Ein einsamer Astronom am Polarkreis ist vermutlich nicht die Rolle, die man von George Clooney erwarten würde. Oder doch? In der neuen Netflix-Produktion „The Midnight Sky“ erzählt der bekannte Hollywood-Schauspieler nicht nur vor der Kamera, sondern auch als Regisseur eine Geschichte, die uns zeigen möchte, wie essenziell menschliche Beziehungen sind und wohin es führen kann, wenn sie abbrechen. Unsere Kulturredaktion hat ein Auge auf den postapokalyptischen Science Fiction-Film geworfen.
Eine karge Landschaft, erhellt vom kalten Licht der Mitternachtssonne fällt in das Blickfeld. Der frostige Polarwind pfeift um die dicken grauen Betonwände des verlassenen Barbeau Observatoriums. Hier lebt der Astronom Augustine Lofthouse (gespielt von George Clooney). Als seine Kolleg*innen vor ein paar Wochen mit den Militärhubschraubern abgeholt wurden, hat sich der alte, bärtige Wissenschaftler bewusst gegen die Evakuierung entschieden, um allein im astronomischen Außenposten zurückzubleiben. Augustine ist unheilbar krank, die Leukämie nagt an ihm. Dass der Kontakt zum Rest der Welt durch eine globale Katastrophe abgebrochen ist, scheint ihn nur wenig zu kümmern. Stattdessen vertreibt er sich die Zeit lieber mit Schach, Mirowellenessen und einem guten Glas Whiskey.
„Wenn ich es eilig hätte zu sterben, würd´ ich mit dir gehen.“
– Augustine Lofthouse zu einem Kollegen während der Evakuierung des Observatoriums
Wie die Zuschauenden durch Rückblenden erfahren, war Augustine schon immer mehr an der Unendlichkeit des Kosmos interessiert als an den begrenzten Sphären menschlichen Zusammenlebens. Seine bahnbrechenden Entdeckungen haben die Astronomie revolutioniert. Darunter ein Jupitermond, namens K23, der ideale Bedingungen für eine zukünftige Besiedlung bietet. Dorthin wurde das Forschungsraumschiff Aether geschickt, um erste Messungen vorzunehmen und mit den Ergebnissen zur Erde zurückzukehren. Bisher lief die Mission der fünfköpfigen Crew von Kommandant Adewole (gespielt von David Oyelowo) überaus erfolgreich, wäre da nur nicht die Funkstille auf der Erde. Jeden Tag sitzt die schwangere Astronautin Sully (gespielt von Felicity Jones) an den Empfangsgeräten und wartet vergeblich auf eine Nachricht von Mission Control aus Houston. Je näher das Raumschiff der Erde kommt, umso dubioser erscheint die Situation. Von einer globalen Katastrophe auf der Erde wissen die Astronaut*innen schließlich noch nichts.
Gemeinsam einsam
Es scheint, als sei Augustine mittlerweile der einzige Erdbewohner, der in der Lage ist, Kontakt zum Raumschiff Aether herzustellen. Nicht ganz. Denn zu allem Überdruss entdeckt er ein stummes Mädchen, das sich seit der Evakuierung unter dem Küchentisch des Observatoriums versteckt gehalten hat. Auch das noch! Mürrisch (und mehr oder weniger unfreiwillig) nimmt er sie auf, teilt sein Essen mit ihr und versucht sie nach ihren Eltern zu fragen. Doch alles vergeblich – das Einzige, was die scheue Kinderseele von sich gibt, sind vorsichtige Gesichtsausdrücke und Achselzucken.
Dabei ist es ausgerechnet die kleine Iris (gespielt von Caoilinn Springall), die es ganz ohne Worte schafft, den gebrochenen Augustine wieder auf die Beine zu helfen. Ihre kindliche Neugier sorgt für warme Menschlichkeit in einem Umfeld, das kälter kaum sein könnte – im buchstäblichen wie im übertragenen Sinne. Durch sie schafft es Augustine tatsächlich, das Raumschiff Aether zu kontaktieren. Doch wird die Astronautin Sully seinen Funkspruch empfangen? Wenn ja, was dann? Soll die Crew auf der Erde landen und sich tödlicher Strahlung aussetzen oder wieder zurück nach K23 fliegen und damit den eigentlichen Sinn der Mission umkehren?
Es sind spannende Fragen, die George Clooney in seinem SciFi-Film stellt. Nicht zuletzt an seiner uneitel sensiblen Darstellung des unheilbar kranken, altbärtigen Augustine Lofthouse merkt man, dass ihm die filmische Botschaft persönlich am Herzen liegt. Mit einem geschätzten Budget von rund 100 Millionen US-Dollar hat er dementsprechend auch die Mittel, dies nach seinen Ansprüchen umzusetzen. Und die Rechnung scheint aufzugehen – trotz der durchaus beträchtlichen Länge von 117 Minuten ist die Handlung alles andere als ermüdend. Immer wieder gibt es Rückblenden und Traumszenen, die aus dem klassischen dramaturgischen Bogen ausbrechen und an den zugrundeliegenden Roman „Good Morning, Midnight“ von Lily-Brooks Dalton erinnern. Zwar kann man sich darüber streiten, ob Clooney der Charaktertiefe des Protagonisten Augustine gerecht wird – gerade, wenn er dem Astronomen Zerschlagenheit und Reue unterstellt, ohne dies hinreichend ursächlich zu erklären. Allerdings steht auch fest, dass die diskrete Art und Weise der Erzählung eine sehenswerte Ausnahme unter den übrigen Endzeit-Filmen darstellt.
Der eigenen Fantasie Raum lassen
Statt nämlich die globale Katastrophe, wie z.B. in „The Day After Tomorrow“, mit allen Details vorwegzunehmen, lässt Clooney den Zuschauer*innen Platz für die eigene Fantasie. Ihm geht es nicht darum, den Untergang der Welt zu erzählen, sondern vielmehr darum, dem menschlichen Bedürfnis nach Zugehörigkeit, Kommunikation und Austausch auf den Grund zu gehen.
Wofür erforscht man den Kosmos, wenn man das Wissen darüber nicht weitergeben kann? Wozu sind Erfolg und Ambition gut, wenn man sie mit niemanden teilen kann? Es liegt auf der Hand – ohne Austausch und zwischenmenschliche Bindungen ginge Vieles verloren. Und nicht nur das. „The Midnight Sky“ zeigt auf, was wir uns als Menschen antun können, wenn wir den Kontakt zueinander verlieren – vom sturköpfigen Ignorieren der Lebenspartnerin bis zur globalen Katastrophe. Klingt irgendwie nach Gegenwart, oder? Insbesondere auch, weil die Handlung des Films im Jahr 2049 stattfindet, sich also schmerzlich nah an unserer Zeit befindet, in der Kontaktabbruch an der Tagesordnung liegt. Man denke dabei nicht nur an die sozialen Auswirkungen der aktuellen Pandemie, sondern auch an Hasskommentare im Netz, oder die tiefe politische und gesellschaftliche Spaltung in Europa und anderswo.
Die Bewertung
Die Handlung mit ihren vielen überraschenden Wendungen, Rückblenden und der erfrischend diskreten Erzählweise verdient damit insgesamt 4 von 5 Kupferblau-Sternen. Für die mediale Verfügbarkeit erreicht der Film hingegen nur 2 von 5 Kupferblau-Sternen, da man ihn derzeit ausschließlich auf der Streaming-Plattform Netflix anschauen kann. Womit die Produktion von „The Midnight Sky“ allerdings besonders punkten kann, ist die visuelle Umsetzung der Weltraumszenen. Man bekommt nicht nur den sprichwörtlich atemberaubenden Astronautenalltag in der Schwerelosigkeit mit, sondern fliegt regelrecht mit dem Raumschiff Aether in seiner komplexen Gesamtheit durchs Sonnensystem.
Dabei kommt die authentische Schönheit des Kosmos genauso zur Geltung wie die Gefahr, die u.a. von Meteoritenfeldern ausgeht. Kein Wunder, warum der Film bei den Oscars für die besten visuellen Effekte nominiert war. Das Schwerelos-Gefühl wird dabei u.a. mit den anmutigen Kompositionen von Alexandre Desplat (u.a. Musik für „The Shape of Water“, „The Grand Budapest Hotel“) musikalisch unterstützt, welche auch auf Spotify verfügbar sind und durchaus Ohrwurmpotenzial besitzen.
So lässt sich also festhalten, dass Clooney mit „The Midnight Sky“ ein Science Fiction-Film gelungen ist, der sowohl den Zwängen des Alltags entflieht als auch den Finger mitten in die Wunde unserer Gegenwart legt. Statt uns zu belehren, lässt er uns Freiraum für individuelle Gedanken und Emotionen. Folglich können mit diesem Film nicht nur SciFi-Fans und Weltraum-Nerds einen lohnenswerten Netflix-Abend verbringen. Es besteht eine Prokrastinationsgefahr von insgesamt 3 Kupferblau-Sternen. Alles in allem also eine postapokalyptische Geschichte, die sich sehen lassen kann. Die Welt muss nicht in Hektik und mit großem Feuerwerk untergehen. Manchmal können die Fäden auch in Stillschweigen reißen.
Link zum offiziellen Trailer (englische Originalversion)
Fotos: © 2020 Cr. Philippe Antonello/NETFLIX. Alle Rechte vorbehalten.
Illustration: Hagen Wagner