Als Student der Geisteswissenschaften geht Ioannis Dimopulos im Brechtbau der Universität Tübingen ein und aus. Er arbeitet außerdem für gleich zwei Lehrstühle der NdL (Neuere deutsche Literatur) und wird die nächsten Jahre an der Brown University in Providence verbringen, um dort seinen PHD zu machen. Ioannis war so freundlich, sich mit der Kupferblau auf ein Bier und vor allem auf ein spannendes Interview zu treffen.
Hiwi-Jobs und Artikelschreiben
Kupferblau: Dein Lebenslauf schenkt allen desillusionierten Geisteswissenschaftler*innen neuen Mut. Aber ganz von vorne: Was hast du im Bachelor studiert und welchen Master machst du gerade?
Ioannis: Ich habe in Bielefeld und ein halbes Jahr in Tokio Germanistik, Literatur, Philosophie und Latein studiert. Im Wintersemester 2019 bin ich dann nach Tübingen gekommen und habe den Master Deutsche Literatur und Internationale Literaturen angefangen.
Kupferblau: Wieso Literatur(wissenschaft)? Und wieso Tübingen?
Ioannis: Tübingen ist vor allem ganz weit weg von Zuhause. Die Lehrstühle sind auch einfach gut und ich habe gesehen, dass ein paar von denen ungefähr das machen, was ich mache, das hat die Entscheidung für Tübingen auch bekräftigt. Ich verstehe Literatur, Komparatistik, sowieso als etwas Internationales und insofern habe ich mich dann für beide Studiengänge entschieden – ganz klassisch die Deutsche Literatur und dann noch dazu Internationale Literaturen, um das Feld ein bisschen zu erweitern.
Kupferblau: Du arbeitest neben dem Studium, wie die Meisten. Allerdings bist du nicht am Kellnern, sondern arbeitest an der Universität. Für wen machst du was?
Ioannis: Ich arbeite als Hiwi für den Lehrstuhl Dorothee Kimmich und für den Lehrstuhl Eckart Goebel. Außerdem bei einem Projekt innerhalb der Slawistik und noch als Hiwi für das Tübinger Forum für Wissenschaftskulturen auf dem Österberg. Das sind 58 Monatsstunden insgesamt.
Kupferblau: Für alle, die dich gerne nachahmen wollen: Wie bist du an diese Jobs gekommen?
Ioannis: Es kommt immer gut an, wenn man in Seminaren fleißig mitarbeitet und kluge Sachen beiträgt und wichtig ist auch, dass man gute Hausarbeiten schreibt. Der Rest kommt damit, dass man einfach mit den Menschen redet. Viel ist auch Zufall, völliger Zufall.
Kupferblau: Du bist auch journalistisch tätig. Magst du davon erzählen?
Ioannis: Gerne. Ich schreibe seit einigen Jahren für ein paar Zeitungen. Unter anderem für die Welt seit circa vier Monaten, für das Neue Deutschland seit Oktober 2022 und seit 2019 für die Jungle World und die Ruhrbarone.
Kupferblau: Wie bist du da drangekommen?
Ioannis: Tatsächlich über politische Arbeit in der Heimat und über Kontakte, die da entstanden sind. Da wird man ein bisschen von Einem zum Nächsten rübergeschoben und schreibt gelegentlich Artikel.
Dissertation an der Brown University
Kupferblau: Dich führt dein nächster Schritt in die USA. Nicht nur irgendwohin, sondern an eine der Ivy League Universitäten. Wie hast du das geschafft?
Ioannis: Seinen Doktor in Deutschland zu machen ist eine prekäre Angelegenheit. Die Stipendien sind gering, man kann davon nicht sonderlich gut leben, und Stellen an der Uni gibt es auch kaum. Jeder Lehrstuhl hat maximal eine oder zwei Doktorand*innenstellen und die sind meistens schon besetzt. Das heißt, du musst immer schauen, wie du dich finanzierst. Der Prüfer meiner einen Masterarbeit hat mir die USA als Alternative empfohlen. Ich habe mich also umgeschaut, Empfehlungsschreiben eingeholt, alle Dokumente fertig gemacht und mich beworben, in Harvard, Princeton und an der Brown. An den beiden letzteren wurde ich genommen. Für die Brown habe ich mich entschieden weil sie einfach den schöneren Campus hat, thematisch für mich auch die besseren Professor*innen und besser erreichbar ist als Princeton.
Kupferblau: Warst du schon einmal vorab dort?
Ioannis: Ja, ich wurde im März eingeflogen und über den Campus geführt und allen potentiellen Kolleg*innen vorgestellt.
Kupferblau: An was wirst du an der Brown arbeiten?
Ioannis: Das Doktorand*innenprogramm läuft fünf bis sieben Jahre, so lange wird man finanziert. Am Anfang muss man ein Jahr lang noch einen weiteren Master studieren als eine Art Aufbaustudium. Man macht seine Doktorarbeit nicht direkt, sondern erst mal ein Jahr lang Forschungsarbeit, man lernt den Campus und das Department kennen. Dann fängt man an, zu unterrichten und parallel schreibt man seine Dissertation. Ich arbeite sehr viel zu Theodor W. Adorno, zur kritischen Theorie. Marcel Proust ist auch ein großer Teil meiner Arbeit bisher gewesen, aber auch Thomas Mann und die Gegenwartsliteratur. Momentan arbeite ich zur Theorie der Liebe und des Erotischen, wie potent das eigentlich so aus einer erkenntnistheoretischen Perspektive ist. Es ist recht schwer, das knapp auszuformulieren. Es geht um die Frage: Muss man sich kalt distanzieren, um etwas zu erkennen oder muss man sich vielleicht den Dingen annähern, anschmiegen, um durch die Erfahrung Erkenntnis daraus zu ziehen. Ich gehe davon aus, dass Literatur einen bestimmten Erkenntnisgehalt hat und dann stelle ich mir die Frage, wie dieser zu Stande kommt. Es gibt innerhalb der ästhetischen Theorien einen Diskurs, der parallel mit dem Liebesdiskurs verläuft – berühmte theoretische Texte, in denen man das Wort „Kunstwerk“ durch „Geliebte*r“ oder „Partner*in“ austauschen kann und sie ergeben trotzdem Sinn. Meine These ist, dass die ästhetische Erfahrung und die Erfahrung des Verliebtseins eigentlich Dasselbe sind, nur an unterschiedlichen Objekten.
Kupferblau: Gibt es schon Pläne für danach?
Ioannis: Der Plan aller jungen Wissenschaftler*innen ist, an die Uni zu kommen oder in die freie Wirtschaft. Ich habe Lust, an der Uni zu bleiben und hoffe auf lange Sicht auf eine Professur. Völlig egal, ob in den USA oder in Deutschland. Es gibt einfach wenig Stellen und die Universitäten sind unterfinanziert, darum ist es ganz klug, ein Standbein hier und eines in den USA zu haben.
Kupferblau: Das wäre auch dein Ratschlag an eventuelle Nachahmer*innen?
Ioannis: Mein Rat wäre, nicht zu promovieren. Und wenn doch, dann realistisch auf die Dinge zu blicken. Es ist eine schwierige Situation, es gibt kein Geld und der ganze akademische Betrieb ist hermetisch abgeriegelt. Es wird in den nächsten Jahren sicher auch noch schwieriger – finanziell gesehen, aber auch auf einer Legitimationsebene. Den Menschen zu erklären, was wir hier in unserem „Elfenbeinturm“ machen, ist nicht ganz einfach. Wenn man ein geordnetes Leben haben will, sollte man sich zehn Mal überlegen, ob man nach seiner Dissertation von Zweijahresvertrag zu Zweijahresvertrag springen möchte, um dann alle paar Jahre den Standort wechseln zu müssen. Und nach zwölf Jahren ist bekanntlich Schluss, da hat man dann ein Quasi-Berufsverbot und muss dem Nachwuchs an den Universitäten Platz machen.
Von Hochkultur und Popkultur
Kupferblau: Was ist dein Tipp für diejenigen von uns, denen es so vorkommt, als gebe es keine wirklichen Berufsaussichten nach dem Studium?
Ioannis: Ich würde behaupten, dass es ein großes Bedürfnis nach Bedeutung und Sinnstiftung gibt, ganz im Allgemeinen. Wir Geisteswissenschaftler*innen setzen uns mit so etwas ja auseinander. Es gibt auch ein immer größer werdendes Bedürfnis, dass das medial aufbereitet wird, ganz zu schweigen von dem Wunsch aller Unternehmen, digital(er) zu sein und in der Öffentlichkeit mitzuspielen. Damit will ich sagen: Es gibt Jobs. Man darf sich nicht kirre machen lassen von diesen Stereotypen, die da gerne ausgebreitet werden. Aber man muss auch verstehen, dass ein Studium ein Studium ist und keine Ausbildung. Wir werden nicht direkt auf einen Job vorbereitet, Gott sei Dank. Das muss man einfach parallel machen, auch wenn es anstrengend sein kann. Praktika, Stellen an der Uni, Leute kennenlernen, sich grundlegend ein bisschen in den Arsch treten und auf Menschen zugehen!
Kupferblau: Was ist dein Go-To-Spot in Tübingen, wenn du einfach mal abschalten musst?
Ioannis: Ich arbeite sehr, sehr viel und wenn ich mich wirklich entspannen will, dann fahre ich zu meiner Partnerin nach Konstanz. Aber hier in Tübingen liebe ich die Ammergasse. Da ist meine Lieblingskneipe, der Ammerschlag. Und im Sommer kann man da schön draußen sitzen – die Sonne geht eine Zeit lang parallel zur Ammergasse unter und da lässt es sich dann schon gemütlich bei einem Bier aushalten.
Kupferblau: Irgendwelche letzten Worte an die Kupferblau-Leser*innen, bevor du in die USA verschwindest?
Ioannis: Man sollte anfangen, sich nicht zu sehr mit diesem geisteswissenschaftlichen Betrieb zu identifizieren. Dieser Betrieb ist genauso ausbeuterisch wie alle anderen auch, teilweise sogar schlimmer, weil sie dir einreden wollen, dass das alles so identitätsstiftend ist. Das ist nicht gesund, denn wenn du da dann irgendwann rauskommst, hast du eine Identitätskrise. Man darf nicht zu überzeugt davon sein, was man da so macht, man darf nicht zu überzeugt davon sein, dass man da etwas unendlich Wichtiges macht. Wir sind alle nicht so bedeutsam, wie wir glauben. Sich das einzugestehen ist wichtig und vor allem erleichternd, weil es sehr viel Verantwortung und sehr viel Druck wegnimmt.
Kupferblau: Dennoch willst du in diesem Feld bleiben. Warum?
Ioannis: Ich gebe seit zwei Jahren Lektüreseminare. Einführung in die Theorie des Rassismus oder des Antisemitismus habe ich viel gemacht. Ich sitze da dann mit Menschen, die noch nie hermeneutisch Texte gelesen haben. Und dann lesen wir gemeinsam diese Texte, Satz für Satz, bis wir verstehen, dass da so viel mehr drinsteckt, als es den Anschein hat. Es ist so erfüllend, zu sehen, wie den Menschen ein Licht aufgeht. Und ich sitze da auch nicht und erzähle meine Punkte auf einer Liste einfach herunter, sondern da werden dann teilweise Dinge gesagt, auf die ich selbst in zehn Jahren Arbeit mit diesem Text nicht gekommen wäre. Das ist so ein erfüllendes Gefühl. Es macht Spaß, weil man sieht, dass etwas passiert in den Menschen, dass sie angeregt werden, sich mit Dingen ganz neu auseinanderzusetzen. Außerdem bin ich ein großer Fan von deutsch- und auch englischsprachigem Hiphop. Ich wollte immer schon einen Text schreiben zur Idee, Deutschrap einfach mal genau so zu lesen, wie ein Goethe-Gedicht. Ich behaupte, dass das, was wir so in Goethe hinein gedichtet und interpretiert haben, niemals intendiert war. Das ist auch nicht wichtig. Ich denke, bei Deutschrap ist das auch so. Da stecken Kulturtheorien drin und man muss sie nur freilegen, das ist wirklich unglaublich. Das heißt, man muss die Texte ernst nehmen und sagen: Es gibt eigentlich keine Differenz zwischen Popkultur und Hochkultur.
Kupferblau: Meine letzte Frage. Welche sind deine liebsten fünf Bücher?
Ioannis: Theodor W. Adorno Minima Moralia – Reflexionen aus dem beschädigten Leben. Das ist eine ganz unglaubliche Aphorismensammlung. Auf der Suche nach der verlorenen Zeit von Marcel Proust. Goethes Trilogie der Leidenschaft. Christian Krachts Faserland. Und Allegro Pastell von Leif Randt, ein Buch über Fernbeziehungen und über Mittelmäßigkeit.
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