Die Lüge der gestohlenen Wahl in den USA, die Behauptung, die BRD sei eine GmbH und von russischen Oligarchen gesponserte europäische Journalist*innen – Verschwörungstheorien und die Verbreitung von Falschinformation stellen weltweit eine Bedrohung für Demokratien dar. Welche Rolle die Wissenschaft bei der Auflösung solcher Lügen spielen kann und vielleicht sogar muss, wurde am Mittwoch im Weltethos-Institut besprochen.
Die Podiumsdiskussion über das Auftreten von Forschenden in der Öffentlichkeit am vergangenen Mittwochabend moderierte Christopher Gohl vom Weltethos-Institut. Dabei unterhielt er sich mit der Datenjournalistin Elena Riedlinger, dem Tübinger Professor für Amerikanistik, Dr. Michael Butter sowie dem Leiter des Tübinger Instituts für Osteuropäische Geschichte und Landeskunde, Klaus Gestwa.
Verschwörungstheorien = wahrheitsresistent?
Es sei gar nicht so einfach, Verschwörungstheorien umzuwerfen, erklärte Professor Michael Butter, der schon seit 2012 dazu forscht. Deren Vertreter*innen erklärten gesellschaftliche Prozesse nie über reinen Zufall, sondern führten alles auf Komplotte zurück. Nichts sei so, wie es scheine. Gerade, weil solche Erklärungen in sich logische Konstrukte sind und Verschwörungstheoretiker*innen diese auch mit starker Meinung vertreten, sei es selbst für Außenstehende schwer, diese Menschen von der Unwahrheit ihrer Weltsicht zu überzeugen. Der Amerikanist sieht deshalb das Potential der Wissenschaftskommunikation in der Prävention des Verschwörungsglauben bei Menschen, die noch nicht total überzeugt seien.
Wissen verpflichtet
Klaus Gestwa erlebte seit dem Beginn des russischen Angriffskrieges seinen eigenen, wie er ihn nannte, „Virologen-Moment“, weil er als Osteuropahistoriker mit medialen Anfragen überflutet wurde. Seitdem informiert er in Fernsehinterviews, Podcasts und eigenen Videos in Kooperation mit der Hochschulkommunikation der Uni Tübingen die breite, nicht unbedingt akademische, Gesellschaft. Dabei verliefen die Grenzen zwischen seiner öffentlichen Aufklärungsarbeit und Aktivismus oft fließend, so der Leiter des Instituts für Osteuropäische Geschichte. Durch das Wissen, das er aus seiner wissenschaftlichen Tätigkeit besitze, verspüre er auch gleichzeitig die Pflicht, die strategischen Desinformationskampagnen des Kremls aufzulösen und somit die russische Kriegsführung zu behindern.
„Wir sind die Hausmeister, die den Boden der Realität vom Schmutz der unwahren Thesen befreien müssen, damit man unter ihm die Realität wieder erkennen kann.“
Klaus Gestwa, Direktor des Instituts für Osteuropäische Geschichte und Landeskunde
Im Bezug auf die Schaffung und Verbreitung von alternativen Fakten betonte Datenjournalistin Elena Riedlinger, dass Künstliche Intelligenz (KI) für immer mehr zu hinterfragende Inhalte im Netz sorge. Damit beeinflusse KI auch die Arbeit von Journalist*innen. Diese hätten im Grunde das gleiche Ziel, wie Wissenschaftler*innen, die Wirklichkeit so gut wie möglich abzubilden und Fehlinformationen zu kennzeichnen. Klaus Gestwa beschrieb es so: „Wir sind die Hausmeister, die den Boden der Realität vom Schmutz der unwahren Thesen befreien müssen, damit man unter ihm die Realität wieder erkennen kann.“
Die einzigartige Position der Wissenschaft
Die Wissenschaft aus Michael Butters Sicht allerdings eine besondere Rolle ein. Sie habe im Gegensatz zu den Medien, deren Existenz auf Konsumentenzahlen beruht, nicht den Anspruch, unbedingt an etwas zu arbeiten, was die Öffentlichkeit direkt interessiere. Aber sobald gesellschaftliches Interesse am Forschungsgegenstand bestehe, müssten Informationen darüber kommuniziert werden. Klaus Gestwa ergänzte, dass Forschende auch die Verpflichtung hätten, Unwahrheiten aufzudecken, wenn letztere eine politische Wirkung hätten. Dies tat er zum Beispiel, als es in einem öffentlichen Video acht weitverbreitete Thesen zu den russischen Motiven im Ukraine-Krieg einordnete.
„Wenn Sicherheit über Aussagen besteht, sollten diese klar benannt werden.“
Elena Riedlinger, Datenjournalistin in Residence im Cyber Valley
Zugeben, dass man keine Ahnung hat
„Selbstzweifel gehören zum wissenschaftlichen Arbeiten dazu“, so der Osteuropahistoriker. Wie wichtig es sei, auch als Expert*innen Unwissen und Unsicherheit zu thematisieren, verdeutlichten alle drei Gesprächsgäste. Genauso wie eine persönliche Meinung, sei fehlende Kenntnis im Diskurs deutlich zu kennzeichnen. Forschende hätten alle ihr Spezialgebiet, und käme eine Presseanfrage, die dieses nicht betreffe, so solle man diese auch einfach mal ablehnen. Michael Butter erzählte, dass ihn als Amerikanist auch Fragen zu Black Lives Matter erreichen, er diese aber unbeantwortet lasse, denn da gäbe es andere, die kompetenter als er auf dem Feld seien. Solche Transparenz wünschten sich auch Journalist*innen von den Intellektuellen, die sie anfragen. „Aber wenn Sicherheit über Aussagen besteht, sollten diese klar benannt werden“, so Elena Riedlinger.
Den Schirm vor Shitstorms aufspannen
Wer Meinung und Informationen mit der Allgemeinheit teilt, der kann auch mit Kritik rechnen. Dieser Gegenwind fällt in der Öffentlichkeit oft weniger sachlich aus als in Akademikerkreisen. Daran mussten sich auch Klaus Gestwa und Michael Butter gewöhnen, als sie begannen, Informationen über ihre Forschungsgegenstände allgemein zugänglich zu machen. Sie erreichen regelmäßig Hassnachrichten per E-Mail. Den beiden sei mittlerweile ein dickes Fell gewachsen, so die Geisteswissenschaftler. Sie unterstrichen auch ihre privilegierte Position als weiße Männer. Anfeindung und Bedrohung richteten sich, anders als bei weiblichen Kolleginnen, nicht gegen ihre Persönlichkeit. Weder erreiche sie sexistischer Hass, noch werde ihnen ihre Kompetenz im Vorhinein abgesprochen. „Bei Shitstorms geht es darum, Frauen aus dem Diskurs zu drängen“, so Gestwa. Er sprach allen seinen Respekt aus, die sich trotzdem nicht davon abhalten ließen und weiterhin gegen Desinformation und Verschleierung der Realität aktiv zu werden.
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