Kultur

Eine Begegnung im Neuen Kunstmuseum Tübingen: Gregor Gysi und Boris Palmer

Regen, Menschen mit Schirmen am Eingang, Kunstaustellung im Gang und Einklang mit Gitarrenmusik, bevor Gregor Gysi und Boris Palmer im Neuen Kunstmuseum Tübingen aufeinandertreffen. Worüber haben die beiden gesprochen und wie hat es dem Publikum gefallen?  

Kürzlich fand der Auftakt der Veranstaltungsreihe Begegnungen mit Gregor Gysi im Neuen Kunstmuseum in Tübingen statt. In dieser Eventreihe trifft der Politiker auf prominente Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens aus Bereichen wie Medien, Kultur oder Politik. Zum Auftakt stand ein bekanntes Gesicht aus Tübingen im Mittelpunkt: Oberbürgermeister Boris Palmer.

Einstieg und Akustik

Der Veranstalter begrüßte das Publikum mit Worten darüber, dass Begegnungen neue Horizonte und Einsichten ermöglichen. Dann betrat Gysi die Bühne. Er wurde mit Applaus empfangen und sagte: „Sie wissen, dass ich viel reden kann, aber ich kann auch zuhören.“

Um die Bühne sehen zu können, stellten sich die Besucher*innen zum Teil hinter die Bühne. Bild: Fiona Kunz.

Tatsächlich steckte Gysi im Verlauf des Abends die meiste Zeit in der Zuhörerrolle. Ähnlich wie in einem Interview stellte er Fragen an Palmer und sagte selbst nur wenig zu den behandelten Themen. In der späteren Befragung des Publikums stellte sich heraus, dass sich ein paar Leute gewünscht hätten, mehr von Gysi zu hören. Ein Blick durch den Saal verriet außerdem, dass hauptsächlich die Altersgruppe zwischen 50 und 60 anwesend war.

Gysi eröffnete das Gespräch mit Palmer mit einer Frage: „Kann man sagen, dass Sie der bekannteste und umstrittenste Oberbürgermeister sind?“ Darauf reagierte das Publikum mit vereinzelten Lachern. Doch von oben kamen Rufe: „Lauter bitte“ Die Akustik war noch nicht optimal. Etwas lauter fuhr Gysi fort über Tübingen als Kleinstadt zu reden und fragte Palmer: „Wenn ich mit Ihnen in der Stadt essen gehe, weiß das am nächsten Tag die ganze Stadt?“ Darauf erwiderte Palmer: „Nein, noch am selben.“ Dies sorgte für mehr Lachen bei den Zuhörenden, womit die Stimmung des Abends gesetzt war.

Obst und Palmers Vater

Zu Beginn führten Gysi einen unterhaltsamen Plausch über Obst und Palmers Vater, der offenbar in jedem Ort einen Baum kannte. „Hatten Sie Sehnsucht nach nicht regionalen Früchten? Orangen?“, fragte Gysi plötzlich. Palmer antwortete, dass die Frage nach Orangen damals ja gar nicht ginge, das hätte man nicht fragen dürfen. Als Gegenfrage wollte Palmer wissen ob sich Gysi Bananen gewünscht hätte. „Nein, ich mag keine Bananen.“ Gysi erzählte außerdem, dass er im November 1988 zum ersten Mal Erdbeeren und Kirschen im November gekauft und festgestellt habe, dass Früchte, welche nicht saisonal sind, nicht schmecken. Palmers Mutter war im Publikum und wurde von Gysi begrüßt. „Was ist mit ihrem Bruder?“, wollte Gysi wissen. „Welcher?“, fragte Palmer. „Jürgen?“, fragte Gysi. „Da gibt’s auch mehrere“, scherzte Palmer.

Ausstellung von Peter Gaymann. Bild: Fiona Kunz

Die kleinen Witzeleien über Obst und Palmers Geschwister-Anzahl sorgten für Lacher im Publikum. Die Geschichten über Palmers Vater erstreckten sich über eine halbe Stunde und ernteten Applaus. Doch stellte sich die Frage, ob es nicht anderes zu bereden gäbe.

Waldorfschule und Zivildienst

Das Thema wechselte zum Bildungsweg des Tübinger Bürgermeisters, von der Waldorfschule bis zum Studium. Bevor die naheliegende Frage aufkam, erklärte Palmer gleich: „Ja, ich könnte Namen tanzen, tue es aber nicht.“

In dem ein oder anderen Gesicht war Enttäuschung abzulesen. Palmer erzähle von seinem Zivildienst. Diesen hätte er eigentlich gerne in einer Einrichtung für Menschen mit Behinderung erbracht, doch diese wollte ihn aufgrund unzureichenden Wissens über Religion, nicht annehmen. Stattdessen war Palmer dann als Rettungshelfer aktiv, eine Tätigkeit die er rückblickend für sehr wertvoll hielt. Deshalb sei er dafür, das junge Menschen ein Jahr verpflichtet werden, Gysi stimmte zu und meinte jeder solle wählen können ob Wehrdienst oder Sozialdienst. Für diese Aussagen gab es womöglich den lautesten Applaus im Publikum, da wohlbemerkt einen Altersdurchschnitt von 50+ hatte.

Bezüglich seines Studiums meinte Palmer, das er schon damals keine Vorschriften mochte. Er wollte Mathe und Physik studieren, aber nicht auf Lehramt, er hätte keine Lust gehabt sich mit Schülern auseinanderzusetzen und deshalb nur das Staatsexamen gemacht. Außerdem erzählte Palmer stolz davon, wie er damals die Tübinger Bus-Pläne eigenhändig erneuert habe und bekam lauten Applaus für die Nachtbusse in Tübingen.

Parteieintritt und Verpackungssteuer

Als es um Palmers Einstieg in die Politik ging, fragte Gysi provokant: „Haben Sie auch mal über anderen Parteien nachgedacht? Und sind die anderen Parteien froh, dass Sie nicht beigetreten sind?“

Palmer reagierte gelassen auf die leichte Stichelei. Er erzählte, dass er nach einer fälschlichen Wahlentscheidung, welche damals zu einem Sieg für die FDP führte, ein schlechtes Gewissen gehabt habe und sich deshalb schnell bei den Grünen angemeldet habe.

Kurze schweift das Thema zu Stuttgart 21 ab und dass das Projekt teurer als der Berliner Flughafen sei, was eigentlich nicht der Stil der Schwaben sei. Gelächter im Publikum. Dann ging es um das Thema Volksabstimmung und Gysi überraschte mit seiner Aussage, dass er im Falle des Brexits, eine zweite Volksabstimmung gutgeheißen hätte. Palmer: „Das hätte ich jetzt nicht von Ihnen erwartet.“

Palmer erzählte weiter über Verpackungssteuer und andere politische Initiativen, zwischendurch war Lachen zu beobachten, aber auch gelangweilte Gesichter und verschränkte Arme. „Ich erzähle so gerne“, meinte Palmer und wendete sich ans Publikum: „Können Sie noch?“ Die Reaktion war Applaus, aber nicht so laut wie sonst an dem Abend. Besucher*innen die stehen mussten, sahen aus, als ob sie bald nicht mehr könnten. Doch Palmer fuhrt fort über Parkgebühren und das umstrittene Thema Flüchtlinge und Migration.

Unterschiedliche Meinungen zu Migration

Im Thema Flüchtlingspolitik und Migration zeigten sich Differenzen zwischen Gysi und Palmer. Palmer sprach darüber, dass seine kritisch eingeordneten Aussagen über Flüchtlinge, heute normal seien. Er rechtfertigte seine Position zu Grenzkontrollen der EU damit, dass diese in der heutigen Regierungspolitik nichts besonders mehr seien. „Da kann es unterschiedliche Meinungen geben“, meinte Gysi und fügte hinzu: „Migration ist wichtig, für Ärzte und Fachkräfte, Deutschland muss weiterhin attraktiv bleiben. Wir müssen mehr tun als Gesamtgesellschaft damit Flüchtlinge zurückkehren können, nicht auf Bundespolitik-Ebene.“

Sowohl Gysi, als auch Palmer positionierten sich gegen die AfD. Palmer meinte die AfD solle aus Tübingen wegbleiben, er verstehe nicht, was sie hier wolle. Gleichzeitig sagte Palmer, dass der Dialog mit AfD Wähler*innen gesucht werden sollte.

Kritische Aussagen über Integration

Beim Thema Integration kritisierte Palmer, dass keine Debatte mehr zugelassen werden würde. Zum Beispiel dürfe die Pflicht des Baus einer Rampe nicht hinterfragt werden, da es sonst gegen Menschenrechte spräche. An dieser Stelle muss angemerkt werden, dass das Hinterfragen des Baus einer Rampe, Menschen mit Beeinträchtigung kategorisch ausschließen würde. Palmer fuhr fort dass Integration von Menschen mit Behinderung in der Schule nicht erzwungen werden könne: „Wenn die Mehrheit der Lehrer sagt, das funktioniert in der Praxis nicht, dann kann man das nicht erzwingen.“ Das kritische Einordnen diese Aussage blieb aus, jedoch war kaum Klatschen zu hören.

Hier ist Gysi bei seinem Schlusswort auf der Bühne zu erkennen. Bild: Fiona Kunz

Gysi und Palmer scherzten nochmal zusammen, bevor die Begegnung im Museum mit passenden Worten von Gysi endete: „Sie sind eine umstrittene Figur, aber haben Projekte erfolgreich umgesetzt und man kann und wird Sie so schnell nicht vergessen.“

Eindrücke einer Gruppe Student*innen

Die anwesenden jungen Leute ließen sich an zwei Händen abzählen. Dies könnte einerseits am Preis gelegen haben, aber womöglich auch daran, dass dies nicht die Zielgruppe war. Eine Hand voll Neurobiologie-Student*innen hatte zufällig über Instagram von der Veranstaltung erfahren und beschlossen gemeinsam hinzugehen. Wie hat ihnen die Veranstaltung gefallen? 

Neurobiologiestudentin Sarah Eisele antwortete: „Gysi 10 von 10, bester Mann. Palmer macht mich lowkey sauer. Er widerspricht sich selbst, zum Beispiel beim Thema Inklusion […]“. Ihr Kommilitone Simon Bauerle meinte: „Ich war ein bisschen enttäuscht […]“ Weitere Kommilitonen stimmten zu.

„Gysi 10 von 10, bester Mann. Palmer macht mich lowkey sauer. Er widerspricht sich selbst, zum Beispiel beim Thema Inklusion […].“-Sarah Eisele (25) , Neurobiologiestudentin

Die Atmosphäre sei angenehm gewesen, aber das Gespräch habe zu sehr aus Personenlob bestanden, Palmer habe sich gut dargestellt. Gerne hätten die Studierenden etwas weniger über Palmers Familiengeschichte und dafür mehr zu Mietpreisbremse gehört. Von Gysi hätten die Studierenden mehr bissige Kommentare erwartet, zum Beispiel kam ihnen Gysis Reaktion auf das Thema Flüchtige und Migration, nicht kritisch genug vor.

„Ich war ein bisschen enttäuscht.“

Simon Bauerle (25), Neurobiologiestudent

Außerdem stört die Studierenden das Busdebakel. Mehrere Buslinien wurden gestrichen, während Palmer sich eben noch von der älteren Generation Applaus für die gute Nachtanbindung in Tübingen geholt hatte. Nach 20 Uhr fährt kein Bus mehr in der Nähe des Neuen Museums. Simon Bauerle weiß nicht wie er zurück kommt, seine Kommilitonin schlägt vor, Boris Palmer zu fragen.

Schlechte Sicht auf Steh- und Sitzplätzen

Die Neurbiologiestudent*innen hatten sich für die Stehplätze für 20 Euro entschieden, da 40 Euro für einen Sitzplatz zu teuer gewesen wäre. Doch auf den Stehplätzen haben die Studierenden nur sehr schlecht gesehen und für den Preis finden sie dies nicht gerechtfertigt. Der Raum hätte geräumiger sein müssen, dabei hätten die Wände, an denen Kunstwerke hängen, Rollen, somit könnten diese theoretisch an der Seite positioniert werden. Auch Befragte in der Altersklasse 50+, waren unzufrieden mit den Stehplätzen. Außerdem seien auch die Sitzplätze nicht gut positioniert, im oberen Stock hatte das Publikum eine Halbwand aus Glas vor sich, das sei nicht optimal. An der Akustik müsse auch noch justiert werden, zudem wurde sich eine bessere Belüftung gewünscht. 

Die Sicht war für einige Besucher leider schlecht. Bild: Fiona Kunz

Die meisten Besucher hatten sich gut unterhalten gefühlt, aber bemängelten die Räumlichkeiten. „Es war zu klein, zu schlechte Sicht, nichts gesehen, nichts gehört […] Die Idee ist super, aber die Umsetzung [könnte besser sein].“- Steffen Franz, (58).

Positiv: Kurzweilig und unterhaltsam

Auf die Frage, wie ihr die Veranstaltung gefallen hat, antwortete eine 54-jährige Dame mit einem zufriedenen Lächeln: „Es war kurzweilig, die Zeit verging schnell, es war ernst, aber auch lustig.“

80 Euro für den Eintritt für zwei Personen sei zwar nicht wenig, aber für das was geboten wird, ließe sich das Geld ausgeben. Außerdem hatte die Dame frühzeitig Sitzplätze im vorderen Bereich reserviert, dort sei die Sicht prima gewesen. Auch der Befragte Jochen Kuhn (59) war sehr zufrieden mit der Veranstaltung. Er hatte die Karte für die Veranstaltung von seinen Freunden geschenkt bekommen, welche in der Zeitung darauf aufmerksam geworden waren. „Es war interessant und die zwei Stunden sind rumgegangen wie nichts!“ -Jochen Kuhn (59). Auch seinen Begleitern hat es gut gefallen, alle hatten sich unterhalten gefühlt. Merkten aber an, dass es ein Heimspiel für Palmer war, und Gysi eher zurückhaltend aufgetreten war.

Resümee

Die Veranstaltung hat vor allem die ältere Generation angesprochen und diese Zielgruppe hat sich gut  unterhalten gefühlt. Die Sicht lässt zu wünschen übrig und Studierende wünschen sich günstigere Preise.

„Die Idee ist super, aber die Umsetzung [könnte besser sein]“, Steffen Franz, (58).

Ob durch die Begegnung mit Palmer ein Horizont erweitert werden konnte, wie es in der Einleitung impliziert wurde, ist fraglich. Doch hat das Format Begegnungen mit Gysi im Neuen Museum Tübingen durchaus hohes Potential neue Einsichten zu gewinnen. Ab September geht es damit weiter. 

Beitragsbild: Fiona Kunz

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