Mittlerweile sind zahlreiche neue Mutationen des Coronavirus aufgetreten. Doch was bedeutet das für die Strategien im Kampf gegen das Virus und welche Rolle spielen dabei neueste Einsichten? Zwei Mitglieder des Expertenkreises Aerosole des Wissenschaftsministeriums diskutierten am vergangenen Montagabend im Rahmen der virtuellen Ringvorlesung „Was lernen wir in Tübingen aus der Corona-Krise?“ des Weltethos-Instituts Tübingen darüber.
Virologie, Epidemiologie, Immunologie – Was sind die Unterschiede?
Seit November letzten Jahres findet jeden Montagabend die virtuelle Ringvorlesung „Was lernen wir in Tübingen aus der Corona-Krise?“ im Rahmen des Weltethos-Instituts statt. In diesen „Stadtgesprächen“ wird über diverse Themen und Herausforderungen diskutiert, die durch die Coronakrise besonders relevant wurden. An diesem Montag, den 25. Januar, waren zwei Mitglieder des Expertenkreises Aerosole des Wissenschaftsministeriums bei den Stadtgesprächen zu Gast: Prof. Thomas Iftner, der Direktor des Institutes für Medizinische Virologie und Epidemiologie der Viruskrankheiten an der Uniklinik Tübingen und Stefan Brockmann, der Referatsleiter Gesundheitsschutz und Epidemiologie im Landesgesundheitsamt Baden-Württemberg. Die Diskussion fand unter dem Titel „Was (und was nicht) wir von der Virologie über Corona lernen können – und wie daraus Regeln werden“ statt.
Der Politikwissenschaftler Dr. Christopher Gohl übernahm auch an diesem Abend wieder die Moderation. Nach einer kurzen Einleitung des Themas durch Dr. Gohl klärten die beiden Gäste zunächst die Unterschiede zwischen den Fachbereichen Virologie, Epidemiologie und Immunologie. Die Virologie sei ein Querschnittsfach, das mit vielen anderen Bereichen zusammenarbeitet. Darunter auch die Immunologie, welche die „Wie“-Frage klären möchte und die Epidemiologie als die Lehre der Verbreitung von Viren, deren Ursachen und Folgen. Letztere sei besonders für die Überwachung des Virus und der Infektionen wichtig, um beispielsweise zu sehen, wie neue Varianten funktionieren. Die Virologie sei allgemein ein recht großer Fachbereich, da Viren in jedem Organismus vorkommen und daher auch als größter Genpool gelten.
Das Aufkommen einer Pandemie aus der Sicht der Wissenschaftler
Herr Brockmann und seine Mitarbeiter*innen begannen schon Anfang Januar letzten Jahres mit Lagebewertungen und auch für Prof. Iftner war besonders die Reaktion der chinesischen Regierung ein Indikator dafür, dass etwas Großes auf uns zukommen könnte. Spätestens als die ersten Fälle in Italien festgestellt wurden, war für den Virologen klar, dass es nicht mehr lange dauern würde, bis das Virus auch nach Deutschland käme. Dennoch betonte er, dass es nicht abzusehen war, wie schlimm die Situation werden würde.
Corona-Viren seien an sich nichts Neues. Doch die Überraschung lag darin, wie infektiös das Virus auch ohne das Auftreten von Symptomen ist. Mittlerweile kennt man zwar einige der schlimmeren Folgen wie starke Schädigungen der Lunge mit Langzeitfolgen, doch auch Wissenschaftler*innen stolperten in das Pandemiegeschehen hinein. Vor dem Auftreten von Corona war stets von Bakterien die Rede, erläuterte Prof. Iftner. Und mit Corona galt dann der Virologe Prof. Christian Drosten als der SARS-Experte im Land. Drosten habe viel Aufklärung betrieben, wurde jedoch auch mit negativer Kritik konfrontiert. Doch Virologen seien keine Politiker und geben auch keine Maßnahmen vor, betonte Prof. Iftner. Sie haben lediglich die Aufgabe der Aufklärung.
Das Geschehen hinter den Kulissen – von der Wissenschaft zur Politik
Prof. Iftner berichtete, dass man sich zunächst intern zusammengesetzt hatte. Kurz darauf begann der Austausch mit Universitäten und Forschungseinrichtungen und wenig später auch mit den Ministerien. Dieser zunächst informelle Austausch wuchs schließlich aus. Während Prof. Iftner seine virologischen Einsichten mit einbringen konnte, schaute Herr Brockmann hingegen auf die epidemiologischen Faktoren wie zum Beispiel die Inkubationszeit, um mehr über die Parameter für die Übertragung zu lernen.
Laut Brockmann bekommen die Ministerien tägliche Berichte zur Einschätzung der Lage. Doch auch durch ständige Kommunikation über verschiedene Netzwerke erfolgt weitere Erkenntnisgewinnung. Universitäten und Forschungsinstitute tauschen sich bundesweit aus und auch auf der Länderebene erfolgt die Vernetzung durch das öffentliche Gesundheitswesen, beispielsweise durch das Robert Koch-Institut. Prof. Iftner berichtete auch von regelmäßigen Laborleitertreffen innerhalb des UKT. Zudem gebe es Netzwerke für ganz bestimmte Spezialgebiete, in welchen der Austausch stattfinde.
Bei den Ministerien wiederum gebe es Expertengruppen, die von den Ministerien zusammengestellt wurden und sich mit spezifischen Fragestellungen auseinandersetzen. Diese Gruppen wiederum werden nochmals in kleinere Expertengruppen unterteilt, die einen Aspekt genau bearbeiten. Danach erfolgt der Austausch wieder in der größeren Runde. Herr Brockmann und Prof. Iftner betonten jedoch, dass die Gruppen zwar divers zusammengestellt seien, jedoch größtenteils Fachbereiche aus den Naturwissenschaften vertreten seien – zumindest in ihrem Arbeitskontext. Daher sei auch das Bedenken gerechtfertigt, dass eine Fachrichtung manchmal die Beantwortung aller Fragen übernimmt. Die beiden Wissenschaftler sind sich zwar einig, dass es gut wäre, mehr unterschiedliche Disziplinen in den Austausch und öffentliche Diskussionen einzubringen, jedoch sei man jetzt schon an der Grenze der Belastbarkeit. Daher müsse das in einem anderen Rahmen erfolgen.
Auch bei der Frage, ob die Coronakrise als Katalysator für die Forschung agierte oder lediglich Stress auslöste, sind sich Herr Brockmann und Prof. Iftner einig: Diese Pandemie bedeutet für sie extrem viel Arbeit. Die Anforderungen nehmen dauernd zu und überall treten Engpässe auf. Zwar wurde durch das Virus mehr Interesse für die Fachgebiete der Virologie, Epidemiologie und Immunologie erweckt, doch ein richtiges Durchstarten in der Forschung sei nicht möglich, da zu viel Arbeit zu erledigen sei.
Der Tübinger Weg – nur ein Hype?
Tübingen scheint in der Pandemie recht gut situiert gewesen zu sein. Gibt es dafür ein Erfolgsgeheimnis oder ist das alles ein Hype? Tübingen ging mit Schritten voraus, die nicht immer vom Wissenschaftsministerium vertreten wurden. Neben einem aktiven Oberbürgermeister konnte Prof. Iftner ein schnelles Hochziehen der Fieberambulanz und der Teststationen beobachten. Zudem wurde schnell das Screening in Altenheimen eingeführt. Dennoch müssen dabei viele Aspekte unterschiedlicher Landkreise, wie zum Beispiel die Infrastruktur und Demografie beachtet werden. In Tübingen leben beispielsweise sehr viele junge Menschen. Ein Alleinstellungsmerkmal sei jedoch auch das eine zentrale Krankenhaus in Tübingen: Das Universitätsklinikum. Dieses habe nach Prof. Iftner vorrangig die Arbeit geleistet. Nicht nur wurde direkt eine Taskforce eingerichtet, sondern auch „getestet wie verrückt“. Nicht zu vergessen seien jedoch auch die treibendenden Kräfte außerhalb der Klinik. Dazu gehöre beispielsweise eine neugierige Stadtgesellschafft.
Die Bedeutung der Aufklärung in einer Pandemie
Für Prof. Iftner und Herrn Brockmann gehört zur Bekämpfung des Virus vor allem auch die Aufklärung der Öffentlichkeit. Für Virolog*innen sei das Aufkommen eines neuen Virus nichts Neues, doch Prof. Iftner berichtete, dass die Presse mittlerweile nur noch mit Menschen zu tun haben möchte, die die Panik weiter verschärfen. Die Berichterstattung über einzelne Pannen schüre die Verunsicherung nur weiter. Dies betreffe auch die neuen Mutationen des Virus. Zwar haben diese eine höhere Infektiosität, doch die aktuellen Impfstoffe helfen zumindest auch gegen die Englische Mutation. Die Varianten aus Südafrika und Brasilien stimmten Prof. Iftner hingegen bedenklicher, da die Schutzwirkung der Impfung gegen sie nicht so gut sei. Daher sei gute Aufklärung extrem wichtig. Die Medien sollten die richtigen und relevanten Informationen an die Bürger*innen tragen und keinem Panik-Hype nachgehen. Denn die Bekämpfung des Virus liege auch in der Verantwortung der Bürger*innen.
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