Mehrere Menschen besetzen das Wohnhaus in der Sigwartstraße 11. Das zuständige Amt hält die Besetzung für nicht duldbar, die Besetzer*innen richten derweil ein öffentliches Café in dem Haus ein. Was passiert in der „Siggi 11“?
Der Kampf um das Haus, das versteckt in einem wuchernden Garten neben dem Kupferbau steht, findet wortwörtlich auf zwei Ebenen statt: Im ersten Stock fechten die derzeitigen Bewohner*innen ihre Kündigungen an. Die oberen Stockwerke sind seit Sonntag besetzt. Hier leben die Besetzer*innen, außerdem ist der dritte Stock als Café und Coworking-Space öffentlich zugängig.
Das zuständige Amt spricht von einem Zustand, den man nicht dulden könne. „Wir hoffen aber, dass die Situation friedlich gelöst werden kann“, teilte Marcus Wandel, der Leiter des Amtes Vermögen und Bau Baden-Württemberg in Tübingen (VBA) mit. Das Haus in der Sigwartstraße 11 gehört dem Land Baden-Württemberg und wird deshalb von dem VBA verwaltet.
Warum sind die beiden oberen Stockwerke besetzt?
Julian Petruck wohnt seit 2021 in der WG im ersten Stock der Sigwartsraße 11. Er studiert Machine Learning und Philosophie im Master in Tübingen. Als letztes Jahr die Mietverträge der Bewohnenden im zweiten Stock nicht verlängert wurden und keine Nachmieter*innen einzogen, wurde der Leerstand zum Thema in der WG. So gründeten Julian und seinen Mitbewohnerinnen Canay und Esther zusammen mit Freund*innen die Projektgruppe „Siggi11“. Ende August wurde die Gruppe zu einem offiziellen Verein.
Die Projektgruppe fordert, dass das VBA das Haus in Selbstverwaltung an den Verein abgibt, damit dieser es kaufen kann. Alternativ käme für die Bewohner*innen auch infrage, das Gebäude über einen längeren Zeitraum zu pachten. Julian fordert: „Nehmt uns ernst.“
Gegenüber den Bewohner*innen der WG habe das Amt immer nur signalisiert, dass an einem Verkauf an den Verein kein Interesse bestünde, meinte Julian. Mehr Informationen bekamen die Bewohner*innen nach eigenen Angaben nicht. Die mangelnde Gesprächsbereitschaft seitens des VBA empfand die Projektgruppe als “echt unbefriedigend”, meint Julian.
Mit der Besetzung änderte sich dies schlagartig. Bereits Montagabend erhielten die Bewohner*innen des ersten Stocks unerwartet Besuch von Wandel. Ein erstes Gespräch verlief „recht freundlich“, so Julian. Über genaue Pläne sei aber auch hier nicht gesprochen worden. Auf Anfrage der Kupferblau versicherte das Amt, man wolle auf dem Grundstück wieder Wohnraum schaffen. Die Planungen dafür seien auch bereits angelaufen. Doch welche Art von Wohnraum entstehen soll und wie viele Menschen dann in dem Haus unterkommen können, ist demnach noch unklar.
Studieren, arbeiten, den Verein gründen, Veranstaltungen organisieren, um Geld zu sammeln – das sei viel auf einmal. Julians Mitbewohnerin Canay hat diesen Sommer ihre Doktorarbeit abgegeben. „Wir sind über die letzten Monate an unsere Grenzen gestoßen“, sagte Julian. Ohne Freund*innen hätten sie das nicht geschafft, meinte er. Die WG solidarisiere sich mit der Besetzung. Momente der Überforderung im letzten Jahr habe es auf jeden Fall gegeben, so der Bewohner. Trotzdem sind die Bewohner*innen positiv gestimmt: „Wir glauben alle an unser Projekt und dass wir geeignet sind, um das zu verwalten.“ Die Besetzung unterstütze die Bewohner*innen enorm.
Wie sieht die Besetzung aus?
Die Besetzung soll auf die „momentane Situation auf dem Wohnungsmarkt aufmerksam machen“, heißt es in der Mitteilung der Besetzer*innen. Sie kritisieren etwa die rasant steigenden Mietpreise und den Leerstand in Tübingen und fordern die vorrangige Förderung von Gemeinwohl-Akteuren in der Mietwohnraumförderung oder die Aufstockung des Fördertopfes für sozialen Wohnungsbau.
Im zweiten Stock des Gebäudes liegen Matratzen und Isomatten und es wird Kaffee gekocht. In der ersten Nacht haben etwa 15 Menschen in der „Siggi11“ geschlafen, in der zweiten Nacht seien es etwa acht gewesen, schätzte ein Besetzer, der anonym bleiben möchte. „Leerstand sollte genutzt werden, als Wohnraum oder öffentlicher Raum“, fordert der Tübinger Lehramtsstudent. Ebenfalls im zweiten Stock besprechen sich die Besetzer*innen: auf einem Whiteboard steht ein Schichtplan für das Café im dritten Stock. Dort gibt es zu den Öffnungszeiten Kaffee und Kuchen, die Räumlichkeiten können auch als Co-Working Space genutzt werden.
Die Besetzer*innen hoffen, dass es zu keiner Räumung kommt und halten diesen Fall für unwahrscheinlich. Für sie ist aber auch klar: „Wir werden uns nicht freiwillig herausbewegen.“
Das Haus in der Sigwartstraße 11
Am Sonntagnachmittag kamen etwa 50 Menschen unter dem Vorwand eines „Abschiedskaffees“ im Garten der „Siggi 11“ zusammen. Dann ging alles ganz schnell: Vermummte hissten Banner und erklärten die beiden oberen Stockwerke als besetzt.
Das Haus in der Sigwartstraße 11 wurde 1886 erbaut und 1981 durch das Land Baden-Württemberg gekauft. Seitdem wurden die insgesamt zwölf Zimmer mit ein-Jahres-Verträgen an Studierende vermietet. Seit 2022 stehen die vier Zimmer im dritten Stock leer, seit 2023 die vier Zimmer im zweiten Stock. Die Mietverträge wurden nicht verlängert. Dasselbe Schicksal drohte auch den verbleibenden vier Zimmern im ersten Stock, die Mietverträge dafür sollten Ende September auslaufen.
Auf ihrem Instagram-Account teilen die Besetzer*innen Bilder aus dem Inneren des Hauses.
Beitragsbild: Inga Lenßen
Don´t move fight back wurde gestern Wörtlich genommen und in die Tat umgesetzt deshalb wurde durch die Bewegung 15.02. eine Entglasungsaktion durchgeführt