Politik Wissenschaft

Wie (un-)solidarisch ist die AfD?

Die AfD erzielt derzeit so hohe Umfragewerte wie noch nie zuvor. Nach außen inszeniert sich sie sich unter anderem als eine rechte Kümmererpartei, die vermeintlich sozial und wirtschaftlich vernachlässigten Menschen eine Stimme geben möchte und auch deswegen so erfolgreich sei. Aber lässt sich gezielte Abwertung und Ausgrenzung von Minderheiten mit Anerkennung und Respekt für sozial und wirtschaftlich Schwächere in Einklang bringen? Mit dieser Frage beschäftigt sich Floris Biskamp, wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Universität Eichstädt-Ingolstadt. In seinem Vortrag vom Mittwoch am Institut für Politikwissenschaft beleuchtete er näher, wie sich der sozialpolitischen Inhalte der AfD im Laufe der Zeit verändert haben. Dabei wird klar, dass der AfD und ihrer Wählerschaft soziale Themen letztlich eben doch nicht allzu wichtig sind.

Wären diesen Sonntag Bundestagswahlen, würde die AfD zur zweitstärksten Fraktion im Bundestag gewählt werden. Zu diesem Ergebnis kommen gleich eine Reihe repräsentativer Umfragen (siehe Grafik). Für die demokratischen Prinzipien und Prozesse, auf denen die Bundesrepublik Deutschland aufgebaut ist, könnte das zu einem Problem werden. Denn die AfD gilt in der Politikwissenschaft als rechtspopulistische und größtenteils rechtsextreme Partei.

Der Begriff Populismus bezeichnet dabei ein Weltbild, das die Gesellschaft in zwei Teile unterteilt, ein homogen und tugendhaft gedachtes Volk und eine nicht weniger homogen, dafür aber korrupt gedachte Elite. Politik solle sich darüber hinaus immer und bedingungslos an dem Willen des Volkes orientieren. Populisten nehmen dabei für sich in Anspruch, dass sie, und nur sie allein, die Interessen des „Volkes“ vertreten würden. Wer diesem Anspruch widerspricht, wird von ihnen deswegen gerne als Teil der korrupten Elite diffamiert.

Das Verhältnis zwischen Populismus und Demokratie ist dabei durchaus ambivalent und vom Kontext abhängig. Cas Mudde und Rovira Kaltwasser, zwei Politikwissenschaftler, die das moderne Verständnis von Populismus maßgeblich mitgeprägt haben, räumen beispielsweise ein, dass Populist*innen, da sie darauf bestehen, dass Politik sich bedingungslos an der Mehrheit Bevölkerung zu orientieren hat, zusammen mit anderen Kräften zur Demokratisierung von autoritären Staaten beitragen können. Das Gleiche gilt jedoch nicht für bereits voll entwickelte Demokratien, wie etwa die Bundesrepublik Deutschland. Darüber hinaus gehören zu der AfD auch prominente Rechtsextremist*innen, wie etwa der Thüringer Landes-Co-Vorsitzende Björn Höcke, deren Ansichten nicht nur in einem abstrakten, sondern ganz konkreten Sinn nicht mit Demokratie vereinbar sind.

Aus Populismus wird Rechtspopulismus, wenn zu den populistischen Einstellungen auch noch nativistische hinzukommen, also Einstellungen, gemäß denen staatliche Zugehörigkeit vor allem über die Abstammung eines Menschen definiert wird und der Staat diejenigen mit der vermeintlich richtigen Abstammung bevorzugt, während alle anderen benachteiligt behandelt werden. Da man so zwangsläufig große Teile einer Zuwanderungsgesellschaft, wie in Deutschland, ausschließt, stellt sich für Politikwissenschaftler*innen immer wieder die Frage, ob es möglich ist, dass rechtspopulistische Parteien sich einerseits gegen die Rechte von Zuwander*innen und deren Nachfahren, anderseits für die Rechte von Ärmeren einsetzen können.

In aktuellen Umfragen zur Wahlabsicht auf Bundesebene käme die AfD nach der Union an zweiter Stelle. Grafik: Thomas Kleiser
Sozialpolitik: Für die AfD eine Aufgabe der Familie, nicht des Staates

Gibt es so etwas wie exklusive Solidarität, also eine Art von Solidarität gegenüber manchen Teilen der Gesellschaft, die gleichzeitig aber Solidarität als ein universelles Prinzip entschieden ablehnt? So, oder so in etwa, lässt sich ein leitendes Themas Floris Biskamps Forschung der letzten Jahre wohl zusammenfassen. So koordinierte er unter anderem 2018 bis 2021 an ein Forschungskolloquium an der Universität Tübingen zu „Rechtspopulistischer Sozialpolitik und exkludierender Solidarität“. In seiner Habilitationsschrift befasst er sich mit der Sozialpolitik und deren Erfolgsfaktor für rechtsextreme Parteien in der Weimarer Republik.

Ein Kern der sozialpolitischen Ausrichtung der AfD besteht gemäß Biskamp vor allem in ihrem Fokus auf die Familie. Ist jemand bedürftig, so sollte sich aus Sicht der AfD diese Person zuerst und vor allem Hilfe bei ihrer Familie suchen und nicht beim Staat. Der innerparteiliche Diskurs über Sozialsysteme befasse sich daher auch fast ausschließlich mit der Frage, wie man Familien und vor allem die Gründung von Familien unterstützen kann.

Sehr anschaulich sei dies etwa beim Themen Rente der Fall. Hier beschäftige sich die AfD eigentlich fast nur mit Mitteln und Wegen, die Geburtenrate zu steigern. Außerdem lege sie dabei einen Fatalismus an den Tag, den es laut Biskamp so im gesamtgesellschaftlichen Diskurs zur Altersvorsorge und (Über-)Alterung der Gesellschaft nirgendwo sonst gäbe. Aus den von ihm untersuchten Positionspapieren gehe etwa oft hervor, dass viele AfD-Politiker*innen glauben, dass es selbst bei einer Stabilisierung der Geburtenrate in Deutschland eigentlich schon zu spät sei, um das Rentensystem noch entlasten zu können. Einen alternativen Lösungsweg, wie man den erwarteten Kollaps des Rentensystems abwenden könnte, nennen sie allerdings auch nicht. Ein Beispiel für diesen Rentenfatalismus sieht Biskamp etwa in den ersten 50 Seiten des von dem Sozialparteitag der AfD beschlossenen Konzept zur Sozialpolitik, auf denen sich nahezu ausschließlich über die sinkende Geburtenrate Deutschlands beklagt wird, ohne konstruktive Lösungsvorschläge zu nennen, wie dem zu begegnen sei.

Das Verhältnis von Rechtspopulisten zu Wirtschaft und Wohlfahrtsstaat: Mal so, mal so

There is not one coherent socio-economic position on the far-right.

Floris Biskamp

Grundsätzlich, so Biskamp, lassen sich aus einem rechtspopulistischen Weltbild, wie es die AfD vertritt, keine eindeutigen politischen Positionen in Wirtschafts- und Sozialpolitik ableiten. Einerseits können davon ausgehend die Beschränkung sozialer Rechte und Teilhabe von Gruppen, die nicht als Teil des „Volks“ betrachtet werden, gefordert werden, andererseits die stärkere Einbindung von Angehörigen des vermeintlich „wahren“ Volks. Ziel rechtspopulistischer Sozialpolitik kann also sowohl ein Abbau als auch ein Aufbau des Wohlfahrtsstaats sein.

Rechtspopulismus verhält sich als Ideologie auch neutral zu der Frage, ob die Wirtschaft stärker durch Freiheit des Markts oder Eingriffe des Staats in den Markt geprägt sein sollte, für beides gibt es gegenwärtige und historische Beispiele. Rechtspopulisten sind oft also auch nicht eindeutig pro-kapitalistisch oder anti-kapitalistisch. Neben ideologischen Gründen spielten dabei oft auch strategischen Abwägungen eine wichtige Rolle, für die konkrete wirtschafts- und sozialpolitischen Positionierung rechtspopulistischer Parteien, so Biskamp. Wenn etwa ein Großteil der Wähler*innen, die für rechtspopulistische Einstellungen offen sind, gleichzeitig höhere Sozialleistungen ablehnt, kann es für eine rechtspopulistische Partei sinnvoll sein, genau das zu fordern, um auch sicherzustellen, dass sie die Stimmen dieser Wähler*innen gewinnt, beziehungsweise nicht verliert.

Andererseits kann es auch Sinn ergeben, sich für eine Anhebung von Sozialleistungen einzusetzen, wenn etwa andere Parteien sich bisher überwiegend für deren Abbau eingesetzt haben, um so von der Unzufriedenheit der davon Betroffenen zu profitieren. Als Beispiel hierfür nennt Biskamp etwa die Position der AfD zum Mindestlohn. Die AfD war bis 2016 dagegen, spricht sich seitdem aber dafür aus. Laut Biskamps Einschätzung eine Folge davon, dass sich der Mindestlohn sowohl als sehr beliebte, als auch ökonomisch erfolgreiche Maßnahme herausstellte.

Der Chapell Hill Expert Survey befragt Experten aus der Forschung alle fünf Jahre, wie sie die politische Ausrichtungen von Parteien ihres Parteisystems bewerten. Eine Erklärung für die teils widersprüchliche Ausrichtung der AfD bei sozialpolitischen Themen besagt, dass für die AfD wirtschaftliche und sozialpolitische Themen einfach keine hohe Priorität Bedeutung haben. Grafik: Thomas Kleiser
Innerparteilicher Machtkampf: Verdrängung von Wirtschaftsliberalen durch Völkisch-Nationale

Ein weiterer Faktor für die politische Ausrichtung einer Partei sind innerparteilicher Machtkämpfe. Auch innerhalb von Parteien existieren verschiedene ideologische Strömungen mit unterschiedlichen Schwerpunkten. Je nachdem, welche Strömung in einer Partei gerade tonangebend ist, hat das auch Konsequenzen für ihre gesamtpolitische Ausrichtung. Biskamp unterteilt die AfD für seine Analyse, im Einklang mit der Fachliteratur, in drei parteiinterne Strömungen.[1] So gibt es einen wirtschaftsliberalen Flügel, zu dem Personen wie der mittlerweile ausgetretene AfD-Gründer Bernd Lucke oder aber der ebenfalls mittlerweile ausgetretene ehemalige AfD-Co-Vorsitzende Jörg Meuthen gehörten. Des Weiteren existieren eine national-konservative Strömung, ein wichtiger Vertreter dieser wäre etwa Gründungsmitglied und AfD-Ehrenvorsitzender Alexander Gauland und einer völkisch-nationalistischen Strömung, repräsentiert von offen rechtsextremen AfD-Politiker*innen wie Björn Höcke. Gerade Vertreter der völkisch-nationalen und teils auch der national-konservativen Strömung verbinden dabei nativistische Einstellungen mit Forderungen nach einer Ausweitung von Sozialleistungen und dem Wohlfahrtsstaat, zumindest für bestimmte Teile der Gesellschaft.

Die zunehmende Verdrängung wirtschaftsliberaler AfD-Politiker*innen aus der Partei hat demnach auch dazu beigetragen, dass sich die AfD zunehmend Positionen des national-konservativen und völkisch-nationalen Flügels angeeignet hat. Die AfD hat sich dadurch in den letzten Jahren bei sozioökonomischen Themen leicht nach links bewegt, auch wenn sie zuletzt in Expertenbefragungen in 2019 in dieser Hinsicht nach wie vor rechts der Union und nur ganz leicht links der FDP eingeschätzt wurde (siehe Grafik)

Folgen der Verdrängung wirtschaftsliberaler AfD-Politiker durch völkisch-nationale: In wirtschaftlichen Fragen wird die AfD von Experten für 2019 als weniger wirtschaftsliberal eingeschätzt als die FDP, aber als immer noch deutlich wirtschaftsliberaler als CDU und CSU. Grafik: Thomas Kleiser

Laut Biskamp spricht dennoch einiges dafür, dass die AfD im Großen und Ganzen zukünftig auch weiterhin eine eher wirtschaftsliberale Politik verfolgen wird. Ein Grund dafür sei etwa der Umstand, dass ein Großteil der AfD-Wähler*innen in Umfragen wie der German Longitudinal Election Study angibt, dass ihnen sozialpolitische Themen nicht sehr wichtig sind. Allein schon aus strategischen Gründen, wäre es selbst für eine stärker vom völkisch-nationalen Flügel geprägte AfD daher nicht sinnvoll, allzu sehr auf eine Ausweitung wohlfahrtsstaatlicher Leistungen zu setzen.

Gleichzeitig setzt sich keine der Parteien im Bundestag in ihrem letzten Wahlprogramm derart wenig mit Themen rund um die Ausgestaltung des Wohlfahrtsstaats auseinander, wie die AfD (siehe Grafik). Es scheint so, als seien der AfD trotz all der Inszenierung als „Partei der kleinen Leute“ (Alexander Gauland) andere, vor allem kulturpolitische, Themen letztlich deutlich wichtiger als die Frage, wie man Politik für genau diese kleinen Leute macht.

Das Manifesto Project untersucht Wahlprogramme von Parteien weltweit darauf, welche Themen welchen Anteil im Programm haben. Für die Wahlprogramme der letzten Bundestagswahl, ergibt sich dabei, dass die AfD sich von allen Parteien in ihrem Programm am wenigsten mit Sozialpolitik befasst. Grafik: Thomas Kleiser
It‘s not the Economy, stupid!

Man sollte daher auch nicht allzu leichtfertig wirtschaftlich Nöte und Sorgen in der Bevölkerung – etwa bedingt durch die hohe Inflation – überbetonen, wenn es darum geht, das aktuelle Umfragehoch der AfD zu erklären. Experimentelle Studien zeigen, dass Wähler*innen von rechtspopulistischen und rechtsextremen Parteien vor allem kennzeichnet, dass sie autoritäre Einstellungen vertreten und Demokratie weniger oder sogar gar nicht achten. Die Sozialpsychologin Karen Stenner hat etwa schon vor Längerem herausgearbeitet, dass auf einer Einstellungsebene wirtschaftliche Faktoren oft nur indirekt zu einer höheren Unterstützung autoritärer Parteien führen. Nach ihr neigen bis zu ein Drittel der Bevölkerung dazu, Bestandteile moderner Demokratie wie etwa ein allgemeiner gesellschaftlicher Liberalismus und Pluralismus abzulehnen. Kommt es zu einem wirtschaftlichen Abschwung, dann steigt dadurch lediglich die Bereitschaft dieser Bevölkerungsteile autoritäre Parteien auch offen zu unterstützen. Der Hauptgrund dafür, dass sie das tun, bleibt aber ihre autoritäre Voreinstellung, nicht die Wirtschaft.

Es ist daher auch nicht davon auszugehen, dass die AfD nicht deswegen auf einmal so stark in den Umfragen zugelegt hat, weil sich die Menschen von ihr ernsthaft eine Lösung für ihre wirtschaftlichen Probleme erhoffen. Die Betrachtung der bisherigen Sozialpolitik der AfD legt dabei nahe, dass die AfD selbst keine Lösung für diese Probleme zu bieten hat und sich letzten Endes auch gar nicht dafür interessiert.

Beitragsbild: Oxfordian Kissuth auf Wikimedia Commons, CC BY 3.0

 

Ähnliche Beiträge

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert