Im Zimmmertheater Tübingen läuft zurzeit ein Stück, in dem auf ebenso beeindruckende wie auch bizarre Weise Abschied genommen wird von der Welt, wie wir sie kennen. ‘REQUIEM’ ist eine musikalische Inszenierung, die mithilfe von Gesang, Musik und Text das darzustellen versucht, was den Menschen im Angesicht drohender Katastrophen im Innersten bewegt. Das Musikerduo OMG Schubert vollführt eine moderne Interpretation der Totenmesse, angewandt auf die Gesellschaft.
“Wenn das Ende naht, ist alles erlaubt”. So steht es in der Stück-Beschreibung von ‘REQUIEM’. Als Zuschauer*in bekommt man das Gefühl, OMG Schubert und das ITZ haben bei ihrer Inszenierung diese Aussage wörtlich genommen. Dabei wirkt sie allerdings zu keinem Zeitpunkt überzogen. Das Setting: Ein langer Steg, verhüllt von einem weißen Tuch. Darauf, darunter und drumherum wird die Bühne von zwei Darstellern bespielt. Anders als gewohnt sitzt das Publikum nicht vor, sondern parallel zur Bühne an beiden Seiten des Stegs. Wie ein langer Altar durchzieht er mittig den Raum und teilt die ‘Trauergemeinde’ – bzw. das Publikum – in zwei Gruppen. Das Stück lebt vor allem durch eins: Musik. Neben bewegenden Gesangsdarbietungen werden insgesamt sechs verschiedene Instrumente Teil der eindrucksvollen Trauerfeier, die den Zuschauenden geboten wird. Vordergründig sind dabei Klavier, E-Gitarre und Drumcomputer.
Das Requiem als Trauerfeierlied
Das Requiem als Gattung versteht sich im christlichen Kontext als ein Klagelied, ein Abschied, aber auch als eine freudige Erwartung im Angesicht der Erlösung. Es verkörpert die musikalische Form der Totenmesse. Das Stück im Zimmertheater lässt sich als eine moderne, ganz eigene Interpretation einer solchen Feier verstehen. Allerdings wird hier nicht wie sonst um einen Menschen getrauert. Gegenstand des Requiems von OMG Schubert ist nichts Geringeres als die Welt selbst. Genauer gesagt thematisiert es den Status quo unserer Gesellschaft. Die Figuren im Stück begreifen ihr Leben auf der Erde im Angesicht der vom Kapitalismus herbeigeführten Klimakatastrophe als aussichtslos. Verzweiflung, Trauer, Wut und Ohnmacht prägen die Perspektive der Akteure. Vor allem aber auch die unumstößliche Überzeugung, dass das Ende gekommen ist. All das veranlasst die beiden Akteure zur Abhaltung einer Trauerfeier – um Abschied zu nehmen und auf Erlösung zu hoffen.
Wer kann die Gegenwart erlösen, wenn nicht wir selbst?
Vor Beginn des Stückes hält Jana Gmelin eine Stückeinführung im Foyer des ITZ. Als Dramaturgin am Zimmertheater hat sie das Stück bei der Inszenierung begleitet und erläutert den Gästen Hintergründe und Fragestellungen, die ‘REQUIEM’ abhandeln soll. Eine davon lautet: Wo stehen wir als Menschheit? Das Stück, so Gmelin, erzähle vom Mensch sein, vom Mann sein, vom Zentraleuropäer*in sein. Dabei soll sich das Publikum als Teil der Trauergemeinde begreifen. Neben all der Trauer ist allerdings auch Lachen ausdrücklich erlaubt.
OMG Schubert
Das Musikduo besteht aus Konstantin Dupelius und Justus Wilcken. Sie haben es sich zur Aufgabe gemacht, “das Lied und das Lied-Duo kompositorisch und performativ neu zu denken und zu interpretieren.” So steht es auf ihrer Website. Bereits zum dritten Mal wirken sie auf Bühnen des Tübinger Zimmerthaters. Zuvor handelten sie dabei bedeutende Persönlichkeiten wie Höderlin oder Richard Wagner musikalisch ab. Bei ‘REQUIEM’ stehen sie unter Regie von Selina Thüring zu zweit auf der Bühne. Justus Wilcken studierte Schauspiel und Gesang in Salzburg und Berlin. Konstantin Dupelius studierte Klavier, Jazz-Klavier und Musikpädagogik in Freiburg. Im Stück nimmt Wilcken die Rolle des Subjektes ein, das sich im Zuge der Trauerfeier mit seinen Gefühlen an einer eher abstrakten Figur (gespielt von Dupelius) abarbeitet. Dabei greift Wilcken vorwiegend auf Gesang und Text zurück, während Dupelius weniger Text spricht, dafür musikalisch fast das gesamte Stück untermalt und führt. Beide verstehen es als professionelle Musiker durch Gesang und Musikinstrumente das Publikum in das Stück hineinzuziehen und zu beeindrucken.
‘REQUIEM’ läuft noch bis einschließlich 22. Juni 2023 im Zimmertheater, den aktuellen Spielplan findet ihr hier.
Fotos: Ben Metz