Manchmal kann eine Pandemie alles verändern und es bleibt nicht mehr viel an kultureller Inspiration übrig. Oder? Damit ihr gut durch den Advents-Lockdown kommt, stellen wir für euch in unserer Artikelreihe „Die Kupferblau-Schmöker-Ecke“ regelmäßig thematisch abgestimmte Empfehlungen für Bücher, Podcasts und Serien zusammen. Diese Woche stehen inspirierende Lebensentwürfe im Mittelpunkt.
Podcast der Woche: “Jokes”
„Wenn man schon Fleisch essen muss, so sollte man doch viel eher ein todtrauriges, als ein glückliches Huhn essen wollen, ja wieso kann es nicht einmal ein suizidaler Seelachs sein oder eine Borderline-Bordelaise mit Bindungsproblemen?“ Eine für uns witzige Satire aus dem Jahr 2012 auf die Tierhaltungspolitik. Warum nimmt Hazel Brugger bei der Konfrontation mit ihrem eigenen Zitat ihren Kopfhörer ab, um ihre Worte nicht hören zu müssen? Und wie landet man, wie Florentin Will, plötzlich in einer Frank-Elstner-Masterclass oder als Akteur in einer brandneuen Sendung neben Jan Böhmermann?
Wie ein lockeres Gespräch zwischen Kollegen wirkt der Podcast „Jokes“ von Comedian Till Reiners. Comedy ist für die Bühne gemacht, doch hier findet sie hinter ihr statt.
„Wie kommst du dorthin, wo du jetzt bist“, ist die grundlegende Frage, die sich durch jede Folge zieht. Anhand verschiedener Kategorien beleuchten Reiners und sein Gesprächsgast die Lebenswege und Werdegänge eines professionellen „Witzemachers“ aus ihrer Insider-Perspektive. Sie vergleichen und analysieren und gewähren den Hörer*innen kostbare Einblicke hinter ihre Kulissen. Egal, ob Komik-Newcomer wie Parshad Esmaeili oder alte Hasen wie Klaas Heufer-Umlauf und Oliver Welke – eine entspannte, offene und gleichzeitig für Kultur- und Comedy-Interessierte fesselnde Atmosphäre, charakterisiert jede Folge.
Von der Idee zum Witz
Strukturiert ist der Podcast durch Fragen wie: War Humor schon immer deine Stärke? Mit welchem Konzept gestaltest du deine Shows und wie bereitest du dich vor? Der Podcast zeigt dabei nicht nur, wie unterschiedlich die einzelnen Vorbereitungsweisen (Fließtext, Stichpunkte, Audios und Videos oder Open Mic) sind, sondern auch, wie sie sich im Laufe der Erfahrungswelt einzelner Künstler*innen verändern. So setzte Felix Lobrecht von Anfang an auf Schmierzettel mit Stichpunkten und spontanes Ausprobieren in Soloshow-Pausen, während Till Reiners sich lange Zeit alle Gedanken detailliert von der Seele schrieb. Seine Erkenntnis heute lautet jedoch:
„Wenn du einen Witz oder einen Gedanken zu einem Text machst, und dann liest du es dir nochmal im Kopf vor, und versuchst dabei nochmal, lustig zu sein, klingt es halt oft nach Text. Man produziert etwas Totes.“
Zur Ideenfindung heißt es kurz und überspitzt: Es gibt einen Gedanken, den man spannend findet, und der wird dann hochgerechnet. „Unser Programm ist eigentlich nur: Guck mal, ich hab ne Mindmap gemacht.“
Konfrontation ist Reiners mächtigstes Stilmittel. In seiner Rubrik „Die Geschichte hinter dem Witz“ stellt er beispielsweise seine Gäste mit Einspielern aus ihren eigenen Shows, bevorzugt solchen älteren Datums, gegenüber. Hier klärt sich auch, weshalb Hazel Brugger ihre alten Aufnahmen nicht anhören möchte. Für sie ist Comedy eine Reise, die man nicht zurück geht. Geschmack, Raffiniertheit und Können verbessern sich ständig. Heutzutage macht sie viele Sachen ganz anders und doch hat es diesen Weg und jede Erfahrung gebraucht. Der Prozess ist nie abgeschlossen.
Der Podcast, der inzwischen 21 Folgen umfasst, erscheint wöchentlich immer dienstags auf Spotify.
Buch der Woche: “Das Gute Leben für Alle“
„Das Gute Leben für Alle“ ist ein außergewöhnliches Buch. Zuerst einmal muss man es nicht kaufen, sondern es ist kostenfrei im Internet erhältlich (dasgutelebenfüralle.de). Außerdem wurde es nicht von einem Menschen geschrieben, sondern von einer Gruppe verschiedener Autor*innen in einer Schreibwerkstatt gemeinsam verfasst. Diese Autor*innen bezeichnen sich als ILA-Kollektiv, was für „Imperiale Lebensweise und solidarische Alternativen“ steht. Was hat es mit dem Buch und diesen unbekannten Begriffen auf sich?
Bedeutsam sind die Bezeichnungen der imperialen Lebensweise – unser jetziger Zustand – und der solidarischen Lebensweise – das Ziel, und gleichzeitig der Prozess, von dem das ILA-Kollektiv Teil sein will. Imperial bedeutet, dass ein Teil der Menschheit übermäßig auf einen anderen zugreift. Reiche Menschen im Globalen Norden beuten die Natur, die zukünftigen Generationen und Menschen im Globalen Süden, sowie benachteiligte Menschen im Globalen Norden aus.
Der Imperialist in uns
Die imperiale Lebensweise ist tief in den Strukturen unserer Gesellschaft, genau wie in unserem Denken, in unseren Normen und in unserer Kultur verankert. Das Buch räumt mit der individualistischen Perspektive, die weit verbreitet ist, auf. Im heutigen Diskurs wird immer zuerst die Frage gestellt: Was kann ich tun? Sollte ich nicht erst mal vor meiner eigenen Haustür kehren? Dabei ist die Vorstellung, dass man durch Konsumentscheidungen innerhalb eines Wirtschaftssystems, das von Grund auf auf Ausbeutung basiert, tatsächlich etwas bewegen kann, nicht sehr realistisch. Oder in den Worten des ILA-Kollektivs: „Es kann keine nachhaltigen Geschäftsmodelle in einer nicht nachhaltigen Volks- und Weltwirtschaft geben!“
Somit ist es in unserer heutigen Welt nicht möglich, gut und frei von Ausbeutung zu leben – es sollte aber möglich gemacht werden! „Das Gute Leben für Alle“ skizziert eine solidarische Lebensweise und beschäftigt sich mit Initiativen und Ideen, die es schon jetzt gibt. Es sieht die solidarische Lebensweise als ein Projekt, das Vorschläge macht, die überdacht und erweitert werden können. Als eine Bewegung, die ständig in Bewegung ist. Ein Ziel ist vielleicht am Horizont erkennbar, aber muss durch die Menschen und über die Zeit erst noch konkretisiert werden.
Von Commoning bis Suffizienz – mehr als nur leere Phrasen
Die Grundbedingungen werden klar aufgezeigt: Beispielsweise die Demokratisierung – mehr lokale Entscheidungen, die die entscheidenden Menschen selbst betreffen, werden auf der Basis von objektiven und wahrheitsgetreuen Informationen getroffen. Commoning bedeutet, dass man Güter gemeinschaftlich nutzt und pflegt, beispielsweise in Gemeinschaftsgärten. Ein anderes Grundprinzip der solidarischen Lebensweise ist die Suffizienz. Alle Menschen sollten genug haben. Menschen, die in Armut leben, müssen ihre Bedürfnisse befriedigen können. Sehr reiche Menschen müssen ihren Besitz und ihren ökologischen Fußabdruck verkleinern. Dependenz bedeutet, dass die Natur als Mitwelt wahrgenommen wird, von der die Menschen selbst ein Teil sind, anstatt als bloße Rohstoffquelle, die man nach Belieben nutzen kann. Alles schon mal gehört, oder? Ist „Das Gute Leben für Alle“ also doch kein so außergewöhnliches Buch? Vielleicht nicht. Der Inhalt ist nicht neu. Aber durch Vieles hebt es sich ab von Büchern, die ich bisher gelesen habe.
Die Sprache ist klar und für jede*n verständlich – genau wie der Inhalt, der durch konkrete Forderungen statt durch abstrakte Theorie überzeugt. Auch die Zusammenhänge, die hergestellt werden, sind klar. „Das Gute Leben für Alle“ hilft uns, unsere Welt, Wirtschaft und ihre Strukturen besser zu verstehen. Außerdem macht es Hoffnung! Und Hoffnung ist etwas, das unserer Generation fehlt.
„Wir sind überzeugt: Die solidarische Lebensweise ist möglich und machbar“
So schreibt das ILA-Kollektiv. Seit ich „Das Gute Leben für Alle“ gelesen habe, kann ich über mich selbst sagen, dass ich Hoffnung habe. Denn wenn wir, die Aktivist*innen keine Hoffnung haben, wer denn dann? Gesellschaftskritische Menschen, die dieses Buch lesen, wissen in Zukunft auch einen oder gleich mehrere gute Konter auf Aussagen wie: „Ihr meckert ja immer nur, aber Ideen, wie man es besser machen kann, habt ihr dann auch nicht.“
Meiner Meinung nach ein absolutes MUST READ für JEDEN Menschen. Da die Autor*innen das Buch jedem und jeder zugänglich machen wollen, ist es im Internet kostenfrei unter dasgutelebenfüralle.de erhältlich.
Dokumentation der Woche: “Ich bin Greta”
Nicht nur aus heutiger, von den Corona-Regeln geprägter Sicht erscheinen die Filmaufnahmen der Menschenmassen, die sich im Sommer 2019 versammeln, unglaublich. Unter dem Motto „Fridays For Future“ schlossen sich weltweit Millionen von Menschen der jungen Schwedin Greta Thunberg an. Sie brachte die Klimabewegung ein Jahr zuvor ins Rollen, indem sie freitags statt in der Schule vor dem schwedischen Parlament saß und von Politik und großen Konzernen mehr Einsatz beim Klimawandel forderte.
Der schwedische Regisseur Nathan Grossman hat Greta Thunberg ein Jahr lang begleitet und zeigt in seinem Dokumentarfilm „Ich bin Greta“ sowohl solche bekannten Momente, als auch persönliche Einblicke in das Leben der jungen Aktivistin, die in nur wenigen Monaten zur Symbolfigur der Klimabewegung geworden ist. Vom ersten Schulstreik an nimmt die Kamera auf, was für ein ausdauernder und engagierter Mensch Greta ist. Ihr Asperger-Syndrom spielt dabei eine prominente Rolle: Greta geht mit ihrer Diagnose offen um und sieht sie sogar als Grund für ihren Tatendrang.
„Es sollte sich nicht alles um mich drehen. Das ist ja gerade das Gute, dass jeder etwas beiträgt!“
– Greta Thunberg
Auch wenn sich der Film auf den ersten Blick vor allem um ihr Leben dreht und viel auf sie als Mensch und weniger auf die Klimabewegung eingeht, nutzt Greta den Film geschickt als Plattform und dringt mit ihren Worten immer wieder zum Publikum durch. Sie will keinen Personenkult um sich schaffen, denn das lenkt ja gerade von der eigentlichen Sache ab, für die sich Greta so stark engagiert.
Die Sagengestalt Thunberg
Der Dokumentarfilm spielt mit Symbolismen. Da ist zum Beispiel die Überquerung des Atlantiks auf dem Weg zur UN-Klimakonferenz: Das Segelboot kommt gegen den reißenden Ozean kaum an, wirkt fast zerbrechlich, erreicht letzten Endes aber doch sicher das Ziel. Genauso standhaft bleibt Greta, wenn in den Medien über ihre Person hergezogen wird, auch wenn ihr der ganze Wirbel um sie herum sichtlich unangenehm ist. An anderer Stelle hält Greta dann – der Sagengestalt Kassandra gleichend – eine Rede vor dem EU-Parlament. Doch ähnlich wie auch in der antiken Erzählung scheint keiner der anwesenden Politiker ihr Aufmerksamkeit schenken zu wollen.
Wie frustrierend das für sie ist, wird spürbar. Allerdings fasst sie immer wieder neuen Mut. Sie gibt nicht auf, selbst wenn ihr des Öfteren ihre eigenen Grenzen deutlich werden. Der Film bringt dies auf bewegende Weise nahe.
„Mir ist Beliebtheit egal, mich kümmert Klimagerechtigkeit.“
– Gretas Haltung zur Sache
Nach einem Jahr Pause geht Greta Thunberg mittlerweile wieder zur Schule. Durch die Pandemie ist es etwas still um die Klimakrise geworden und viele befürchten, dass das Momentum vom letzten Jahr eventuell schon verloren ist. „Ich bin Greta“ ist daher sowohl ein aktueller Appell, die Bedrohung des Klimawandels nicht außer Acht zu lassen, als auch eine Hommage an eine inspirierende und mutige junge Frau, die vermutlich weiterhin einen wichtigen Beitrag in der öffentlichen Klimadebatte leisten wird. Wir bleiben gespannt!
„Ich bin Greta“ ist kostenlos in der ARD-Mediathek zu sehen.
Podcast-Empfehlung: Katharina Steffen
Buch-Empfehlung: Hannah Burckhardt
Doku-Empfehlung: Charlotte Joha