„Wenn jemand ausschließlich Stuss erzählt, stehen Sie auf und gehen“, erklärte die Journalistin Dunja Hayali. In ihrer Rede an der Universität Tübingen beschäftigte sie sich mit der Frage, wie es um die Streitkultur in Deutschland stehe und kommt zu einem ernüchternden Urteil.
In jährlicher Tradition wurde die Mediendozentur am Dienstag von Professor Bernhard Pörksen eröffnet, der die Diskussionskultur in seiner Ansprache bereits mit der „Schulnote Vier Minus“ bewertete. Ähnlich ernüchternd fiel auch das Urteil der Journalistin Dunja Hayali aus. Sie begann ihren Vortrag Wenn der Dialog endet, können wir alle einpacken mit Berufung auf die ersten Sätze des deutschen Grundgesetzes: „Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt.“
Hayali betonte, dass es die Würde des Menschen sei, nicht etwa die Würde des Mannes, des Weißen oder des Heterosexuellen. Zugleich aber erlebe sie immer mehr Anfeindungen im Internet und in persönlichen Gesprächen. Immer häufiger werde Menschen ihre Menschenwürde abgesprochen, wenn deren Meinung nicht zu hundert Prozent der eigenen entspreche. Dabei sei Vielfalt nicht nur etwas Schönes, sondern auch etwas Wichtiges. Die Vielfalt an Meinungen und Perspektiven, betonte die Journalistin, ermögliche schließlich erst einen umfassenden Blick auf eine Sache. Das werde viel zu sehr vernachlässigt.
Um zu verdeutlichen, wie gespalten die Gesellschaft nach wie vor ist, las Hayali, deren Eltern aus dem Irak stammen, einen Brief vor, den sie vor kurzem an ihren verstorbenen Vater formuliert hatte. „Vergiss nie, wo du herkommst“, das habe er zu ihr als Kind gesagt und weiter: „und du wirst für viele immer Ausländer bleiben“. Es sei für sie praktisch unmöglich gewesen, zu vergessen, wo sie herkommt. Sie werde konstant daran erinnert, dass sie angeblich nicht dazugehöre, angeblich nicht deutsch sei, obwohl die Journalistin im nordrhein-westfälischen Datteln geboren wurde und aufgewachsen ist.
„Empörung löst gar nichts“
Häufig beobachte sie, dass Menschen an ihrem vermeintlichen Mehrwert für die Gesellschaft beurteilt würden. Das als Kriterium dafür zu nehmen, wer „dazugehört“ und wer nicht, erinnere sie erschreckend an die Unterteilung in „lebenswertes“ und „lebensunwertes Leben“ während der NS-Diktatur. Dabei sei es die Würde eines jeden Menschen, die unantastbar ist, so Hayali. Mit Unmut beobachtet die ZDF-Journalistin den wachsenden Hass und Rassismus in der Gesellschaft, der nun auch Einzug in den Bundestag gefunden habe.
„Aber das sind doch bloß Worte, was können die schon anrichten“ sei eine Aussage, die sie oft zu Ohren bekomme. Dabei müssten doch spätestens seit den Anschlägen von Hanau alle verstanden haben, dass aus Gedanken Worte und aus Worten Taten würden. Eine Gesellschaft lasse sich letztendlich auch daran messen, wie sie mit ihren Minderheiten umgeht.
Insgesamt stehe das gesellschaftliche Zusammenleben auf dem Spiel, das erheblich davon abhänge, wie wir miteinander umgehen. Jedoch sei die Phrase „We agree to disagree“ buchstäblich zur Fremdsprache geworden und die Bereitschaft zu pöbeln sei drastisch gestiegen. Außerdem werde es mittlerweile genauso kritisiert, sich zu einer Sache nicht zu äußern wie sich auf die eine oder andere Weise zu positionieren. Dabei hätten wir in Deutschland doch die Freiheit, alles sagen zu dürfen, aber zugleich nicht alles sagen zu müssen, findet Hayali.
Was die Journalistin laut Eigenaussage besonders häufig beobachtet in politischen Diskurssituationen, ist das Erzeugen eines sogenannten falschen Dilemmas, also das Reduzieren eines komplexen Problems auf nur zwei mögliche Positionen. Das gehe oftmals über in eine „Wer nicht für mich ist, ist automatisch gegen mich“-Mentalität und sei für sie völlig unverständlich, schließlich könne sie „zwei Dinge gleichzeitig beschämend finden“. Daraus ergebe sich wiederum eine Kultur des Empörens über andere Meinungen als die eigene.
Das Problem sind wir alle
Empörung löse aber nichts, denn wer sich nur empöre, setze sich nicht inhaltlich mit einer Aussage auseinander. „Wir lernen nichts, wenn wir den Ursprung des Problems gar nicht erkunden wollen.“, so die Journalistin. Details und Kontext spielten dann keine Rolle mehr und am Ende stünden nur noch „Unverständnis und Hass“.
Lieber werde ohne zu hinterfragen diskreditiert, lieber gemeckert als sich kritisch mit einer geäußerten Meinung zu beschäftigen. Dabei betont Hayali, dass wer hinterfragt, weniger zugänglich für “Populismus und andere einfache Lösungen” sei. Das sei die Aufgabe von uns allen, wir alle müssten uns an die eigene Nase fassen, so Hayali. Sie selbst habe auch Vorurteile, versuche aber, das eigene Urteil nicht davon abhängig zu machen. Die Offenheit für andere Perspektiven gehe immer einher mit der Bereitschaft, die eigene Meinung zu ändern.
Die Wichtigkeit dieses Vorgehens sieht sie im Erstarken des Rechtsextremismus in Deutschland und ganz Europa. Extremisten würden längst nicht mehr trotz, sondern wegen ihrer Inhalte gewählt. Instagram-Posts und das Besuchen antifaschistischer Demonstrationen seien daher sinnvoll, reichten alleine aber nicht aus. Die Lösung sieht Dunja Hayali stattdessen in einem respektvollen Dialog auf Augenhöhe und dem Vorleben eines solchen. Das macht sie fest an dem Zeigen von Interesse an einer anderen Perspektive als der eigenen, ohne dieser Perspektive zwangsläufig zuzustimmen oder extremistische Positionen zu legitimieren. Sie nennt diese Einstellung „verstehen wollen, ohne Verständnis zu haben“.
Unabhängigkeit und Neutralität im Journalismus
Zum Schluss ihres Vortrags plädierte die Journalistin für eine „lösungsorientierte Sachpolitik“. Denn statt um die Sache werde immer mehr „um Ego und Wählerstimmen“ gekämpft. Daher bot sie ein persönliches „Einmaleins der Kommunikation“ mit einigen wesentlichen Grundprinzipien basierend auf ihrer beruflichen Erfahrung. Darunter etwa „jeder kann eine eigene Meinung, aber niemals eigene Fakten haben“ sowie „Wenn jemand ausschließlich Stuss erzählt, stehen Sie auf und gehen!“
In der anschließenden Publikums-Fragerunde war unter anderem die Freiheit und Ausgewogenheit der medialen Berichterstattung über den Nahost-Konflikt Thema. Hayali betonte die Eigenständigkeit und Unabhängigkeit im Arbeiten von Journalist*innen, auch in größeren Redaktionen. Niemand zwinge sie zu oder verbiete ihr irgendeine Aussage als Nachrichtenmoderatorin. Zugleich wolle sie natürlich nichts Falsches berichten. Es sei in diesem Kontext auch besonders wichtig, zwischen den Beteiligten des Konflikts und der betroffenen Bevölkerung zu unterscheiden. Häufig werde sie in privaten und öffentlichen Dialogen aufgefordert, sich zum Nahost-Konflikt und ähnlichen Kontroversen zu äußern. Dabei vertrete sie ihre zuvor angesprochene sowohl-als-auch-Haltung: „Ich stehe auf der Seite der Menschen.“
Eine weitere Publikumsfrage bezog sich auf das journalistische Neutralitätsgebot. Bei der Beantwortung unterschied Hayali zunächst zwischen Haltung und Meinung. Eine Haltung sei etwa das Hochachten von Menschenrechten und demokratischen Werten, diese dürfe durchaus auch in ihre journalistische Arbeit einfließen. Eine Meinung hingegen sei immer zu spezifischeren Fragen und im Journalismus grundsätzlich als solche zu kennzeichnen. So sei auch das Neutralitätsgebot zu verstehen, denn vollständig objektiv und neutral könne ohnehin niemand sein: „Wenn Ihnen eine Journalistin sagt ‚Ich bin objektiv und neutral‘, rennen Sie weg!“
Beitragsbild: Friedhelm Albrecht/Universität Tübingen