Kultur

„Sex-Workers – Das ganz normale Leben“: Ein Ausstellungsbesuch

Sensibilisieren, normalisieren, entstigmatisieren – das sind die Ziele der Wanderausstellung „Sex Workers – Das ganz normale Leben“ der mobilen Beratungsstelle Magdalena für Sexarbeiter*innen der Arbeiterwohlfahrt (AWO), die vom 30.04. bis zum 03.05. im Reutlinger Kulturzentrum franz.K gezeigt wurde. 

Eine Ausstellung zum Thema Sexwork? Diese ist mir bei der Recherche nach anstehenden Veranstaltungen im Kulturzentrum franz.K ins Auge gestochen. Sonst wird das Thema oft als unkonventionell angesehen und tabuisiert. Wie wird es wohl in dieser Ausstellung verhandelt? Um das herauszufinden, habe ich am 1. Mai im ehemaligen französischen Kino vorbeigeschaut.  

Die Ausstellung befindet sich, auf zwei Räume verteilt, im Obergeschoss. Ein Banner führt in die Thematik ein. An den Wänden hängen vierundzwanzig großformatige Fotos von zwölf Sexarbeiter*innen. Pro Person gibt es also immer zwei Bilder: Eins zeigt sie bei der Arbeit, zum Beispiel nackt auf einem Bett, beim Poledance, mit Sextoys oder in Spitzenunterwäsche. Das andere gibt wiederum Einblick in ihren privaten Alltag, indem es sie mit dem Haustier, in der Küche, beim Sport oder beim Einkaufen dokumentiert. Begleitet werden die Fotos von jeweils einem persönlichen Zitat. 

An den Wänden sind die Bilder und Zitate der Sexarbeiter:innen aus dem Bildband des Fotografen Tim Oehler angebracht. Foto: Laura Pastal. 

Die Inhalte stammen aus einem Bildband des Hamburger Fotografen Tim Oehler. Er hat im Herbst 2020 den Berufsverband erotische & sexuelle Dienstleistungen e. V. (BesD) mit der Intention kontaktiert, den Arbeits- und Privatkontext der Sexarbeiter*innen fotografisch zu begleiten. Seine Anfrage ist auf großes Interesse gestoßen, insgesamt werden dreißig Sexarbeiter:innen im Bildband portraitiert. 

Herangehensweise und Ziele der Ausstellung

Primäres Ziel ist es, wie der Titel bereits andeutet, das Thema Sexarbeit zu normalisieren und zu entstigmatisieren. Die selbstbestimmte Tätigkeit soll, wie andere auch, als Beruf angesehen werden – ohne wertende, negative Konnotationen. Lenia, eine der in der Ausstellung gezeigten Sexarbeiter*innen, sagt dazu:Genau wie eine Köchin es zu ihrem Job gemacht hat, anderen das Bedürfnis nach Nahrung zu erfüllen, sehe ich meinen Job darin, Geborgenheit und Nähe zu geben. Der Unterschied ist, dass die Köchin ihr Essen weggeben muss, während ich noch ein großes Stück vom Kuchen abbekomme. Ich möchte nicht in einer Welt leben, in der Frauen sich verstecken müssen, die mit sich und ihrem Körper genau das machen, was sie wollen.“

Außerdem kritisiert die Ausstellung, dass im öffentlichen Diskurs zwar viel über Sexarbeiter*innen, aber wenig mit ihnen gesprochen wird. Sie möchte der Bevormundung entgegenwirken, indem sie ihnen ein Gesicht und eine Stimme gibt. Dazu sagt die Sexarbeiterin Vanessa: „Wir alle verdienen es, dass man uns zuhört und unsere Perspektiven ernst nimmt. Wer in unserer Gesellschaft gehört wird, das ist nicht zufällig. Es gibt Strukturen, die einige Positionen sichtbarer machen als andere.“ Auch unter den Sexarbeitenden gäbe es Unterschiede bezüglich ihrer Macht, ihres Spielraumes und ihres politischen Organisationsgrades. Nach Vanessa werde Sozialarbeiter*innen oft eine größere Expertise zugesprochen als den Betroffenen selbst. So entstehe ein fremdbestimmtes Bild von Sexarbeitenden in der Öffentlichkeit.

Deshalb ist es für viele Sexarbeiter*innen zentral, mehr Sichtbarkeit zu erlangen, um ihre eigene Perspektive zu schildern und von der Gesellschaft und der Politik wahrgenommen und anerkannt zu werden. Aus diesem Grund haben sich viele Personen dazu bereit erklärt, am Bildband von Tim Oehler mitzuwirken und in der Ausstellung gezeigt zu werden. Die Offenheit der Teilnehmer*innen ist allerdings keineswegs eine Selbstverständlichkeit, sondern erfordert viel Mut und Vertrauen. Noch immer kursieren viele Stereotype und es könnte für die Abgebildeten sowohl privat als auch beruflich negative Auswirkungen haben, wenn sie wiedererkannt werden. In diesem Zwiespalt befindet sich auch Fenja, die dem Fotografen nach langer Abwägung folgendes mitteilt: „Ich fürchte, ich fühle mich nicht wohl genug damit, das volle Gesicht in einem Buch zu zeigen. Ich finde es zwar wichtig, dass das Stigma aufgelöst wird, aber unsere Gesellschaft ist leider noch lange nicht so weit. Wenn mein Gesicht in einem Buch abgedruckt ist, ist es dort für immer, und selbst wenn ich irgendwann mit Escort aufhöre, könnte es immer jemand finden und ansehen. Im Moment wäre das nicht so schlimm, aber ich weiß nicht, wie meine Karriere in fünf bis zehn Jahren aussieht, und möchte mir nichts „verbauen“. Es ist wirklich traurig, dass solche Überlegungen überhaupt notwendig sind, aber leider ist es noch so. “ 

Es wird zudem deutlich, wie heterogen und divers die Gruppe der Sexarbeiter*innen ist. Sie unterscheiden sich in ihrer Motivation, ihrem Geschlecht, ihrer sexuellen Orientierung, ihrer Herkunft und ihrer Lebenssituation. Ihnen sind jedoch zwei Dinge gemeinsam: die gezeigten Sexarbeiter*innen gehören laut Tim Oehler zu den privilegierteren, da sie im Gegensatz zu anderen Sexarbeitenden mit existentielleren Nöten entscheiden können, ob sie an der Fotoausstellung teilnehmen. Und sie gehen ihrer Arbeit freiwillig nach. 

Plakate in der Ausstellung. Foto: Laura Pastal.

Die essentielle Unterscheidung zwischen Sexarbeit und Menschenhandel

Es ist wichtig, zwischen Sexarbeit und Menschenhandel zu differenzieren, da diese zwei völlig unterschiedliche Bereiche darstellen. Laut dem Sexarbeiter Alexander resultiert Menschenhandel aus „Beschaffungskriminalität, Armut, Herkunftsstatus sowie ethnischer Zugehörigkeit und geschlechtlicher Stigmatisierung. Diese menschenverachtende Form der Prostitution – die vor allem Frauen und Mädchen in einer dominierenden, systemisch-privilegierten weißen Gesellschaft, keine anderen Zugänge gewährt – wird in aller Regel von Männern bestimmt, die jene gesellschaftlichen Privilegien selbstverständlich per Geburtsrecht erworben oder sich durch kriminelles Verhalten angeeignet haben und die nun diese Frauen für ihre Zwecke ausbeuten und ausnutzen. Das ist kein Sex-Work, das ist moderne sexuelle Sklaverei.“ Im Kontrast dazu beschreibt er Sexarbeit folgendermaßen: „Ich rede hier von Sex-Work als Dienstleistung, als Beruf und Berufung. Ich rede von der individuellen und selbstbestimmten Freiheit zu entscheiden, mit was und wie ich mein Geld verdienen möchte und verdiene.“ 

Ähnlich wie Alexander mögen viele der gezeigten Sexarbeiter*innen ihren Beruf sehr gerne oder sehen ihn sogar als Berufung an. So sagt Fifi: „Ich möchte zeigen, dass wir ermächtigte sexuelle „Subjekte“ sein können, nicht nur sexuelle „Objekte“. Dass es eine wilde Freiheit gibt, Nacktsein und Bewegung ohne Scham zu verkörpern, und dass wir dadurch unsere Macht in Sex und Sinnlichkeit zurückgewinnen können. Ich fühle, dass Tanz eine Form von „Sema“ ist – eine aktive Meditation und ein Weg, sich mit mir selbst, anderen und der Welt zu verbinden.“ Mia Rose mag vor allem „die Freiheit zu reisen und zu arbeiten, an so vielen Orten. Weltweit. Mein Hurenpass macht vieles möglich. Auch registriert zu sein.“ Sie betont jedoch auch die Gleichzeitigkeit der Annehmlichkeiten und Schattenseiten des Berufs: „Begehrt zu werden und verbale Gewalt am Telefon. Freiheit der Gefahr. Wir unterstützen uns: Covern nennt sich das. Trotzdem. Ich hatte bisher Glück. Transsein provoziert zusätzlich“. 

Die Ausstellung betont auch das erhöhte Risiko für physische, psychische und sexualisierte Gewalt und Ausbeutung, gesundheitliche Risiken, fehlende soziale Sicherung und die Stigmatisierung in der Gesellschaft. 

Reaktionen auf die Ausstellung

Zu den Öffnungszeiten sind auch Vertreterinnen der Aidshilfe Tübingen-Reutlingen und der Beratungsstelle PROUT für Menschen in der Sexarbeit und Prostitution im franz.K, um Fragen zu beantworten. Riccarda Freitag von der Beratungsstelle PROUT erzählt, wie das Angebot in Reutlingen aufgenommen wurde. Zur Vernissage seien circa siebzig bis einhundert Leute gekommen, am Folgetag ungefähr dreißig. Sie war positiv überrascht, wie durchmischt das Alter der Besucher*innen war. Auch eine Gruppe an Studierenden sei gekommen, um sich die Ausstellung anzusehen. Die Reaktionen seien positiv ausgefallen und die Exposition sei Ausgangspunkt für weitere schöne und interessante Gespräche gewesen. Es wurde gelobt, dass das Thema differenziert beleuchtet und nicht glorifiziert worden sei.  

Insgesamt sorgt die Ausstellung für einen differenzierteren Blick auf das Thema Sexarbeit und macht es durch persönliche Einblicke in den Alltag sowie in die Gedanken und Erfahrungen der Sexarbeiter*innen nahbarer. Es geht eben nicht um das abstrakte Thema, sondern um die Menschen dahinter, welche ansonsten zu selten zu Wort kommen. So regt die Exposition dazu an, sich mit ihren Inhalten zu beschäftigen, den eigenen Standpunkt zu hinterfragen und Scham und Vorurteile abzulegen. Dadurch, dass es sich um eine Wanderausstellung handelt, die an gemeinnützige Vereine und Kommunen geliehen wird, kann sie viele verschiedene Menschen erreichen. 

Beitragsbild: Laura Pastal

 

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