Ab heute fährt die Bibliothek in Tübingen in den „Corona-Notfallmodus“, Mensen und Cafeterien sind geschlossen. Während in Deutschland immerhin noch offiziell vorlesungsfreie Zeit ist, hat das Semester in den meisten anderen Ländern längst wieder begonnen – theoretisch. Denn auch an anderen Universitäten herrscht Chaos und Unsicherheit, wie mit der Situation umgegangen werden soll. Wir haben Studierende aus Frankreich, Österreich, Italien und China befragt, wie die Lage bei ihnen ist und wie es ihnen damit geht. Sie berichten von Chaos, Verwirrung und Frustration, aber auch von Dankbarkeit, Humor und Gelassenheit.
„Die Universität scheint völlig zu improvisieren“
Dorian, 21, studiert an der Sciences Po in Straßburg European and International Studies:
Hier in Straßburg ist die Situation ein wenig chaotisch. Als eine der beiden Regionen, die von der Epidemie in Frankreich am stärksten betroffen sind, haben wir von allen Seiten gemischte Signale erhalten. Bis zur jüngsten Ankündigung war die allgemeine Stimmung so, dass niemand wusste, was er oder sie gerade tat. Einige Menschen im Hochrhein (dem größten Zentrum der Epidemie) wurden eingesperrt, während andere noch immer im Niederrhein (in Straßburg) arbeiten durften. Die meisten Einrichtungen waren normal funktionsfähig, und während der Bürgermeisterwahl am Sonntag scheinen nach dem, was ich in meinem Wahllokal gesehen habe, keine größeren sanitären Maßnahmen ergriffen worden zu sein (trotz der Anweisungen der Regierung).
Die Universität schickt uns seit einigen Wochen immer wieder aktuelle Updates über die Situation, aber diese boten uns bis jetzt wenig Informationen und trugen stattdessen zu einer besorgten Atmosphäre in einer Stadt mit 50.000 Studenten bei. Tatsächlich scheint das Versenden von E-Mails um 23 Uhr mit dem Titel “Coronavirus-Update” nicht die beste Strategie zu sein, um die Menschen über eine globale Pandemie zu informieren und zu beruhigen. Selbst jetzt, wo es klare Maßnahmen zur Eindämmung gibt, scheint die Universität völlig zu improvisieren. Lehre und Prüfungen wurden abgesagt, sollen aber später durch unbekannte und magische Internetmittel stattfinden. Einige Dozierende haben versucht, Lösungen zu finden, während andere noch immer kein Lebenszeichen gegeben haben. Praktika wurden alle abgesagt, bis auf einige Ausnahmen, die niemand wirklich versteht. So wie die Situation aussieht, scheint jeder Toilettenpapier, Bücher, Bier und Brettspiele gehortet zu haben und wird abwarten, wie sich alles entwickelt.
„Wenn alles wieder zurückgekehrt ist, möchte ich mir die Dankbarkeit behalten“
Amelie, 22, studiert an der Universität Wien Psychologie:
Von komplett in Plastiktüten eingewickelten Panikmachern bis hin zu trotzigen Studierenden, die noch ihre letzte Nacht im Club durchmachen wollen: Bevor es die massiven Ausgangsbeschränkungen (seit 16.3.) gab konnte man noch einige, verschiedene Coping-Strategien für diese Ausnahmesituationen auf den Straßen Wiens entdecken. Ein Nicht-Einhalten dieser Maßnahmen soll zunächst nur verwarnt werden, kann im Ernstfall jedoch auch zu Verwaltungskosten von bis zu 3.600 Euro führen.
Die Universität selbst ist meinem Empfinden nach komplett überfordert. Als Lösungsmöglichkeit Nummer Eins wird hier einfach alles auf unbestimmte Zeit verschoben und gleichzeitig versprochen, dass sich keine Verzögerung im Studium ergeben wird. Prüfungen werden vom einen auf den anderen Tag abgesagt und Seminare fallen aus. Um die Inhalte doch noch ansatzweise zu vermitteln finden in meinem Studium einzelne Online-Streams von Vorlesungen statt und heute Nachmittag nahm ich zum ersten Mal an einem Online-Seminar teil – leider ist nach einer halben Stunde das Programm zusammengebrochen.
Ich als Studentin war persönlich zunächst einfach nur genervt von den Eingriffen in meinen Alltag. All die Planung und Vorfreude der letzten Wochen waren umsonst und ich musste feststellen, wie wenig wirklich übrigbleibt, wenn so vielesegfällt. Gerade unter uns Studierenden konnte ich beobachten, wie einige plötzlich überhaupt nicht wissen, was sie nun mit ihrem Leben anfangen sollen. Gemeinsam versuchen wir jedoch, unser Mindset zu ändern und die Chancen in der ganzen Situation zu sehen. Genau jetzt ist doch der Zeitpunkt für all die Dinge, die ich schon immer mal machen wollte und nur einfach nie die Zeit gefunden habe. Für die Unmengen an Büchern in meinem Regal, für eine neue Sprache, eine 14-Tage Yoga Challenge oder noch so vieles mehr. Und wenn dann alles wieder halbwegs die Normalität zurückgekehrt ist, möchte ich mir die Dankbarkeit behalten für all das was mir jetzt fehlt: das unglaubliche Kulturprogramm, das ich sonst besuchen kann, die Bildung, die ich genießen darf, und natürlich meine Gesundheit, die wirklich nicht selbstverständlich ist.
„Das einzig Positive ist die abnehmende Umweltverschmutzung durch die Verringerung der Mobilität“
Lorenzo, 25, studiert in Mailand European Economics:
In Italien ist die Situation sehr merkwürdig, keine Menschen draußen und keine Autos auf den Straßen. Es scheint, dass alles eine Pause vom hektischen Leben einlegt. Die Zahlen zu COVID-19 sind gewaltig: Am 16. März gab es etwa 28.000 Infizierte, 10% davon wurden wieder gesund, aber 8% sind gestorben. 46% der Infizierten wurden ins Krankenhaus eingeliefert, was eine zu große Belastung für die Krankenhäuser hier ist. In den letzten beiden Tagen haben wir einen Rückgang der Neuinfektionen registriert, und wir hoffen, dass dies ein positives Signal sein könnte.
Die Menschen sind verpflichtet, viele strenge Regeln zu befolgen, wie zum Bespiel zu Hause zu bleiben und der Kontakt zu anderen Menschen ist weitestgehend verboten. Tatsächlich sind nur Lebensmittelgeschäfte, Apotheken und Zeitungskioske geöffnet. Junge Leute bestellen Lebensmittel online, weil sie Angst vor “überfüllten” Orten haben. Es ist nicht möglich, bei Verdacht auf Corona selbständig zur ersten Hilfe zu gehen, weil es notwendig ist, zuerst eine Diagnose zu stellen und dann holt der Krankenwagen einen ab. Außerdem werden für alle Personen, die eigentlich eine chirurgische Operation haben sollten, die OP-Termine verschoben oder abgesagt, solange es sich nicht um einen Notfall handelt. Die Unternehmen versuchen, durch „SmartWorking“ Menschen die Möglichkeit zu geben, von zu Hause zu arbeiten. Ohne den Stress des Pendelns am frühen Morgen und am späten Abend. Das einzig Positive ist die abnehmende Umweltverschmutzung durch die Verringerung der Mobilität der Menschen.
„Ich kann empfehlen, sich ein Hobby zu suchen, Sport zu machen oder Kartenspiele zu spielen“
H., 19, studiert an der Beijing Language and Culture University in Peking Chinesisch:
Ende Januar habe ich gemerkt, dass der Corona Virus weitaus ernster ist als anfänglich gedacht. Ich wollte mich mit ein paar Freunden in der Stadt treffen, auf die Bitte meiner Mutter blieb ich jedoch zu Hause, da sie in den Nachrichten von einem Virus gehört hat, der sich in Wuhan verbreitete. Ich dachte mir dennoch nicht sehr viel dabei. Ein paar Tage später, nachdem immer mehr Nachrichtensender darüber berichteten wurde mir bewusst, dass es doch ernster war als anfänglich geglaubt. Und dann schien alles zur selben Zeit zu passieren: Alle Schulen, Restaurants und Läden wurden geschlossen, der Semesterbeginn meiner Universität wurde verschoben und den Studenten empfohlen entweder Peking, beziehungsweise China, zu verlassen oder nach Ende der Semesterferien nicht wiederzukommen.
Was sich nun in meinem Leben verändert hat: Ich bin seit Ende Januar gezwungen zu Hause zu bleiben. Die ganz Zeit im Haus festzusitzen, ohne die Erlaubnis zu haben rauszugehen, kann schon irgendwann ziemlich langweilig und nach einiger Zeit beengend sein. Die Lebensmittel werden geliefert und mittlerweile unterrichten die Professoren meiner Universität online. Man muss halt Wege finden und sich beschäftigen. Für die Leute, die in einer ähnlichen Situation sind, würde ich empfehlen sich ein Hobby zu suchen, Sport zu machen oder mit seiner Familie zum Beispiel Kartenspiele zu spielen.
Ich persönlich habe durch Corona noch keine rassistischen Anfeindungen gegen mich erlebt. Aber Freunde von mir. Nachdem der Corona Virus erstmalig ausgebrochen ist, haben viele China verlassen. Ein paar meiner Freunde sind zum Beispiel nach Deutschland gegangen, wo sie Nachrichten bekommen haben, dass sie zurück in ihr „Drecksland“ gehen und „ihren“ Virus mitnehmen sollen.
Ich denke jedes Land hat seine eigenen Methoden um mit der Situation umzugehen, die natürlich auch von dem jeweiligen System abhängen. China besitzt eine große Bevölkerung und um den Virus davon zu hindern sich weiter auszubreiten, muss manchmal zu etwas strikteren Methoden gegriffen werden. Ich habe während dieser Zeit mitbekommen, wie sich aber auch chinesischen Provinzen untereinander unterstützen. Obwohl jedes Land seine eigenen Wege besitzt mit dieser Pandemie umzugehen, sollte gegenseitige Unterstützung auf einer globalen Ebene nicht außer Acht gelassen werden.
Recherche: Clara Thier, Sina Gramlich und Anna-Karina Ulbert
Foto: Clara Thier/Privat