Ein halbes Jahr mitten in Rom – mit Museums-Touren und Pizza, Partynächten und Lebensfreude. Was sich ein Erasmus-Student erhofft hatte und warum er sich entschieden hat, trotz all der Umstände dort zu bleiben und weiterhin optimistisch nach vorn zu sehen.
Das gesamte vergangene Wintersemester hat er sich darauf gefreut, sich den Stundenplan vollgepackt, Geld gespart. Jan-Lukas, 23, Geschichts- und Deutschstudent der Uni Tübingen freut sich auf ein halbes Jahr in Rom an einer der ältesten Universitäten Europas.
Anfang Februar geht es los. Die erste Zeit scheint vielversprechend: Jan-Lukas stellt schnelle Erfolge beim Lernen der Sprache fest, trifft viele neue Leute, hört italienische Musik und hat sich “ziemlich schnell in die Stadt verliebt”. Er fährt mit der Tram durch die Straßen und stellt sich vor, was ihm all die Ecken Roms im nächsten halben Jahr wohl noch bieten werden. “Ich hab mir viel aufgehoben, ich dachte ja, ich kann mir für alles Zeit lassen.” Entspannt den Nachmittag vor und im Forum Romanum verbringen, das erste italienische Eis zu genießen – dafür war vermeintlich genug Zeit.
Rom war wie leer gefegt
Doch dann macht auch ihm die Corona-Pandemie einen Strich durch die Rechnung. Die Anfänge der Pandemie nimmt auch er zu Beginn nur halb wahr:
“China ist so weit weg, nie hätte ich gedacht, dass es auch hier soweit kommt”.
Der Ernst der Lage wird ihm erst bewusst, als er Anfang März mit ein paar Freunden bei einem Ausflug an den Strand von der Polizei aufgegabelt wird und ein “Riesen-Tumult” entsteht, weil sie zu viert unterwegs sind und damit eine der Maßnahmen aus Versehen missachten. “Wir haben es sogar in die lokale Zeitung dort geschafft”, erzählt Jan-Lukas. Als sie zurück nach Rom kommen, ist die Stadt wie leer gefegt. All die Maßnahmen, die auch Deutschland noch erreichen, treten in Italien früher, härter und ohne Vorbereitung ein.
Für Jan-Lukas und andere Erasmus-Studierende werden Rückflüge in die Heimatländer organisiert, das Auswärtige Amt und das Erasmus-Büro in Tübingen melden sich bei ihm. Anfänglich überlegt er noch, ob er zurückgehen soll. “Man wusste ja nicht, was noch passiert. Kommt es jetzt tatsächlich darauf an, mit wem du deine Zeit verbringst?”
Doch er ahnt, dass alles was Italien im Moment erlebt, in Deutschland auch bald Realität wird. Außerdem will er nicht unverantwortlich handeln und das Virus eventuell nach Deutschland tragen. “Ich wollte ein halbes Jahr ins Ausland. Die Umstände sind jetzt zwar anders, aber das sind sie überall”. Der deutlich günstigere Rotwein in Italien ist zudem ein Argument, das Erasmus-Semester nicht vorzeitig abzubrechen.
“Ich kann die Situation nicht ändern, also versuche ich das Beste daraus zu machen – man passt sich halt an. Und behält die Hoffnung, dass bald alles besser wird”.
Musik auf allen Straßen
Die Italiener teilen diese Einstellung mit ihm und leben sie ihm auch vor. Das Eindrucksvollste, das Jan-Lukas in der Corona-Zeit erlebt, ist das Singen. Was wir größtenteils nur in den Nachrichten oder kurzen Videos gesehen haben, hat er hautnah miterlebt. “Das werd ich nie vergessen”, schwärmt er. “Die Musik hallte durch alle Straßen, von der Oma bis zum Kleinkind sangen und applaudierten alle”. Ein ergreifendes, kollektives Gefühl, das vermittelt: “Wir stecken da alle zusammen drin”. Für Jan-Lukas zählt auch das zu der Kulturerfahrung, die er sich von seinem Auslandssemester erhofft hatte:
“Es war natürlich nicht so, wie ich mir das vorgestellt hatte, Rom läuft auf Sparflamme. Aber ich sammle trotzdem meine Erfahrungen.”
Lobend spricht er von den Italienern, die die Maßnahmen von Beginn an “vernünftig und anständig” annehmen: “Alle haben sich einfach daran gehalten, es hat funktioniert, alle sind halt zuhause geblieben”. Er selbst hätte von sich nicht gedacht, dass der Individualist in ihm das zulässt, sagt er, “aber wenn Regeln Sinn ergeben, hält man sich einfach daran”.
Er beginnt, sich ein bisschen mit den Italienern zu identifizieren, sich im Kollektiv zu fühlen. “Ich habe eine Häuserfront vor meinem Fenster. Nach einer Weile wusste ich, wer wo wohnt, wer wann auf dem Balkon steht- so lernt man sich auch kennen”. Auch die Tatsache, dass Deutschland hinsichtlich der Coronakrise immer etwa eine Woche hinter Italien geht, lässt ihn zum Beispiel über die Klopapier-Hamsterkäufe der Deutschen schmunzeln.
Über Ostern bildet er mit ein paar wenigen anderen Erasmus-Studierenden eine “kleine Quarantäne-Crew”; sie trinken Rotwein und teilen die Zeit des Abwartens miteinander. Auch mit seiner Freundin, die im Moment ein ähnliches Szenario in Chile miterlebt, seinen Freunden und seiner Familie in Deutschland steht er in regem Kontakt. “Es ist süß, wie sich alle melden und umeinander kümmern”.
“Das Warten lohnt sich”
“Man konnte jetzt sehen, dass wir uns auch auf das Minimalste begrenzen können. Dass man trotzdem ein schönes Leben haben kann, auch wenn man sich einschränken muss”.
Er konnte viele Dinge tun, “ohne die Angst, das Leben zu verpassen oder dass man seine Zeit nicht richtig nutze”. Ihm ist bewusst, wie viel Glück er hatte, dass ihn die wirtschaftlichen und gesundheitlichen Folgen der Krise nicht so hart getroffen haben, wie viele andere und auch das lässt ihn seine Situation umso mehr wertschätzen.
Seit Anfang Mai dürfen die in Italien lebenden Menschen nun wieder ohne triftigen Grund das Haus verlassen. Seine ersten Schritte in Freiheit hat auch Jan-Lukas schon gemacht. Er freut sich darauf, bald wieder um das Colosseum zu ziehen, Museen zu besuchen und endlich das lang ersehnte, erste Eis in Rom zu essen.
“Das Warten lohnt sich”, sagt Jan-Lukas. Und damit hat er hoffentlich recht.
Fotos: Jan-Lukas Dietz