In unserem Printmagazin berichten wir ausführlich über Machtmissbrauch an der Universität Tübingen. Das ganze Gespräch mit Professor Paul Bons.
Kupferblau: Welches Problem haben Hochschulen, dass Machtmissbrauch so leicht möglich ist?
Bons: Für den Machtmissbrauch an Hochschulen sind eine Reihe von Faktoren verantwortlich, denn Machtmissbrauch ist ein allgemeines Problem in der Wissenschaft. Das passiert in Australien, in den USA und auch in Deutschland, eben überall.
Ich denke ein erstes Problem ist der Wissenschaftsbetrieb selbst. Um in der Wissenschaft erfolgreich zu sein, um Arbeitsgruppenleiter oder Professor zu werden, muss man schon Selbstvertrauen haben, denn man muss sich vor einen Saal stellen und sagen können: „Ey, meine Theorie ist besser als eure.“ Das führt dann oft zu zu viel Selbstvertrauen. Also Selbstüberschätzung spielt eine Rolle, denn Leute, die sich selber überschätzen, kommen viel besser an Forschungsgelder als diejenigen, die bescheiden sind.
Wenn man sich als Wissenschaftler fragt, ob das Projekt wirklich so wichtig ist, dass der Steuerzahler dafür zwei Millionen ausgeben muss, kommt man nicht weit. Das führt ein bisschen dazu, dass diese Führungskräfte und erfolgreichen Wissenschaftler – natürlich nicht jeder, aber manche – die Neigung in Richtung eines Narzissten entwickeln. Hinzu kommt der Druck, der immer wächst, zu performen. Professoren werden auch immer mehr unter Druck gesetzt. Sie müssen immer mehr Drittmittelprojekte einholen oder immer mehr publizieren und so weiter und so weiter. Dazu kommt das Gefühl, mir steht das zu und ich muss das tun. Daraus kann man dann die Mitarbeiter unter Zwang setzen, um diese Sachen zu tun, vor allem wenn man den Charakterzug dazu hat. Das passiert in den USA genauso wie Australien als auch Deutschland.
In Deutschland ist das deutsche System besonders ein Problem, denn wir haben hier „kleine Königreiche“. Diese heißen Arbeitsgruppen (AG) und haben eine Chefin oder einen Chef und diese Personen sind eigentlich übermächtig. Wenn man in einer solchen AG drin ist, als Hiwi, als Doktorand, als Post-Doc, ist man völlig abhängig von dieser einen Person, dem Professor. Gegenseitig gibt es wenig Kontrolle zwischen den einzelnen AGs, denn man mischt sich nicht ein bei den Kollegen, das tut man einfach nicht unter Kollegen. So haben die Professoren eine ziemliche Narrenfreiheit.
Natürlich ist das bei den meisten auch kein Problem. Sie sind verantwortungsvoll und versuchen wirklich ihr Bestes zu geben, um alles richtig zu machen. Trotz des Drucks von außen, vom Rektorat und von der Lehre, versuchen sie die Studis zu fördern. Aber nicht alle schaffen das und das muss man einfach anerkennen, dass das so ist. Deswegen braucht es Sicherheitsmaßnahmen. Hier gibt es Sicherheitsbeauftrage für Brand, Chemikalien und Strahlenschutz. Das ist alles präventiv und so brauchen wir eine viel größere Abteilung, die sich um Depressionen und um Machtmissbrauch kümmert. Das gehört zur Arbeitssicherheit genauso wie es die Brandsicherheit gibt. Machtmissbrauch wird dadurch natürlich nicht verschwinden, genauso wie es hier auch mal zu Unfällen kommt, aber wir brauchen vor allem Prävention.
Wie blicken Sie auf das „Sicherheitskonzept“ der Universität Tübingen; reicht das aus?
Ich finde nicht. Ich habe schon in Gesprächen mit der Uni angesprochen, dass meines Erachtens hier zu wenig getan wird. Ich habe damit leider schlechte Erfahrungen gemacht; wenn ich auf die Fälle schaue, wo es Probleme gab und Studierende unter anderem mich angesprochen haben und bei mir Hilfe gesucht haben. Da habe ich gesehen, dass das nicht gut geregelt ist, an der Uni. Ich würde sagen, die Uni tut, als ob, aber effektiv ist man als Beschwerdeführender ziemlich verloren.
Das fängt schon damit an, dass meist überhaupt nicht klar ist für die Betroffenen, wo sie hingehen müssen. Das können Sie selbst mal versuchen. Nehmen wir an Sie sind jetzt in Panik, weil da was passiert ist, und Sie gehen auf die Webseite, da finden Sie nicht viel. Und was dann folgt, das habe ich ein paar Mal beobachtet und es ist ziemlich unangenehm und frustrierend. Denn bei einer Beschwerde kann sehr lange dauern, bis man irgendwelche Ergebnisse erzielt. Das ist für die Betroffenen eine große Belastung. Dafür hat die Uni nicht die richtigen Strukturen und die, die es gibt sind nur darauf ausgelegt, dass es bereits schiefgegangen ist.
Also präventiv wird sehr wenig getan. Es gibt zwar einige Kurse für Management, aber in der Praxis gehen nur die Leute dahin, die es nicht brauchen. Aber man weiß auch, dass solche Maßnahmen nicht so effektiv sind. Man bräuchte viel mehr Intervention, durch regelmäßige Gespräche und Offenheit, so dass es nicht diese isolierten Blasen gibt. Es gibt zwar eine nominale Zweitbetreuerin oder Betreuer, aber diese stehen oft nur auf Papier. Das ist ein offenes Geheimnis. Man sollte viel mehr zusammen mit Kollegen in einem breiten Team arbeiten und die Studierenden betreuen. Das wäre ein Weg, um Probleme zu vermeiden. Außerdem wäre es auch gut, wenn von außen jemand kommt, mit den Arbeitsgruppen redet und fragt, ob es allen gut gehe. So könnte man die Dinge direkt lösen und würde nicht warten, bis ein Problem da ist.
Wie sollten die Kontrollstrukturen aus Ihrer Sicht idealerweise aussehen?
Ich würde diese für Deutschland sehr typische Struktur von den Arbeitsgruppen mit einem Leiter durchbrechen. Stattdessen sollte es Professoren-Teams geben, die zusammen in einem Themenfeld arbeiten und mit fünf, sechs, oder sieben Leuten zusammen Doktoranden haben. Außerdem sollte die Leistung zur Mittelverteilung nicht nur auf meine Person als Arbeitsgruppenleiter reduziert werden. Es gibt damit eigentlich keinen Grund zum zusammenzuarbeiten, es geht immer um mich. Deshalb sollten auch die Mittel einer Gruppe zugewiesen werden. Dadurch ist dann nicht eine Person übermächtig. Denn Angst, den Job zu verlieren, keine Doktorandenstelle oder ein schlechtes Arbeitszeugnis zu erhalten spielt immer eine Rolle bei den Betroffenen. Und dann sagen viele Betroffenen lieber nichts. Deshalb braucht es vor allem die Verteilung von Verantwortung.
Wenn die universitären Kontrollmechanismen versagen, warum gehen Betroffene nicht zur Polizei?
Das Problem ist, dass es eine ganz große Grauzone gibt, wo wir andere Maßstäbe als nur das Strafrecht haben. Zum Beispiel kommt eine schlechte Betreuung nicht im Strafrecht vor. Auch Mobbing ist oft ein Grenzfall. Also es gibt ganz viel, was eigentlich unzulässig ist, was Karrieren kaputt machen kann und vor allem Leute in eine Depression oder Angststörungen bringt. Dadurch verschwinden letztlich die Leute, weil sie mental krank sind, was gar nicht so selten vorkommt. Und weil in der Tat ganz viel Dinge passieren, die noch nicht direkt strafrechtlich relevant, aber unzulässig im Betrieb sind.
Wir haben eigentlich die Verantwortung, den Nachwuchs korrekt zu fördern und natürlich auch Lehre und Forschung korrekt zu tun. Also nicht zu schummeln. Eine wissenschaftliche Fälschung ist aber meistens noch nicht direkt strafbar; nur wenn das dazu führt, dass man Mittel zu Unrecht verwendet hat, wird es strafbar, soweit ich weiß. Es ist aber traurig, wenn es so weit kommt, dass man zur Polizei geht. Viel ist einfach im Graubereich.
Sie hatten vorhin angesprochen, dass auch Personen zu Ihnen gekommen sind, die Sorgen und Probleme hatten. Kennen Sie denn Fälle, wo es auch Konsequenzen gab?
Das darf man eigentlich gar nicht wissen. Das glaubt zumindest die Uni. Eines der großen Probleme in dieser Sache ist diese Vertraulichkeit. Also wenn sich jemand beschwert, wird das nicht offen diskutiert, sondern es muss erstmal vertraulich sein. Zum Schutz der Beschuldigten aber auch von den Beschwerdeführern. Für diese muss sowieso zunächst die Unschuldsvermutung gelten und deshalb ist zunächst alles vertraulich. Meistens haben die Beschwerdeführer auch keine Ahnung, was eigentlich passiert. Die Gegendarstellung des Beschuldigten wird dann auch dem Beschwerdeführer nicht automatisch mitgeteilt, während die Vorwürfe dem Beschuldigten immer vorgelegt werden.
So, und dann gibt es noch das Beamtenrecht, denn die meisten Führungskräfte sind Beamte und die meisten Fälle von Machtmissbrauch werden von Beamtinnen und Beamten begangen, weil man Macht haben muss, um sie missbrauchen zu können. So und jetzt ist auch wieder ein typisch deutsches Problem, das es hier absolut viele Sonderregeln gibt.
Ich finde, es ist unzulässig, dass wenn die Uni angedeutet hat, die Klage der Anschuldigung sei gerecht, der Kollege einfach normal weiterarbeiten kann, als ob nichts los ist. Und wenn es nicht zu strafrechtliche Sachen kommt, aber ein Disziplinmaßnahme gibt, darf die Uni darüber gar nichts sagen. Das Einzige, was einem dann versichert wird, ist, dass es empfindliche Maßnahmen gibt. Das kann vieles sein: Kein Keks mehr bei der Kaffeerunde oder eine Gehaltskürzung. Genau das ist sehr frustrierend für die Leute, die sich beschwert haben, wenn sie nur das Gefühl haben, das bringt eh nichts. Viele denken dann, dass sie sich letztlich nur selber schaden, wenn sie sich beschweren, weil danach können sie meist ihr Studium oder eine Promotion vergessen. Viele gehen dann von der Uni Tübingen weg und das ist sehr traurig.
Was war Ihre persönliche Motivation, den Brief zu unterschreiben?
Naja, vor allem meine Erfahrung. Und wie ich schon angedeutet habe, das Gefühl, dass es viel häufiger passiert als man denkt. Wenn gegen Machtmissbrauch nichts getan wird, dann macht das die Betroffenen krank. Ja, Machtmissbrauch kann krank machen. Er kann die Ursache für ein Depression oder ein Alkoholproblem sein. Das kann dann wiederum zu einem Karriereabbruch führen. Wenn man das mal durchrechnet, dann kostet das das Opfer gigantisch viel Geld, wenn die 40 Jahre Karriere im Eimer sind. Also ist das ein wichtiges Problem.
Ich kann mal kurz erzählen, wie ich in das Thema reingerutscht bin. Vor inzwischen schon 15 Jahren bin ich meiner derzeit Frau in Tübingen begegnet. Sie studierte hier, wir haben uns aber nicht wegen der Uni getroffen, sondern beim Fußball. Sie hatte bereits zuvor eine andere Karriere gehabt und sich dann entschieden zu studieren. Sie war im vierten Semester und auf einmal traf ich sozusagen mit Viertsemestern auf Studiparties zusammen und war dann erstmal der Freund, dann der Verlobte und dann der Mann.
Ich habe sozusagen ihre ganze Karriere beobachten können. Und weil ich der Freund war, habe ich ganz andere Themen von den Studierenden mitgekriegt. Bei manchen Sachen war ich wirklich baff, weil ich das selber gar nicht wusste. Als ich dann erzählt habe, dass ich Prof bin und ich vielleicht helfen könne, weil ich eine direktere Verbindung zum Rektor habe und auch in Gremien sitze war die Antwort immer: „Nein, nein, nein. Danke aber lieber nichts tun“, weil viele, wie gesagt, immer Angst vor Konsequenzen hatten. So habe ich durch die komische Situation als Boyfriend viel gehört.
Haben Sie das Gefühl, das sich durch den offenen Brief etwas verändert hat?
Nein, nicht direkt, aber ich denke es ist ein Symptom, das es etwas in den Medien kommt und die Realisierung, dass wir hier ein Problem haben. Mit einem Stein baut man noch keinen Deich, aber wenn man genügend Steinchen hat, dann kann man einen Damm bauen. Das dauert ein bisschen, aber es kommt vielleicht langsam Bewegung in die Sache. Ich habe aber noch nichts gemerkt von den Effekten.
Im Ausland ist man schon viel weiter, zum Beispiel in den Niederlanden. Da ist zwar auch nicht alles gut, aber es wird viel offener diskutiert. Es steht viel mehr in den Zeitungen und da werden auch viel mehr Maßnahmen getroffen. In Deutschland habe ich das Gefühl, das fängt gerade erst so langsam an. Trotzdem merkt man über die Jahre, dass es etwas Fortschritt gibt und es ein größeres Bewusstsein, dass Belästigung und Diskriminierung auch an der Uni stattfinden und dass das nicht tolerierbar ist, wird wenigstens mal gesagt.
Aber es gibt auch Verpflichtungen, Sachen zu tun, vom Ministerium in Stuttgart und von Ombudspersonen. Daneben gibt es dann diese Universität, die sich meiner Meinung nach eher zurückhaltend verhält. Sie könnte auch einfach vorauslaufen oder einfach reagieren, wenn das Ministerium sagt, es muss eine Ombudsperson für dies oder jenes geben und das einfach machen. Gleichzeitig kommt auch etwas durch die Exzellenzinitiative, weil da wird schon geschaut, ob wir Maßnahmen implementiert haben, um solche Probleme anzugehen. Das bedeutet, dass die Uni an Dokumenten arbeitet, aber leider ist die Motivation falsch. Eigentlich sollte die Universität das von sich aus machen und nicht weil wir es müssen. Aber wenigstens passiert etwas.
Beitragsbild: Janne Geyer