa drei Stunden – die halbstündige Pause miteinbegriffen. Die Sage beinhaltet viele Plotpunkte, die für einige Zuschauer*innen als unangenehm angesehen werden könnten, weshalb die Gruppe auf eine Trigger-Warnung verweist: Missbrauch und Gewalt gegen Frauen, sowie der Verrat von Familie und Machthungrigkeit zieren die Geschichte. Gerade diese Plotpunkte wussten die Sternenwanderer mit Bedacht zu behandeln und fanden durch gefühlvolle Darstellung und gezielten Dialog nichtsdestotrotz einen Weg, um die Schwere dieser Themen, die uns auch heute beschäftigen, authentisch darzustellen. Ganz nach dem Motto „Show, don‘t Tell“.
Augenmerk auf Authentizität
Die aufwändigen Requisiten, sowie die Arbeit hinter der Maske und der Kostüme können sich sehen lassen. Mit wenigen aber funktionell gestalteten Bühnenelementen wechselten sie zwischen Sets, um die Stimmung der Szenen je nach Gefühlslage anzupassen und zu verändern. So konnte man als Zuschauer*in nachvollziehen, wo man sich sowohl zeitlich als auch räumlich im Stück befindet, und die emotionalen Reisen der Charaktere mitempfinden. Drachenhörner, Kronen, Roben, und Schwerter waren Teil davon, wie die Theatergruppe es schaffte, die Charaktere authentisch zu verkörpern, und waren auf jeden Fall ein optisches Highlight. Das Finale des Stückes zierte ein spannender Schwertkampf, choreografiert von Teya Hart und Ena Smolcic, von dem man kaum seine Blicke abwenden konnte. Einzig und allein den Gitarristen Volker, gespielt von Christopher Schuch, hätte man häufiger auf seiner grün-schwarzen E-Gitarre spielen lassen können. Im zweiten Akt jedoch, wurde einem auch dieses Detail nicht verwehrt.
Letztendlich darf man das Schauspiel der Gruppe nicht außen vor lassen. Sie lieferten alle eine souveräne Darstellung und Aussprache der neuhochdeutschen Sprache und hauchten ihren Charakteren, trotz ihrer dramatischen Enden, Leben ein. Ein besonderes Lob gebürt den vier Hauptakteur*innen: Durch Lukas Probst lernt man seinen betrügerischen Charakter Hagen richtig zu verachten. Adrian Bernhardt‘s Siegfried und Rian Knittel‘s Gunther stellten das Zusammenspiel von Freundschaft, Verrat und Ehre kritisch zur Schau und letztendlich verlieh Anna Sophia Buchmeier der Rolle der Kriemhild eine klare Stimme, die so manche Frau nachfühlen kann und die ihre Spuren in dem Publikum hinterlässt.
Nach diesem theatralischen Erfolg bleibt es spannend, welches Stück die Sternenwanderer als Nächstes aufführen werden. Bis dahin bleibt ihr Adaption der Nibelungen sicher in unserem Gedächtnis.
Beitragsbild: Theatergruppe Sternenwanderer