Luisa Neubauer sprach bei der diesjährigen Mediendozentur über den Umweltaktivismus. Im Raum stand vor allem die Frage, warum die Kommunikation mit der Bevölkerung nicht funktioniert hat. Dabei erklärt Neubauer, wie ein fehlendes Lebensgefühl daran schuld sein kann.
„Ich wollte hier in Tübingen nur nach dem Rechten sehen und gegen den Schindhaubasistunnel protestieren“. Mit diesen Worten beginnt die Umweltaktivisten Luisa Neubauer ihre Rede bei der 18. Mediendozentur. In einer knappen Stunde erzählte die Hamburgerin im vollbesetzten Festsaal der Neuen Aula von ihrer Sicht auf den Klimaaktivismus, die Verantwortung, und wie grundlegende Fragen aus dem Umweltschutz neu gedacht werden müssen: Über den Otto-Normalverbraucher hinaus, hin zu den CEOs und Politiker*innen in dieser Republik und der Welt. In ihrem Vortrag unter dem Titel „Sagen, was ist“, brachte die 27-Jährige vor allem ihre Machtlosigkeit gegenüber großen Teilen der Gesellschaft zum Ausdruck, da die Argumente für den Klimawandel bereits seit Jahrzehnten auf dem Tisch lägen, aber nicht ausreichend umgesetzt werden. Dazu gab Neubauer immer wieder spitze Bemerkungen in Richtung Friedrich Merz (CDU), Andreas Scheuer (CSU) und Christian Lindner (FDP) ab.
„Man dachte, man hätte es längst verstanden“
Nach der Schule zu Oma zum Mittagessen, um dort lecker bekocht zu werden. Eine Situation, wie sie die meisten kennen. Und auch so war es bei Luisa Neubauer. Sie erzählt, wie sie jeden Freitagmittag zu ihrer Großmutter, Dagmar Reemtsma, ging, um dort zu Mittag zu essen. Ihre Oma war bereits Umwelt- und Klimaaktivistin. „Damals nannte man das nicht ‚Aktivistin‘, sie war eine ‚engagierte Bürgerin‘, und das wollte sie auch sein“, erinnerte sie sich. Und so berichtete sie, wie sie beim Essen auf ein Regal im Wohnzimmer voller Bücher blickte. Diese „Klimaliteratur“, wie die Aktivistin die Bücher nennt, war von ihrer Großmutter über ein halbes Jahrhundert zusammengetragen worden. Dabei erzählt die Hamburgerin, wie sie und ihre Oma ungläubig auf die Menschheit blickten, denn in diesen Büchern stehe alles, was die Menschheit über den Klimawandel wisse, und wie gefährlich dieser sei. Trotzdem werde nichts dagegen unternommen. Und weiter fragt die Aktivistin rhetorisch, was das wohl über die Menschheit aussage, wenn sie an ihrem eigenen Ast säge. Die Schuld sieht sie dabei nicht bei den Bürger*innen, sondern vielmehr bei den Politiker*innen, den CEOs und denen, die diese in Machtpositionen gebracht haben. Aber Neubauer prangert auch an, dass die Anderen diese Entwicklung über Jahre und Jahrzehnte zugelassen und dagegen nichts unternommen haben.
Langweilige Fakten vs. aufregendes Lebensgefühl
Seit Jahren versuchen die Klimaschutzbewegungen, mit Argumenten und wissenschaftlichen Fakten die Öffentlichkeit zu überzeugen. Doch so richtig funktioniert habe es bis heute noch nicht, beziehungsweise die bisherigen Erfolge reichen nicht aus, so Luisa Neubauer. Man könnte es sich nun einfach machen und sagen, die Menschheit will der Wissenschaft offenbar nicht zuhören. Aber die Aktivistin geht einen anderen Weg: Stattdessen fragt sie: „Wie ist es gelungen, die Menschen für die Klimazerstörung zu gewinnen?“ Und ihre Antwort darauf ist ziemlich einfach: Die Industrie hat es geschafft, den Menschen ein Lebensgefühl zu verkaufen. Ein Gefühl, das auf der Nutzung von fossilen Brennstoffen beruht. Als Beispiel dazu verweist die Klimaaktivistin auf die unzähligen Werbespots, in denen sich Autos durch endlos schöne Landschaften schlängeln, und man ein Gefühl von Freiheit empfände. Dazu wandte sich Neubauer ans Publikum und fragte: „Welcher Umweltflyer könnte dagegen schon ankommen?“
Natürlich rettet James Bond im Aston Martin die Welt. Wie den sonst? Rettung durch die U-Bahn, Verfolgung auf dem Fahrrad? Lächerlich.
Luisa Neubauer
Fossile Macht und „Fossilität“
Diese Übermacht und das andauernde Präsent-sein der fossilen Macht bezeichnet Neubauer als „Fossilität“. Konkret geht es der Klimaaktivistin um den Einfluss der Öl- und Energiekonzerne auf die Politik und deren Verflochtenheit. Dies konnte man beispielsweise bei dem 9-Euro-Ticket sehen, führt die 27-Jährige weiter aus: Während günstiger ÖPNV nur von kurzer Dauer war, gäbe es die Pendlerpauschale seit 1920 – ununterbrochen. Aber nicht nur die Industrie habe eine starke Macht durch diverse Lobby-Organisationen, sondern auch die Gesellschaft. Neubauer erzählt weiter, dass alle Statussymbole, wie Autos und Häuser, auf Abbau und Nutzung von fossilen Brennstoffen beruhen. Das Problem sei nur, dass jeder nach diesen Dingen strebe, um glücklich zu werden. Neubauer ergänzt: „Früher wurden große Verbrechen von bösen Menschen begangen. Heute wird das unbeschreibliche, planetare Verbrechen in unseren Lebensgrundlagen von Menschen begangen, die einfach nur ihre Träume verwirklichen wollen“. Hinzu komme, dass das ganze Bewusstsein der Menschen fossil geprägt sei – auch die Lösungssuche für die Klimakrise. Gleichzeitig warnt Neubauer vor dem Greenwashing der Öl- und Fossilindustrie: „Die betrügen uns und dann machen sie sich aus dem Staub“. Dabei übt Neubauer auch Kritik an den Grünen, denn ihr Gegenangebot reiche nicht aus, stattdessen bräuchte es ein „ökologisches Momentum“ und einen neuen, demokratischen Klimadiskurs.
Es ist möglich, an einen Punkt zu kommen, an dem Sehnsüchte dort wachsen, wo Zukünfte es auch tun.
Luisa Neubauer
Eine Gesellschaft im Umbruch
Diese Transformation hin zu mehr Nachhaltigkeit, findet aktuell in der Gesellschaft statt, meint Luisa Neubauer. Die Ökologie werde immer mehr zum Guten im Leben. Gleichzeitig gibt die Aktivistin zu, dass es bei diesem Umzug auch hier und da etwas ruckele, was aber kein Grund zur Verunsicherung sei. Aber sie mahnt auch zur Vorsicht: Fakten seien unverhandelbar und die Relativierung des Klimawandels sei eine Gefahr für die zukünftige Politik in dieser Republik. Weiter führt sie aus, dass Umweltschutz den Menschen mehr als nur Fakten liefern müsse, er müsse ebenfalls, wie die Fossilität, ein Lebensgefühl bieten. Mit den Worten „Lasst uns frei sein: Die fossile Party ist vorbei, aber keine Sorge, zu unserer Musik kann man auch tanzen“ endete ihre Rede. Die Aktivistin erntete tosenden Applaus. Die ganze Rede von Luisa Neubauer gibt es zum Nachsehen auf YouTube.
Titelbild: Valentin Marquardt/Universität Tübingen