Kultur Musik

Musik handmade im Brechtbau

Ein etwas anderes Aufnahmestudio: Mikros auf den Treppen der Brechtbau-Aula und ein Produzent, der auf einem Bürostuhl durchs Theater rollt. Was hat es mit der EP The Brechtbau Theater Sessions von The Transnationals auf sich?

Die Ruhe vor dem Sturm: Um 17 Uhr herrscht noch klimpernder Nachmittagsbetrieb mit nur wenigen besetzen Tischen im Café Haag. Später wird hier vor lauter tanzwütiger Gäste kaum mehr ein Durchkommen zur Bar möglich sein. Der Musiker Thomas Gijswijt und der Produzent Moritz Kleffmann haben sich genau an diesem Ort kennengelernt, an so einem Konzertabend wie diesem. Naja, zumindest inoffiziell: Eigentlich hatte Kleffmann davor schon einen Uni-Kurs bei Gijswijt gehabt, der nicht nur leidenschaftlicher Musiker und Beatles Fan, sondern auch Dozent für American Studies an der Universität Tübingen ist. Aber das war damals über Zoom, während Corona. Richtig kennengelernt haben sich die zwei aber erst vor den Türen des Cafés, beim „frische Luft schnappen“. Doch wie entstand ihre EP – The Brechtbau Theater Sessions?

Ein Full-Circle-Moment oder doch eher Midlife-Crisis?

Die Band The Transnationals besteht eigentlich nur aus zwei Mitgliedern: Thomas Gijswijt und Mathijs van Woerkum. Die beiden haben sich in den 90ern beim Studieren in Amsterdam kennengelernt und schon damals gemeinsam Musik gemacht. Heute trennt sie eine Ländergrenze, doch die Verbindung über die Musik bleibt bestehen. The Transnationals wurden 25 Jahre später gegründet und funktioniert auf viele Weisen anders als die herkömmliche Rockband. Alle Songs entstehen über die Entfernung hinweg, durch das Hin-und-Herschicken von Songideen, Liedtexten und Demos. 

Die Brechtbauaula schmückt das Cover der EP. Grafik: Mathijs van Woerkum

Für ihre EPs ist es ihnen jedoch wichtig, oldschool zu bleiben: Sie werden als Anlass der Wiedervereinigung genommen, um ihre Werke live zusammen aufzunehmen. Doch Studiogebühren sind teuer und die Stimmung dort dementsprechend oft von Performance-Druck belastet. Und so fiel für die Aufnahme ihres zweiten Projekts die Wahl auf einen außergewöhnlichen Ort: Das Theater im Brechtbau der Universität Tübingen. Eine Art Full Circle Moment für die Band, die sich an einer Uni kennengelernt hat und nun eine Uni zum Tonstudio umfunktioniert?! „Das ist nett formuliert, man kann es auch Midlife-Crisis nennen“, scherzt Gijswijt, „aber ich sage meiner Frau immer, das ist doch besser, als wenn ich eine Harley-Davidson gekauft hätte.“ Vielleicht kann man also auch als Uni-Dozent noch Rock ’n‘ Roll verkörpern. 

Die Magie des Brechtbaus

Auf die Idee, die Aufnahmen im Brechtbau zu machen, kam Gijswijt durch die besonders kreative Energie dort. Seit vier Jahren unterrichtet er Singer-Songwriter-Kurse für musikbegeisterte Studierende. Fünf Tage lang treffen sie sich jeden Morgen im Brechtbau-Theater und dürfen sich an Schreibübungen für Songtexte ausprobieren und über ihr kreatives Vorgehen austauschen. Die Stimmung, die in dem etwas heruntergekommenen, aber doch gemütlichen Raum beim kreativen Arbeiten entsteht, sei Gijswijt direkt beim ersten Kurs  aufgefallen. „Man braucht eine Atmosphäre im Raum, bei der alle sich trauen, sich zu öffnen.“ Deswegen sei der Ort nicht nur für Theater geeignet, sondern auch für Musik. Er beschreibt den Brechtbau auch als Ganzes – wie ein Ökosystem der Kreativität. So viele kunstschaffende Menschen tummeln sich in diesem Gebäude und können sich vernetzten, wie eben die beiden Musiker. Wieso also nicht hier mal eine EP aufnehmen?

Für die Aufnahme haben sich die Musiker im Brechtbau-Theater verteilt. Bild: privat

Die Aufnahme war ein Experiment – da das Theater eben doch kein professionelles Tonstudio ist und Kleffmann seine erste Erfahrung mit der Aufnahme von Live-Bands machte. Daher war eben diese besondere Atmosphäre direkt vorhanden. Ein Wochenende lang – von Freitagnachmittag bis Sonntagvormittag – arbeiteten The Transnationals mit Kleffmann an ihren Songs. Laut ihm war das vor allem „fun“, der Spaß sei nicht zu kurz gekommen. Es fällt auf, dass sich hier Musikschaffende gefunden haben, die das aus Herzblut und Freude tun. Ihren Freund Phil McDowell gewannen sie als Schlagzeuger. Zunächst war dieser allerdings als Tontechniker eingespannt und sprang dann kurzfristig ein. „Die Vibes haben einfach gepasst“, meint Gijswijt. 

Experimentell war nicht nur die Location. Die Band hat sich auch bei den Aufnahmetechniken austoben können. In der, wegen der Semesterferien leeren Brechtbauaula wurden spontan Gitarrenverstärker aufgestellt und zwei Micros mit 20 Meter Abstand platziert, eines davon ganz oben am Treppenaufgang – fertig war ein riesiger DIY-Stereo-Raum. „Das klingt richtig cool“, sagte Kleffmann begeistert.

Ein Produzent auf Rollen

Herausfordernd für die gemeinsame EP war nicht nur der voller Terminkalender von Kleffmann und dessen musikalischer Perfektionismus – gleich beim Aufbau des Studios kam auch noch ein Hexenschuss dazu. Mit Rückenschmerzen rollte der Produzent also das restliche Wochenende auf einem Bürostuhl umher und dirigierte Band und Technik mithilfe eines Gehstocks aus der Theaterrequisite. Zur Trübung der Stimmung hat es anscheinend nicht beigetragen.

Als „eklektisch“ und „fun“ beschreiben Gijswijt und Kleffmann die EP. Bild: privat

Und auch andere Herausforderungen wurden elegant aus dem Weg gerollt: „Ein großes Dankeschön geht an das Gebäudemanagement der Uni Tübingen. Denn ein kleiner Nachteil am Theater ist, dass die Lüftungsanlage relativ laut ist.“, erzählt Gijswijt. „Die Hausmeister können das nicht abstellen, aber ich habe dann beim Gebäudemanagement angerufen und sie haben tatsächlich extra für uns über das Wochenende die Lüftung ausgemacht. Das war ganz toll, weil wir dann besser aufnehmen konnten.“

Eklektisch und Tanzbar

Die entstandene EP ist bereits auf sämtlichen Streaming-Diensten hörbar. Gijswijt beschreibt das fertige Werk der Transnationals als „eklektisch“ und „slow burner“, der sich erst bei wiederholtem Hinhören ganz entfaltet. Der erste Song Friday Night könnte auch Soundtrack des heutigen Tages werden – die Vorstellung gemeinsam live vor Publikum zu spielen, an einem elektrisierendem Freitagabend. Sie sind Support für Mrs G and the Soul Onions, eine Cover-Band in der Thomas ebenfalls spielt. „Friday Night, the room is filling fast“ ist auf jeden Fall eine Wahrheit in den Lyrics, denn schon vor Start des Konzerts ist im Cafe Haag kaum noch ein Platz zum Stehen. Doch zum Tanzen reicht er dann trotzdem noch irgendwie aus. 

Gijswijt und Kleffmann geben im Cafe Haag einen Vorgeschmack auf die EP. Bild: Hetty Hollatz

Nicht die ganze Band konnte an diesem Abend anwesend sein –  allerdings sei ein Konzert in voller Besetzung in Tübingen noch geplant, genauso wie eine weitere EP. Die Songs dafür sind bereits geschrieben. Und das nächste Aufnahme-Studio? Vielleicht dann eine Hütte im Schwarzwald. So bleibt die Brechtbau Theater Sessions etwas einzigartiges – Musik handmade im Brechtbau.

Beitragsbild: Hetty Hollatz

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