Unileben

Die Schätze der Mülltonne

Die Preise steigen, dabei auch das Bewusstsein für die Umwelt und die Ressourcenverschwendung. Die zwei Probleme kreuzen sich bei dem Thema Lebensmittelabfälle. Einige finden die Lösung beim Containern. Doch wie sieht es von der rechtlichen, politischen und gesellschaftlichen Perspektive aus?

Mit Gummihandschuhen in der Hand zieht Tina* im Dunkeln durch die Straße und hinter den Supermarkt. Sie öffnet die Biotonne und fängt an, die weggeworfenen Lebensmitteln nach Qualität zu sortieren. Bald entsteht ein großer Haufen von allerlei Gemüse und Obst, darunter sogar einige Brote und trockene Lebensmittel mit Überschreitung des Mindesthaltbarkeitsdatums. Einige sehen aus wie direkt aus dem Obstregal, andere haben schon Falten oder schwarze Stellen. Verdorbene werden gleich aussortiert. Langsam füllen sich mehrere Taschen mit den Esswaren, die für die nächste Woche ausreichen werden.

Gratis Essen, Bewusstsein für Ressourcen

Tina war schon dreimal containern. Sie hat über eine Freundin davon erfahren und sich entschlossen, mitzugehen. Einerseits will sie damit ein Zeichen gegen Lebensmittelverschwendung setzen, andererseits lockt sie das kostenlose frische Gemüse und Obst, das drinnen im Supermarkt stets teurer wird. Außerdem bietet die Mülltonne immer Überraschungen und dadurch Inspiration für neue kulinarische Ideen. Aus den geretteten Waren kocht Tina mit ihrem Freundeskreis ein gemeinsames Abendessen und schafft so Aufmerksamkeit für die Lebensmittelverschwendung.

Lebensmittel aus der Mülltonne zu futtern, wird häufig als unhygienisch und voller Gesundheitsrisiken betrachtet. Dabei ist eine große Menge der Produkte über die nächsten Tage noch essbar. Viele sind verpackt, und in einem Orangennetz ist normalerweise nur ein Stück vergammelt. Fleisch und Fisch würde Tina nie mitnehmen, und Joghurt hat sie sich auch noch nicht getraut.

Ressourcen sparen oder an Bedürftige geben?

Allerdings ist Containern in Deutschland illegal und kann mit Bußgeldern bestraft werden. Der Müll gehört rechtlich noch dem Eigentümer, und eine Mitnahme aus dem Abfallbehälter wird als Diebstahl betrachtet.

Die Menge von Lebensmittelabfall in Deutschland ist hoch. Im Jahr 2020 wurden ca. 11 Millionen Kilogramm Lebensmittel weggeworfen. Die Regierung hat 2019 das Ziel gesetzt, die Lebensmittelverschwendung bis 2030 zu halbieren. Den Supermärkten wird vorgeworfen, die Regale bis zur Ladenschließung voll behalten zu wollen. Auch die Überproduktion von Esswaren verursacht unnötige Ressourcenverschwendung und CO₂-Ausstoß. Allerdings stammen nach dem Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft davon nur 7 % aus dem Handel, 59 % aber von privaten Haushalten – durchschnittlich 78 kg pro Verbraucher im Jahr. Dazu sind aber Schalen, Kaffeesatz und Knochen mitgerechnet.

Der Anteil von Handel an dem Lebensmittelabfall beträgt 7%. Quelle: Statistisches Bundesamt, 2022

Aus diesem Grund sehen sich Supermärkte nicht verantwortlich für das Problem. Sie machen sich Sorgen um die rechtliche Verantwortung im Falle einer Lebensmittelvergiftung. Außerdem spenden viele schon an die Tafeln oder Foodsharing. Trotzdem landen weiterhin essbare Waren im Müll. Währenddessen sind laut Tagesschau immer mehr Menschen – insgesamt zwei Millionen – auf die Tafeln angewiesen. Sie müssen schon auf die Warteliste gestellt werden.

Was geschieht in der Politik?

Anfang 2023 verfassten der Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) und der Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir (Grüne) einen Brief an das Landesjustizministerium. Sie appellierten für die Entkriminalisierung von Containern und für die Strafverfolgung nur im Falle des Hausfriedensbruchs oder der Sachbeschädigung, z. B. wenn ein Schloss gebrochen wird. Das Ziel ist, die Richtlinien der Strafverfolgung in den Ländern zu ändern. Außerdem haben sie geraten, erstmals von der Strafverfolgung abzusehen. 2021 ist ein ähnlicher Vorschlag in Hamburg gescheitert.

Am 17. April befasste sich der Rechtsausschuss des Bundestages mit dem Gesetzentwurf der Linken vom November 2022. Dieser sieht eine Entkriminalisierung der Entnahme von Lebensmitteln aus Abfallbehältnissen vor – durch eine Änderung des Paragrafs 248a Strafgesetzbuch („Diebstahl und Unterschlagung geringwertiger Sachen“). Neben den sozialen und ökologischen Gründen wird auf eine Umfrage aus 2020 verwiesen, nach der über 80% der Befragten die Gesetzesänderung unterstützen.

Wer verliert dabei?

Auch Tina unterstützt die Entkriminalisierung von Containern, findet aber die Rolle der Supermärkte bei dem Überschuss wichtig. Darüber hinaus hat sie während ihres Aufenthalts in Frankreich gemerkt, wie dort die Lebensmittelverschwendung anders gehandhabt wird. Nach dem Zentrum für Europäischen Verbraucherschutz e.V wird das Thema in Deutschland nur mit Empfehlungen und auf der Einzelhandels- und der Verbraucherebene behandelt, während es in Frankreich gesetzlich verankert ist. Auf der anderen Seite der Grenze sind die Supermärkte ab einer gewissen Größe verpflichtet, übrig gebliebene abgelaufene Lebensmitteln an Hilfsorganisationen zu spenden.

Der illegale Aspekt am Containern sorgt für Anspannung, auch bei Tina. Trotzdem sieht sie wenige Risiken für sich selbst, viel mehr für marginalisierte Menschen, die im Lebensmittelnot sind, aber durch die Strafbarkeit in einer besonders vulnerablen Position sind: “Nicht alle können containern.”

*Der Name wurde von der Redaktion geändert.

Quellen: 

https://www.tagesschau.de/inland/gesellschaft/containern-105.html

Buschmann und Özdemir sind für “Containern” ohne Strafe | tagesschau.de

Lebensmittelspenden: Kampf um die Reste | tagesschau.de

BMEL – Lebensmittelverschwendung – Lebensmittelabfälle in Deutschland: Aktuelle Zahlen zur Höhe der Lebensmittelabfälle nach Sektoren

https://www.cec-zev.eu/de/themen/umwelt/lebensmittelverschwendung-in-frankreich/

https://de.statista.com/statistik/daten/studie/1126022/umfrage/legalisierung-von-containern-in-deutschland/

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