Evergreens Themenwoche

Evergreens: Die Welt der Bücher

Kaum eine Bevölkerungsgruppe liest mehr als Studierende – man spricht bei einigen stark lektürelastigen Studiengängen sogar vom „Lesestudium“, wie zum Beispiel den Politik-, Rechts- oder auch den Literaturwissenschaften. Kann Lesen noch Vergnügen sein, wenn man es muss? Wir glauben: Auf jeden Fall! Die Kupferblau hat mit sechs Studierenden verschiedener Fachrichtungen gesprochen, die euch ihre persönlichen Evergreens in der Welt der Bücher verraten. 

Evergreen [ˈɛvɐɡʁiːn] (n): Never going out of fashion, always fresh and popular. 

Im Westen nichts Neues, Giovanni’s Room & Our Sister Killjoy

Paula (22) studiert Literaturwissenschaften im Master und empfiehlt Im Westen Nichts Neues von Erich Maria Remarque, Giovanni’s Room von James Baldwin und Our Sister Killjoy von Ama Ata Aidoo. 

Kupferblau: Herz oder Kopf?
Paula: Kopf.


Kupferblau: Tee oder Kaffee?

Paula: Tee.

Kupferblau: Wenn du dir eine Superkraft aussuchen könntest, welche wäre das?
Paula: Auf jeden Fall Gedankenlesen.

Kupferblau: Was bedeutet Lesen für dich?
Paula: Den Blick von der Welt weg wenden und irgendwo anders hinschauen, wo es vielleicht nicht so scheiße ist. Aber zugleich auch den Blick auf die Welt wenden, also auf Missstände hinweisen lassen, Missstände und Systeme verstehen, die Welt aus einer anderen Perspektive sehen. 

Kupferblau: Was sind deine drei persönlichen Evergreens?
Paula: Ich habe unglaublich lange darüber nachgedacht – man fühlt ja immer so den Druck, wenn man Literaturwissenschaften studiert. Mein erstes Buch ist Im Westen nicht Neues von Erich Maria Remarque, das ist ein unheimlich wichtiges Buch und es hat mich zur Pazifistin gemacht. Remarque kann ich insgesamt empfehlen, aber dieses Buch ist wirklich eindringlich geschrieben und absolut lesenswert.
Mein zweites Buch ist
Giovanni’s Room von James Baldwin. Baldwin ist ein super wichtiger Schriftsteller, auch für die queere Community. Giovanni’s Room ist wunderschön, es spielt in Paris und es geht sehr viel darum, sich seine eigene Sexualität einzugestehen und um menschliche Tragödie. James Baldwin schreibt einfach wunderschön – er kann Gefühle so gut beschreiben. Giovanni’s Room hat allgemein so viel, was man einfach gerne liest: Den Reiz und die Tragik einer Affäre, es geht viel um Homosexualität und um Heterosexualität. Auf alle Fälle ein cooles Setting.
Mein drittes Buch heißt 
Our Sister Killjoy von Ama Ata Aidoo. Ich habe das Buch aus verschiedenen Gründen ausgewählt. Zum Einen weil es einen anderen Blick auf Europa und auch auf Deutschland bietet, aus  Perspektive einer Person, die nicht selbst aus Europa kommt. Der zweite Grund ist, dass wichtige Themen angesprochen werden: Postkoloniale Themen, neokoloniale Themen, die Ausbeutung afrikanischer Länder durch Europa, es geht um das Problem des Braindrains aus afrikanischen Ländern nach Europa und so weiter. Außerdem liebe ich das Buch weil es so kreativ ist: es ist kein Roman und es ist keine Gedichtsammlung, aber es fließen viele Erzähltechniken ineinander. Es enthält Prosa, Lyrik und am Ende sogar einen Brief. Ama Ata Aidoo kommt aus Ghana und lebt dort auch und ich halte sie für eine sehr wichtige Schriftstellerin. Sie ist Feministin und war auch politisch aktiv in Ghana. Dieses Buch ist ein toller Einstieg für die Auseinandersetzung mit nicht-europäischer Literatur. 

“You can never get a cup of tea large enough or a book long enough to suit me.”

C.S. Lewis

Die Buddenbrooks, Harry Potter & Momo

Leander (23) studiert Katholische Theologie und Deutsch auf Lehramt im Master und empfiehlt die Buddenbrooks von Thomas Mann, Harry Potter und der Gefangene von Azkaban von J.K. Rowling und Momo von Michael Ende. 

Kupferblau: Herz oder Kopf? 
Leander: Herz.

Kupferblau: Tee oder Kaffee?

Leander: Tee.

Kupferblau: Wenn du eine Superkraft haben könntest, welche wäre das?
Leander: Fliegen.

Kupferblau: Was bedeutet Lesen für dich? 
Leander: Ruhe auf jeden Fall. Sich zu sammeln und in eine andere Welt einzutauchen. Ganz bewusst in eine andere Welt zu gehen, die vielleicht sogar abseits ist vom Realen, die aber meistens etwas mit dem Realen zu tun hat.  

Kupferblau: Was sind deine drei Evergreens?
Leander: Als Erstes habe ich die Buddenbrooks von Thomas Mann mitgebracht – das ist das längste Buch, das ich bisher gelesen habe. Es geht um eine Familie, die verfällt und das Ganze spielt in Lübeck. Als ich die letzten Kapitel gelesen habe, war ich tatsächlich selbst in Lübeck unterwegs. Anhand dieses Buches habe ich dann die verschiedenen Orte erkundet und fand es so schön. 
Mein zweites Buch ist Harry Potter und der Gefangene von Azkaban. Vor zwei Jahren habe ich die Harry-Potter-Bücher zum ersten Mal gelesen, nicht als Kind, sondern erst als Erwachsener. Und ich habe es nicht bereut. Ich habe zu dieser Geschichte erst keinen Draht gehabt, aber heute ist es mein liebster Band. Ich mag diese Zeitverschiebungen. Alle anderen Teile sind vom Setting einander ähnlich, aber dieses Spiel mit der Zeit hebt das Buch auf jeden Fall heraus. Und was mich auch begleitet hat, ist, dass damals noch alles mehr oder weniger gut scheint. Das Böse ist noch nicht so richtig da, nur das Schein-Böse in Form von Sirius Black. 
Mein absolutes Lieblingsbuch ist tatsächlich ein Jugendbuch: Momo von Michael Ende. Und auch hier ist wieder das Motiv der Zeit sehr präsent. Dieses kleine Mädchen, von dem man am Anfang noch gar nicht so genau weiß, ob es überhaupt ein Mädchen ist, und das spielt auch keine Rolle für die Geschichte, aber dieses Kind bringt den Menschen die Zeit zurück und zwar in einer kindlichen Demut. Und so würde ich sagen, dass dieses Motiv der Zeit und auch die Geschichte an sich eine große Relevanz hat für größere Zusammenhänge. Dass man vieles durch demütige oder kindliche Dinge schon lösen kann. Und das lässt sich auf ganz viele verschiedene größere Zusammenhänge, größere Krisen, übertragen. Kindsein ist etwas ganz Besonderes. Außerdem ist Momos Begleiterin eine Schildkröte namens Kassiopeia – das macht das Buch für mich noch besser, denn ich liebe Schildkröten.

“Von allen Welten, die der Mensch erschaffen hat, ist die der Bücher die Gewaltigste.”

Heinrich Heine

Der Zauberberg, Die fröhliche Wissenschaft & Lady Chatterley’s Lover

Nicholas (26) studiert Deutsche Literatur im Master und empfiehlt Thomas Manns Zauberberg, Die fröhliche Wissenschaft von Friedrich Nietzsche und Lady Chatterley’s Lover von D.H. Lawrence.

Kupferblau: Herz oder Kopf?
Nicholas: Herz.


Kupferblau
: Tee oder Kaffee?
Kaffee.

Kupferblau: Wenn du dir eine Superkraft aussuchen könntest, welche wäre das?
Nicholas: Die normale Antwort darauf ist Fliegen. Aber ich will nicht ohnmächtig werden beim Fliegen, denn das ist die natürliche Konsequenz. 


Kupferblau
: Was bedeutet Lesen für dich?
Nicholas: Lesen bedeutet erleben. Alles, was ich nicht mit meinen eigenen Augen sehen oder meinen eigenen Fingern antasten und meinem eigenen Herzen fühlen kann, kann ich beim Lesen erleben. Ich habe so viel gelesen und dadurch bin ich tausende Tode gestorben und habe tausende Leben gelebt und viele fremde Länder besucht. 

Kupferblau: Was sind deine drei persönlichen Evergreens?
Nicholas: Als Vorbemerkung sage ich, dass es drei männliche Autoren sind, die meine Bücher geschrieben haben, aber ich habe auch schöne, erhabene Leseerfahrungen bei weiblichen Autorinnen gemacht, wie zum Beispiel Virginia Woolf. Thomas Manns Zauberberg ist mein erstes Buch. Ich kann es nicht generalisierend jedem empfehlen, denn dafür braucht man viel Zeit und ein gewisses Interesse an Philosophie. Es gibt zwei Charakterzüge in mir, die von diesem fantastischen Werk angesprochen werden. Der Zauberberg spricht meine musikalische Seite an und auch meine fleischliche Seite – Körper und Musik sozusagen. 
Mein zweites Buch ist Nietzsches Fröhliche Wissenschaft. Das ist unbedingt das Werk von Nietzsche, das für mich am lesenswertesten ist. Ich bin Christ und dieses Buch hat mir zum ersten Mal die Konsequenzen eines realen, ehrlichen Atheismus’ aufgezeigt. Wie das leere Universum sich tatsächlich anfühlt, ist einigermaßen erschreckend und man erfährt das in diesem Buch. Aber man erfährt auch den Anfang einer postgöttlichen Erlösung, mehr als nur eine theologische Weltansicht. Und das ist ein unglaublicher Trost. Dieses Buch ist wirklich eine metaphysische Reise für mich gewesen.
Drittens: Lady Chatterley’s Lover von D.H. Lawrence. Wichtig zum Verständnis dieses Buches sind auch die Aufsätze von Lawrence, die muss man parallel gelesen haben: Pornography and Obscenity und sein Aufsatz A Propos of Lady Chatterley’s Lover. Aus meiner Sicht sind die beiden Aufsätze nötige Teile des Romans. Mir wurde manchmal von Freundinnen erzählt, dass man beim Lesen dieser Geschichte schnell merkt, dass der Autor eine weibliche sexuelle Erfahrung aus männlicher Perspektive schildert und das ist ein unmögliches Geschäft. Das will ich noch dazu sagen. In meinen Augen beschreibt er aber die Sexualität  auf eine Art und Weise, die sehr schön ist, fast religiös oder heilig. Wenn man wie ich aus einem angelsächsischen Katholizismus kommt, der sehr karg und puritanisch ist, dann ist dieses Buch eine wichtige Erfahrung. Lawrence hat mir zum ersten Mal im Zeitalter der Pornographie Sexualität auf eine dermaßen schöne Weise geschildert, dass sie ästhetisch gerechtfertigt erscheint und dadurch auch moralisch gerechtfertigt wird. 

“Nichts verscheuchte böse Träume schneller als das Rascheln von bedrucktem Papier.”

Cornelia Funke

In einer Woche erscheint der zweite Teil dieser Artikelreihe mit drei weiteren Studierenden und ihren persönlichen Evergreens. 

Fotos: Pixabay 

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1 Kommentar

  1. […] 30. März haben wir den ersten Teil der Artikelreihe Evergreens: Die Welt der Bücher veröffentlicht. Die Kupferblau traf sich mit insgesamt sechs Studierenden verschiedener […]

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