Wie hängen ökologische Krisen und Kapitalismus zusammen? Welche möglichen Lösungen bietet der Sozialismus für diese und wie sind aus einer antikapitalistischen Perspektive die verschiedenen Gruppierungen und Bündnisse der Klimaschutzbewegung zu bewerten? Diese Fragen und noch mehr behandelt ein Buch dreier Marxist*innen, das bei einer Veranstaltung des Rosa-Luxemburg-Clubs Tübingen Ende Oktober vorgestellt und diskutiert wurde.
In ihrem Buch Klima und Kapitalismus, so beschreiben es die beiden anwesenden Co-Autorinnen Katja Wagner und Maria Neuhauss zu Beginn der Veranstaltung, wollen sie „grüne und rote Perspektiven zusammenbringen“. Dafür hätten sie die gesellschaftlichen Hintergründe und Strukturen untersucht, die der kapitalistischen Produktionsweise zugrundeliegen. Ohne diese zu hinterfragen, so Neuhauss, seien ökologische Fragen nicht zu bewältigen.
Um diese Notwendigkeit zu erläutern, hätten sie sich dem historischen Umgang mit Umwelt und Klima im Kapitalismus, der Klimabewegung der letzten Jahre sowie möglichen Lösungen für die ökologischen Krisen gewidmet – unter Einbezug marxistischer Analysen.
Als übergeordnetes Problem des Kapitalismus stellen die beiden Autorinnen hervor, dass dieser durch eine Trennung der Gesellschaft in Lohnabhängigkeit versus Privateigentum gekennzeichnet sei. Die Abdeckung dessen, was zum Lebenserhalt notwendig ist, geschehe dabei durch viele Kleinkapitale (also in Vermögen und Marktdominanz eher kleine Unternehmen und Unternehmer*innen), was zu einem immensen Preis-Konkurrenzkampf führe. Dieser führe gezwungenermaßen zu Profitmaximierung und billiger Produktion und werde daher auf dem Rücken von Arbeiter*innen und Umwelt ausgetragen.

Da die Produzent*innen des Reichtums – die Arbeiter*innen – nicht über die Produktion entscheiden könnten, nehme das Kapital auch keine Rücksicht auf Arbeiter*innen und Natur; die durch den Konkurrenzkampf angetriebene Profitmaximierung führe nur noch zu einer Verstärkung dieser Ausbeutung. All das stehe im Widerspruch zu den natürlichen ökologischen Verhältnissen und habe daher zahlreiche ökologische Krisen zur Folge, betont Neuhauss.
Abrechnung mit liberaler Klimapolitik
Ihre Co-Autorin fährt fort mit einer für sie fundamentalen These: Ein stabiles Klima stelle die Gesellschaft zwar vor große Herausforderungen; da die Krise menschengemacht ist, sei allerdings auch ein Gegensteuern möglich. Das erfordere allerdings die Kontrolle der Arbeiterschaft über den Produktionsprozess, um den Widerspruch zwischen der kapitalistischen Produktionsweise und der Natur zu bereinigen. Dabei spiele auch die Politik eine Rolle.
Um das zu verdeutlichen, bezieht sich Wagner auf die Geschichte des internationalen Klimaschutzes mit Verweis auf das Kyoto-Protokoll von 1997, welches erstmals international Ziele zur Reduktion der globalen Treibhaus-Emissionen bis 2020 festlegte; sowie das Pariser Klimaabkommen, dessen 1,5-Grad-Ziel seit letztem Jahr ebenfalls Geschichte ist. Ein weitgehendes Problem dieser Klimakonferenzen und -abkommen sei der Konkurrenzkampf der kapitalistischen Staatsinteressen, welcher zur Nichteinhaltung der Abkommen führe, da es keinen Herrscher gebe, der die Staaten zwingen könnte.
Der moderne Emissionshandel sei ebenfalls keine Lösung. Dessen neoliberaler Ansatz sei, dass der Markt von selbst diejenigen Bereiche der Wirtschaft finden könne, wo Klimaschutz effizient – also profitabel – möglich sei. Wagners Kritik daran: Solche winzigen Schritte seien nicht nur viel zu langsam, eine vollständige Dekarbonisierung der Wirtschaft sei auf diese Weise nicht einmal möglich. Das Konzept scheitere gar bereits am Versuch der Umsetzung, da die Ausführung dieser bereits unzureichenden Strategie noch dazu korrupt und inkonsequent sei.

Darüber hinaus sei unklar, wie hoch die Preisschwelle für CO2-Zertifikate genau sein muss, sodass ökologisches Handeln für Konzerne aus Profitinteresse sinnvoll und dadurch eine Ökologisierung der Wirtschaft freiwillig möglich ist – die Wissenschaft sei sich allerdings einig, dass diese Schwelle deutlich über dem jetzigen CO2-Preis liege.
Kritik an deutscher und US-amerikanischer Strategie
Auch der Ausbau Erneuerbarer Energien in Deutschland gehe selbst durch staatliche Anreize nicht schnell genug voran, obwohl sie die billigste Form der Energiegewinnung darstellen. Wagner führt das auf die liberalisierten Energiemärkte zurück. Diese machten eine Investition in Erneuerbare Energien unattraktiv aufgrund der unregelmäßigen Verfügbarkeit natürlicher Energiequellen wie Wind und Sonne.
Allgemein sei problematisch, dass Erneuerbare mehr als Add-On zu den fossilen Energieträgern betrachtet würden, um den Energiemarkt zu diversifizieren und somit noch mehr Möglichkeiten der Profitgenerierung zu erschließen – notwendig sei stattdessen ein vollständiger fade out aus den fossilen Brennstoffen. Als Lösungsweg schlägt die Marxistin eine vollständige staatliche Steuerung des Ausbaus vor.
Den in den USA unter Joe Biden eingeführte Green New Deal bezeichnet Wagner als einen ökomodernistischen Ansatz, der auf Wirtschaftswachstum beruhe und eine parlamentaristische Strategie, die sämtliche Fallstricke des Keynesianismus aufweise. Die Produktionsweise und Eigentumsverhältnisse würden dadurch nicht in Frage gestellt, womit Bidens Konzept unzureichend und ineffektiv sei.

Insgesamt ließe sich die weltweit stattfindende liberale Klimapolitik zusammenfassen als ungenügende Maßnahmen, die ungenügend umgesetzt würden. Ihr Fazit: „Wir müssen uns trauen, die Privateigentumsfrage zu stellen.“
Kritik an Fridays For Future
Auch vor der Klimabewegung machen die beiden Autorinnen nicht halt. Diese sei zunächst einmal in ihrer jeweiligen ursprünglichen Aktionsform zu unterscheiden: Fridays For Future (FFF) mit großflächigen bürgerlichen Protesten, Ende Gelände (EG) mit Sabtoage-Aktionen gegen fossiles Kapital (also für die fossile Energiegewinnung verantwortliche Konzerne) sowie Extinction Rebellion (XR) und die Letzte Generation (LG).
Wie Neuhauss betont, sei die Bewegung über die letzten Jahre abgeschwächt, weil sie sich teilweise in ihrem Aktivismus inhaltlich umorientiert habe – im Fall von FFF besonders zugunsten des Kampfes gegen rechts, im Fall der LG vor allem zugunsten des Ziels, die Gesellschaft durch Bürgerräte zu demokratisieren.
Ihre Kritik an FFF bezieht sich hauptsächlich auf deren stetig wiederholten Appell an die Politik follow the science: Diese Forderung beinhalte zwar eine gewisse Kompromisslosigkeit, sei aber dennoch zu kurz gegriffen, da die Politik nur bedingt autonom sei.

Da die Antwort auf die Frage des Klimaschutzes dieselbe sei wie auf die Frage der Eigentumsverhältnisse, würden die gesellschaftlichen Interessensgegensätze und Machtverhältnisse ausgeblendet, die politischem Handeln entgegenstünden. Öffentlicher Druck als alleinige Reaktion auf fehlenden politischen Willen lasse die gesellschaftlichen Ursachen außer Acht und adressiere keine Änderung der Verhältnisse.
Ging die Letzte Generation weit genug?
Das „Dogma“ des zivilen Ungehorsams wie bei der LG basiere auf der Vorstellung von einem korrupten Regime, das durch eine eigentlich gute Gesellschaft geändert werden könne. Für wirkliche Veränderung müsse man jedoch auch gesellschaftliche Strukturen und Prozesse beachten. Das werde durch Bürgerräte, wie sie die LG seit Anbeginn fordert, überhaupt nicht adressiert, da Räte, bei gleichbleibenden gesellschaftlichen Vermögens- und Produktionsverhältnissen, durch Banken und Konzerne genauso erpressbar wären.
Auch die Störaktionen bewertet Neuhauss als wenig zielführend, da die meisten Leute ja schon Bescheid wüssten und man daher gar zu einer weiteren Spaltung der Gesellschaft beitrage. Die staatliche Repression gegen die Aktivist*innen sei dennoch scharf zu verurteilen.
Die Kapitalismuskritik der Klimabewegung
Das übergeordnete Problem der Klimabewegung sieht die Marxistin in einer zu oberflächlichen Kapitalismuskritik. Für wirkliche Veränderung sei es notwendig, die Interessenswidersprüche und Machtverhältnisse zu erkennen und in Frage zu stellen. Es brauche eine „Revolution der Produktionsverhältnisse“, was kein rein politischer Prozess sei. Große Teile der Gesellschaft müssten demokratisch radikalisiert werden, um von unten Macht aufzubauen – dazu gehöre auch eine Demokratisierung der Betriebe.

Das gesamtgesellschaftliche Ziel müsse sein, die Produktion nicht mehr an privaten Profitinteressen, sondern an den gesellschaftlichen Bedürfnissen und ökologischen Notwendigkeiten auszurichten. Quantitativ und qualitativ andere Formen gesellschaftlichen Reichtums (etwa Reichtum an frei verfügbarer Zeit) könnten und müssten sich durchsetzen, schließlich könne Kollektivierung materiellen Konsum verringern und dabei gleichzeitig Wohlstand erhöhen. Ein demokratischer Sozialismus, so Neuhauss, würde den Raum für Diskussionen über all jenes erst ermöglichen.
Ökologischer Sozialismus als Lösung
Für eine postkapitalistische Produktionsweise gebe es zahlreiche Konzepte. Der Kapitalismus werde in der Gesellschaft auch breitflächig als negativ betrachtet, dennoch gebe es nur schwache Gewerkschaften und keine wirkliche Gegenmacht. Da ein Putsch durch eine Minderheit jedoch nicht nachhaltig sei und die politische Elite auch keine Hoffnung mache, brauche es die Macht des Kollektivs: Nur die Klasse der Lohnabhängigen, betont Wagner, könne aufgrund ihrer Größe und gesellschaftlichen Relevanz in Form von ihrer Arbeitskraft kollektiv etwas verändern.

Eine sozialistische Klassenpolitik sei daher alternativlos. Dementsprechend gelte es nun, dafür zu sorgen, dass Menschen sich für ihre Interessen organisieren. Ihr Schluss-Appell: Der Klassengegensatz müsse politisiert werden, sodass gesellschaftliche Probleme nicht mehr als nationale, sondern als Klassenprobleme gesehen werden.
Dazu müsse man auch in Gewerkschaften die Eigentumsfrage stellen. Leider habe die Partei Die Linke (PDL), welche der Rosa-Luxemburg-Stiftung und den regionalen Rosa-Luxemburg-Clubs nahesteht, bislang zu wenige Konzepte zu alternativen Möglichkeiten des Wirtschaftens und zur Vergesellschaftung von Privateigentum (also Kapital wie dem Besitz an Produktionsmitteln).
Die Rolle der PDL
Unter dem Bilden der zuvor erwähnten Gegenmacht verstehen die beiden Marxistinnen, „sich gegen bürgerliche, reaktionäre Kräfte [zu] organisieren“ und eine „[gesellschaftliche] Opposition zu Staat und Kapital“ zu bilden. Auf unsere Nachfrage, welche Rolle die PDL beim Auf- oder Ausbau dieser Gegenmacht einnehme und ob sie dieser Rolle aktuell gerecht werde, antwortet Wagner, dass die PDL „aktuell keine sozialistische Partei“ sei. Sie zeigt sich pessimistisch wegen opportunistischer Teile der Partei, die hauptsächlich regieren und reformieren, aber nicht das System selbst verändern wollten.
Ganz allgemein brauche es nicht nur eine Partei, sondern auch eine breite gesellschaftliche Bewegung. Eine Partei könne jedoch zum einen übergeordnete, gesamtgesellschaftliche Lösungen erarbeiten und öffentlichkeitswirksam präsentieren; zum anderen könne sie als Akteur wirken, der auf der Bühne der bürgerlichen Politik mitspielt. Denn auch für systemischen Wandel, so Wagner, komme man um diese nicht herum – dafür sei aber „wichtig, dass die PDL sich als oppositionelle, systemkritische Kraft herausbildet“.
Kann Planwirtschaft funktionieren?
Auf die Anmerkung aus dem Publikum, Planwirtschaft und demokratische Betriebe funktionierten nicht, antwortet Neuhauss, dass auch die Privatwirtschaft vorausplane. Auch eine staatliche Lenkung der Wirtschaft finde bereits in Teilen statt: So seien etwa fossile Energieträger ohne staatliche Subventionen gar nicht möglich – nur dass die Produktion nicht der planwirtschaftlichen Kontrolle des Allgemeinwesens unterliege.

So bestehe weiterhin eine Erpressbarkeit durch das Kapital. Darüber hinaus belohne das System, dass die Wirtschaft Mensch und Natur auf Verschleiß fahre. Der Ansatz basisdemokratischer Betriebe sei daher die Selbstverwaltung anstelle der Verwaltung durch private Investor*innen. Erst dadurch sei es möglich, dass wir die Wirtschaft so einrichten, dass wir alle gut leben können, aber auch die Kontrolle darüber haben, wie viel wir wovon auf welche Weise produzieren.
Geht es nach einer anderen Person aus dem Publikum, ist es zum Lösen der Klimakrise ohnehin bereits zu spät. Wagner antwortet darauf mit einem Zitat von Theodor W. Adorno, der in seinem Werk Minima Moralia geschrieben hat: „Die fast unlösbare Aufgabe besteht darin, weder von der Macht der anderen, noch von der eigenen Ohnmacht sich dumm machen zu lassen.“ Das Problem, so Wagner, sei zwar durchaus dringlich und wir würden auch viel zu spät handeln. Die Erderwärmung aufzuhalten, sei dennoch möglich und noch dazu alternativlos.
Der Kapitalismus bringe allerdings durch die ihm inhärenten Widersprüche Krisen hervor. Daher gelte es, solidarische Strukturen aufzubauen, gleichzeitig aber auch, an Lösungen zu arbeiten. Dafür brauche es eine gesellschaftliche Perspektive. Denn die Autorinnen sind überzeugt: „Die Politik wird uns nicht retten.“
Beitragsbild: Ari Merkle

