Am Freitagabend war es endlich wieder so weit: Der Kupferslam unseres Campusmagazins geht in eine neue Runde! Zum sechsten Mal organisierte die Kupferblau nun schon ihren hauseigenen Poetry-Slam.
Gegen 18:30 Uhr beginnt die Shedhalle in Tübingen sich langsam aber sicher immer weiter anzufüllen. DJane Djem heizt mit Oldschool Hiphop auf Vinyl bereits die Stimmung ein. Als unsere Moderatorin Paula um kurz nach 19 Uhr die Bühne betritt, sind bis zum letzten Klappstuhl alle Plätze belegt.
Von Laugenbrezeln, Musenküssen und Krankenkassenkarten
Sieben verschiedene Wörtkünstler*innen tragen an diesem Abend ihre Texte vor. Für manche ist es eine Bühnenpremiere, manche sind schon alte Hasen. Trotz der unterschiedlichen Erfahrungslevel bleibt ein Poetry-Slam natürlich ein Wettbewerb und so bekommen sechs Publikumsmitglieder das Privileg, die Wortbeiträge mit Zahlen zwischen Eins und Zehn zu bewerten. Damit sich die Jury jedoch einmal „warm-hören“ kann, wird traditionell ein unbewerteter Text zum sogenannten „Opferlamm“. Diese wichtige Rolle übernimmt der Slammer Alex, der seine abgöttische Liebe zu Laugenbrezeln bekundet. Nach einem weiteren Auftakts-Text der Moderatorin Paula, wird es nun ernst: Alex darf gleich ein weiteres Mal auf die Bühne, nun unter der strengen Bewertung des Publikums. Diesmal widmet er sich einem Thema, das ihm sehr am Herzen liet: Dem Emphatisch-Sein. Egal ob man sich den kleinen Zeh stößt, das Nutellaglas leer ist oder man vollbepackt am Bahngleis gebeten wird, das Gepäck einer älteren Dame zu verstauen – ein bisschen mehr Empathie, auch in nervigen Situationen, würde die Welt zu einem besseren Ort machen. Nach Alex‘ Auftritt ist Levi an der Reihe. Er trägt einen Slamtext vor, der voller Wortwitz das Phänomen des Musenkusses umspielt. Gespickt von Anspielungen auf Literatur und Kunst, dichtet er sich so den Weg ins Herz der Zuhörenden.
Als Dritte in der Runde kommt Tamara auf die Bühne, der Kupferslam ist ihr Debüt-Auftritt. Ihr Text beginnt mit dem liebsten Sprichwort ihrer Großmutter: „Halt die Ohren steif!“ Tamara erzählt, warum dieser Satz sie früher verwirrt hat, nun aber eine tiefere Bedeutung für sie trägt. Als nächstes reflektiert Lauri die Bemerkung seiner Mutter, welche scheinbar hängengeblieben ist: Er sei ja eher so der Schwiegersohn-Typ. Das habe ihn lange gestört, bis er mit der Zeit an Selbstvertrauen gewonnen hat.
Ich bin Lauri und mag mich selbst von Kopf bis Fuß – Mama sagt dennoch, ich bin halt so der Schwiegersohn-Typ.
-Lauri
Die fünfte Slammerin ist Fiona. Ihr Text stößt auf besonders viel Verständnis unter den Studierenden im Raum: Er handelt vom Prokastinieren, vom Verplant sein und vom Krankenkassenkarten-Verlieren. Passenderweise sei auch der Text erst am Vortag fertig geworden. Umso schöner, dass sie es damit auf die Bühne geschafft hat und das Publikum erheitern konnte.
Für Mareike ist die Poetry-Slam-Bühne ebenfalls Neuland. Für ihre Premiere hat sie einen Text ausgewählt, der bereits vor 2 Jahren entstanden ist. Er handelt von Wünschen: Dem Wunsch, nicht mehr weitermachen zu wollen, dem Wunsch, dass das Leben wieder leichter wird, aber auch davon, dass es okay ist, manchmal nicht zu wissen, was man sich eigentlich wünscht.
Der siebte Slammer heißt Finn und rundet die erste Hälfte des Kupferslams ab. Da er zwischen Balingen und Tübingen pendelt, hat er häufig mit Verspätungen der Deutschen Bahn zu kämpfen. Finns Slam spielt deshalb in einem verspäteten Zug und beschreibt das Gefühl von „motion sickness“, also eigentlich Reisekrankheit, aber auch der Angst vor Veränderung, wenn die Zeit mal wieder zu schnell vergeht und man eigentlich gerne daran festhalten würde.
Weil man nicht darauf vertrauen kann, dass etwas bleibt – geschweige denn für immer.
– Finn
Der letzte Vorrunden-Slam ist vorgetragen, alle Punkte vergeben und ausgezählt. Nun ist es an Paula, das Ergebnis zu verkünden und damit auch, welche Slammer*innen ins Finale einziehen werden: Levi, Mareike und Finn haben es geschafft.
Das große Finale
Nach einer 20-minütigen Pause, in die Teilnehmer*innen und das Publikum durchschnaufen können, startet Finn, der in der ersten Runde die höchste Punktzahl erreicht hat. Es geht berührend weiter: Eine Begegnung mit einer älteren Dame an einer Bushaltestelle hat Finn so stark geprägt, dass er einen Slam darüber geschrieben hat. Die Schwester der Dame lag im Sterben und hoffte, noch pünktlich zu kommen, um sich bei ihr zu verabschieden. Für Finn die Lehre, dass jede Minute mit unseren Liebsten ein Geschenk ist und man sich öfter aktiv Zeit für sie nehmen sollte.
Man denkt immer, man hat noch Zeit.
– Finn
Mareike bringt fürs Finale einen Text mit, der zwar von einer Person handelt, die es eigentlich nicht verdient habe, überhaupt einen Slam gewidmet zu bekommen. Sie hat jedoch realisiert, dass der Text vielmehr für sie selbst entstanden ist, um mit dem Geschehenen abzuschließen. Man kann den Schmerz einer unerwiderten Liebe in ihren Worten spüren, genauso wie den Funkenregen, den manche Menschen im Herzen auslösen.
Dann ist es schon soweit: Der letzte Slam des Abends ist von Levi und eine Art Literatur-Experiment. Jeder Satz seines Textes ist ein sogenanntes Pangramm. Das heißt, jeder Satz beinhaltet jeden einzelnen Buchstaben des Alphabets. Ein bekanntes Beispiel für ein Pangramm lautet: „Zwölf Boxkämpfer jagen Viktor quer über den großen Sylter Deich.“ Levi beantwortet die Frage, wie Viktor wohl in diese prekäre Lage geraten sein mag – eine Geschichte nur aus Pangrammen.
Die Qual der Wahl
Nun steht das gesamte Publikum vor einer harten Herausforderung: Jede*r muss sich entscheiden, welcher Slam sie am meisten begeistert hat und dementsprechend einen farbigen Zettel in die Luft halten. Pink steht für Finn, Orange für Mareike und Blau für Levi. Nach einigen Minuten eifriger Diskussionen und Gemurmel, erhebt sich im Raum ein Meer bunter Quadrate, in der jedoch eine Farbe deutlich dominiert. Nach der offiziellen Auszählung steht fest: Finn hat den sechsten Kupferslam gewonnen! Als Geschenk bekommt er ein Notizbuch und einen Tübinger-Poesie-Tee überreicht. Das Publikum hat noch einmal die Chance alle Wortkünstler*innen ausgiebig zu beklatschen.
Die Stühle werden zur Seite geräumt, während DJane Djem ein zweites Mal ihr handverlesenes Vinyl auflegt. Es ist noch Zeit zum Mittanzen und zum Nachbesprechen all der schönen, bewegenden und unterhaltsamen Eindrücke des Abends. Wir freuen uns jetzt schon auf das nächste Semester, wenn der Kupferslam wieder vor der Tür steht!
Beitragsbild: Hanna Neumann