Die Leiden des jungen Werther, Faust I und II, Die Wahlverwandtschaften und der Erlkönig. Diese beeindruckenden Werke aus Sturm und Drang und Weimarer Klassik haben eines gemeinsam: ihren Autoren, Johann Wolfgang von Goethe. Der alte Meister war jedoch nicht nur Schriftsteller, sondern auch Politiker, Botaniker, Geograph und großer Verfechter einer eigenen Farbenlehre. Mit jener soll das schillernde Thema unserer Semesterferien eingeleitet werden.
1810 veröffentlichte Goethe das dreiteilige Werk Zur Farbenlehre – heute inkludiert man auch andere einzeln veröffentlichte Schriften des Autors in seine Farbenforschung, wie zum Beispiel Von den farbigen Schatten oder Erfahrung und Wissenschaft. Goethe versuchte zeitlebens, seine Theorien zu verbreiten und soll einmal zu seinem guten Freund Johann Peter Eckermann gesagt haben: „Auf alles, was ich als Poet geleistet habe, bilde ich mir gar nichts ein. […] Dass ich aber in meinem Jahrhundert in der schwierigen Wissenschaft der Farbenlehre der einzige bin, der das Rechte weiß, darauf tue ich mir etwas zugute.“
In der Naturwissenschaft fanden Goethes Ausarbeitungen wenig Anklang, jedoch setzten sie sich teilweise in der bildenden Kunst durch. Der britische Maler William Turner, bekannt vor allem für seine romantischen Landschaften und Seestücke, soll sich in seiner Arbeit sehr von Goethes Farbenlehre inspiriert haben lassen. Zeitgenössische Naturwissenschaftler*innen hingegen folgten in puncto Farbenlehre den Forschungen Isaac Newtons. Dieser hatte 1666 herausgefunden, dass weißes Licht aus verschiedenfarbigen Komponenten besteht. Goethe widersprach dieser Theorie vehement und versuchte nachzuweisen, dass weißes Licht keine Zusammensetzung verschiedener Farben sei, sondern, dass Farben sich vielmehr aus einer Wechselwirkung von Licht und Finsternis ergeben. Dieser Teil der Farbenlehre Goethes (Physische Farben) gilt heute als widerlegt.
Was jedoch auch in die Postmoderne hinein Anklang findet, sind Goethes Erkenntnisse zur Farbwahrnehmung und sein Ansatz, das subjektive Farbempfinden verschiedener Menschen auf deren Psychologie zu beziehen sowie den Farben eine ganz eigene Farbpsychologie zuzuordnen. Goethe sprach bereits von warmen und kalten Farben und verknüpfte diese (zum Teil sehr individuelle) Definitionen mit den persönlichen Erfahrungen der Menschen.
Heute weiß man, dass sich Farbwahrnehmung häufig von Mensch zu Mensch unterscheidet – man denke an das berühmte Bild mit dem gestreiften Kleid, das abhängig vom Betrachtenden, mal weiß-gold und mal blau-schwarz aussah. Farbwahrnehmung kann kulturell konditioniert sein. Ein emotionales Erleben verschiedener Farben gilt ebenfalls als bewiesen – vor allem Werbebotschaften arbeiten damit.
Goethe hatte in seinem Haus in Weimar eine eigens eingerichtete Dunkelkammer, um Experimente durchführen zu können. Dort kehrte er das berühmte newton’sche Experiment mit dem Prisma, das Lichtstrahlen aufbricht, um, und führte es somit in vollem Sonnenschein durch. Goethe soll sich stets geweigert haben, immer nur in Dunkelkammern zu experimentieren – der Autor ging von einer Dualität, einem Parallelismus von Finsternis und Licht aus. Diese Art zu denken, durchzieht seine Farbenlehre und seine Naturforschungen – er sprach stets von der „Einheit der Natur“.
Goethe-Liebhaber*innen wissen und würdigen, dass Farben und deren tiefere Bedeutung auch in den literarischen Werken des großen Meisters wiederzufinden sind. Die Farbe Blau und das Element des Wasser durchziehen beispielsweise den West-östlichen Divan und in Goethes berühmtester Tragödie, der Faust-Erzählung, repräsentiert eine gesamte Szene (Anmutige Gegend) das Prinzip seiner Farbenlehre.
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